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Was hinter Clan-Kriminalität steckt

Mord, Überfälle, Einbrüche, Drogen, Schutzgeld: Früher dachten viele dabei an die Mafia, heute vor allem an Clans. Doch was steckt hinter dem Phänomen der Clan-Kriminalität? Das haben uns Hörerinnen und Nutzer gefragt. Hier einige Informationen und Einordnungen.

Thorsten-Gerald Schneiders / Felix Wessel | 19.12.2018
    Polizisten in Berlin führen einen verdächtigen Mann nach einer Razzia gegen Mitglieder arabischer Großfamilien ab.
    Razzia gegen Clan-Kriminalität in Berlin. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Das Problem krimineller Familien-Banden ist inzwischen häufig in den Schlagzeilen. Mit "4 Blocks" (TNT Serie) und "Dogs of Berlin" (Netflix) greifen inzwischen sogar Serien das Thema der Clan-Kriminalität in Berlin auf.
    Fiktion versus Realität
    Mit Blick auf Berlin oder einige Städte im Ruhrgebiet spricht Sebastian Fiedler, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, im Deutschlandfunk von einem beträchtlichen Problem. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, tagte in Berlin Ende November ein sogenannter Clan-Gipfel. Der Senat will die zuständigen Behörden im Einsatz gegen kriminelle Mitglieder von Familien-Banden verstärken und besser koordinieren. In Duisburg wurde bereits Mitte Juni das Projekt "Staatsanwälte vor Ort" gestartet. Dabei kümmern sich im Norden der Stadt zwei Staatsanwälte ausschließlich um Straftaten im Bereich der Clan-Kriminalität.
    Polizisten vor der Großrazzia gegen Clankriminalität. Mit einer Großrazzia in Shisha- und Sportbars ist die Polizei in Marl gegen Clankriminalität vorgegangen.
    Polizei bei Razzia in Marl, Kreis Recklinghausen, NRW. (dpa/Polizei Recklinghausen)
    Doch was steckt hinter diesem Bereich der organisierten Kriminalität?
    Was sind Clans?
    In der Völkerkunde meint man damit einen Familienverband, der sich von gleichen Vorfahren ableitet. Ein anderes Wort dafür im deutschen Sprachgebrauch ist Sippe. Clans und Sippen wiederum bilden in anderen Ländern der Erde Stammesgesellschaften.
    Was ist Clan-Kriminalität?
    Die sogenannte Clan-Kriminalität wird von Politik und Behörden als Teilbereich der Organisierten Kriminalität bewertet. Die Organisierte Kriminalität basiert auf einzelnen Gruppen, die laut einem Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) im Durchschnitt rund 15 Tatverdächtige umfasst. Ein Teil dieser Gruppen besteht demnach aus Großfamilien, die ethnisch abgeschottet sind. Während die Öffentlichkeit hier von Clans spricht, vermeidet das BKA den Begriff.
    Wie sind die Clans kriminell geworden?
    Viele der Familienmitglieder seien in den 70er- und 80er Jahren nach Deutschland gekommen, wo man sie nicht gewollt und sie das auch spüren gelassen habe, erklärt der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe dem Nachrichtenportal "t-online.de". Der Zugang zu Arbeit oder Bildung sei ihnen häufig verwehrt gewesen. "Da liegen dann illegale Geschäfte nicht ganz fern". Ähnlich schilderte das bereits 2016 der Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, Arnold Mengelkoch. BKA-Präsident Holger Münch sagte dem "Handelsblatt": "Die ältere Generation konnte nichts zum Lebensunterhalt beitragen, ohne positive Vorbilder sind viele in der nächsten Generation kriminell geworden."
    Polizeibeamte kontrollieren bei einer Hochzeitsfeier zweier Familienclans in Mülheim an der Ruhr Fahrzeuge.
    Polizisten kontrollieren Gäste bei einer Hochzeit von Mitgliedern zweier Familienclans. (picture alliance / dpa / KDF-TV & Picture 2018)
    Der Journalist Olaf Sundermeyer hat für die ARD eine Dokumentation über das Clan-Millieu gedreht. Im Deutschlandfunk-Podcast "Der Tag" warnte er: "Wir dürfen nicht die selben Fehler wie damals machen und diese Strukturen bei den syrischen Flüchtlingen zulassen."
    Sind alle Clan-Mitglieder kriminell?
    Nein. Einige der Familien haben hunderte Mitglieder. In der Regel gelten nur manche von ihnen als Intensivtäter, andere wurde einige Male straffällig. Es gibt jedoch auch Mitglieder, die polizeilich noch gar nicht auffällig geworden sind. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) warnte jüngst davor, alle Angehörigen arabischer Großfamilien in Sippenhaft zu nehmen.
    Woher stammen die kriminellen Clans?
    Dies lässt sich nur bedingt beantworten. Wie bereits erwähnt, vermeidet das BKA den Begriff "Clan". Es hat allerdings eine Rangfolge der Gruppierungen aus dem Bereich Organisierte Kriminalität (OK) aufgestellt. Demnach waren von den ausländisch geprägten Gruppen im Jahr 2017 mit 77 die meisten türkisch beherrscht, gefolgt von polnischen, albanischen, litauischen, russischen, italienischen, nigerianischen, bulgarischen, libanesischen und serbischen Gruppen. Arabische stehen erst auf Platz 9, obwohl sie in der öffentlichen Wahrnehmung so hervorstechen. Allerdings merkt das BKA dazu an: "Für die Feststellung der dominierenden Nationalität einer OK-Gruppierung ist die Staatsangehörigkeit der Personen ausschlaggebend, die innerhalb einer OK-Gruppierung die Führungsfunktion einnimmt." Das bedeutet: Nicht zwingend besitzt also die Mehrheit innerhalb einer Gruppierung diese Staatsangehörigkeit, was die Aussagekraft dieser Auflistungen mindert. Wie etwa die Deutsche Presse-Agentur in einer Meldung von Anfang Dezember schreibt, haben zudem viele Mitglieder kurdisch-arabischer Familienclans inzwischen einen deutschen Pass.
    Warum sind arabisch-stämmige Clans so oft im Gespräch?
    Wahrscheinlich auch weil in der Vergangenheit mehrere aufsehenerregende Straftaten mit solchen Clans in Verbindung gebracht wurden:
    - Ein Raubüberfall auf das "KaDeWe" 2014, bei dem Schmuck und Juwelen gestohlen wurden.
    - Ein Überfall auf ein internationales Pokerturnier im Grand Hyatt Hotel Berlin 2010.
    - Der Diebstahl einer hundert Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin.
    Ein Polizeiwagen steht im Dezember 2014 in Berlin vor dem Kaufhaus KaDeWe.
    Polizeieinsatz nach einem Überfall auf das Berliner KaDeWe. (picture alliance / dpa / Paul Zinken )
    Darüber hinaus sorgten Berichte vor allem von Boulevard-Medien über eine Verbindung des Rappers Bushido zum Abou-Chaker-Clan für Aufmerksamkeit. Auch andere Rapper wie Massiv waren schon Gegenstand von Berichterstattungen im Zusammenhang mit Clan-Kriminalität.
    Unterscheiden sich Clans stark von anderen Gruppen im Bereich der Organisierten Kriminalität?
    Der Journalist und Autor Sandro Mattioli, der sich insbesondere mit der italienischen Mafia befasst, sieht enge Parallelen. "Es sind Männerbünde, die hier agieren", sagte er im Deutschlandfunk: "Es gibt eine Omertá (ein Gesetz des Schweigens, Anm. d. Red.), das heißt, dass man nicht mit Sicherheitskräften zusammenarbeitet". Es sei sehr schwer aus den Organisationen auszusteigen. Kinder würden schon von früh an auf kriminelle Karrieren vorbereitet. Mattioli spricht wie bei Mafia-Organisationen von einer "kriminellen Kultur".
    Ähnlich äußert sich der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe: In bestimmten Familien herrsche bisweilen eine archaische Stammesstruktur – staatliche Autoritäten würden nicht akzeptiert, stattdessen stehe die Loyalität zum Clan an erster Stelle. In einer Studie für den Berliner Senat fand Rohe heraus, dass es in diesem Milieu auch Paralleljustiz mit Friedensrichtern und anderen informellen Schlichtungsmechanismen jenseits der deutschen Justiz gebe.
    Zahlreiche Trauergäste kommen zur Beerdigung von Nidal R. auf dem Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg. Nidal R. wurde auf offener Straße erschossen. 
    Beerdigung von Nidal R., Mitglied eines arabischstämmigen Clans, in Berlin-Schöneberg. (picture alliance/Paul Zinken/dpa)
    Wie viele Mitglieder haben die Clans?
    Genaue Zahlen gibt es nicht, da diese bislang nicht entsprechend erfasst werden. Derzeit sind die Behörden damit beauftragt, Kriterien zu entwickeln, um künftig exaktere Angaben über die Clan-Kriminalität machen zu können. Die "Bild"-Zeitung hatte Anfang August mit der Schlagzeile "200.000 kriminelle Clan-Mitglieder in Deutschland!" Aufsehen erregt. Zum Vergleich: In ganz Deutschland gibt es rund 270.000 Polizistinnen und Polizisten. Das Blatt berief sich auf Schätzungen des BKA. Nachfragen der "Zeit" und des Journalisten Stefan Niggemeier stellten jedoch klar, dass die arabisch-türkisch-kurdischen Clans, die durch einzelne Täter kriminell auffällig geworden sind, insgesamt auf 200.000 Familienmitglieder geschätzt werden, also inklusive aller Verwandten und Verschwägerten.
    Wie steht es um die Ermittlungen der Polizei gegen Clans?
    Laut einem Bericht der "Funke Mediengruppe" hatten die Strafverfolgungsbehörden im vergangenen Jahr in 39 Fällen gegen türkische und arabische Clans wegen organisierter Kriminalität ermittelt. 2016 habe es 25 solcher Ermittlungsverfahren gegeben.
    Insgesamt lag die Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich Organisierte Kriminalität bei 572, die Anzahl der Tatverdächtigen bei 8.317. Deutsche Staatsbürger bilden mit circa 29 Prozent eine relative Mehrheit (362 davon hatten bei ihrer Geburt eine andere Staatsangehörigkeit). Mit einem Anteil von fast zwölf Prozent an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen rangierten litauische Staatsangehörige auf Platz zwei, vor türkischen Staatsangehörigen mit rund 10 Prozent.
    Wie kann man gegen kriminelle Clans vorgehen?
    Im Zuge eines Geldwäscheverfahrens gegen eine arabische Großfamilie und Verdächtige aus deren Umfeld beschlagnahmte die Polizei in Berlin vor einigen Wochen vorläufig 77 Immobilien im Gesamtwert von rund 9,3 Millionen Euro. Solch ein Vorgehen halten manche Experten für vielversprechend – Haftstrafen könnten dagegen kontraproduktiv sein und würden zum Beispiel oft sogar als Auszeichnung verstanden.
    Kriminell erlangtes Vermögen organisierter Clans müsse konsequent abgeschöpft werden, sagte etwa Frank Schniedermeier von der Gewerkschaft der Polizei im Deutschlandfunk:"Eine sogenannte Freiheitsstrafe mit Bewährung trifft den Täter nicht da, wo es ihn treffen soll, nämlich da, wo es richtig weh tut, und das ist, wenn man ihm seine Luxusschlitten, seine Immobilien, sein Geld wegnimmt und ihm damit diese Statussymbole, die er sich ja eigentlich ertrogen hat, wegnimmt."
    Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, spricht in einem Lokal mit Polizistinnen.
    Nordrhein-Westfalens Innenminister bei eienr Razzia der Polizei in Essen. (picture alliance / dpa / Ina Fassbender )
    In Nordrhein-Westfalen versucht die Polizei, Präsenz zu zeigen. "Wir sind da. Wir lassen solche rechtsfreien Räume nicht zu", wird Innenminister Reul (CDU) am Rande einer Razzia vom WDR zitiert.
    Der Rechts- und Islamwissenschaftler Rohe empfiehlt zweierlei Vorgehensweisen: Zum einen müsse der Staat gegen die kriminellen Familienteile vorgehen. Zum anderen sollten Ausstiegs-Angebote geschaffen werden und nicht-kriminelle Familienmitglieder gestärkt werden.