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Nachhaltige Mobilität
Woran es beim Wiedereinstieg in den Nachtzugverkehr hakt

Lange Zeit galt der Schlafwagen als Auslaufmodell, sehr zum Leid von Anhängern nachhaltiger Mobilität. Mittlerweile gibt es wieder Forderungen nach einem europäischen Nachtzugnetz. Dafür müsste allerdings massiv in neue Fahrzeuge und Zugsysteme investiert werden. Deutschland tritt da noch auf die Bremse.

Von Josephine Schulz | 02.03.2020
09.08.2019: Berlin Hauptbahnhof. Ankunft des ÖBB Nightjet aus Wien der Österreichischen Bundesbahnen.
Nachtzug: Die Grünen fordern, die Wettbewerbsbedingungen zwischen Zug- und Flugverkehr anzugleichen (imago-images / Rüdiger Wölk)
Pünktlich auf die Minute fährt am Vormittag, um kurz vor elf Uhr, am Brüsseler Südbahnhof der Nachtzug aus Wien ein. Etwas verschlafen heben die Fahrgäste ihre Koffer auf den Bahnsteig. Ihr Fazit ist positiv: "Sehr komfortabel. Ich glaube, ich sollte das mal wieder machen." "Sehr gut, ausgezeichnet. Man steigt in der Früh aus, man tut vermutlich was Gutes für die Umwelt."
Die Verbindung ist neu, erst seit Ende Januar fährt hier der Nightjet der Österreichischen Bundesbahn, zweimal die Woche von Wien nach Brüssel. Die ÖBB ist momentan der größte und einer der wenigen verbleibenden Nachtzuganbieter in Europa.
DB verabschiedete sich 2016 komplett vom Schlafwagen
Denn lange galt der Schlafwagen als Auslaufmodell, die meisten Nachtzugstrecken wurden in den letzten 20 Jahren eingestellt. Die Deutsche Bahn hat sich 2016 komplett von ihren Schlafwagen verabschiedet.
"Der Abbau der Nachtzugverbindungen ist ein ständiges Ärgernis, gerade für Menschen wie mich, die gerne umweltfreundlich unterwegs sein wollen und gleichzeitig international zu arbeiten haben", sagt der EU-Parlamentarier Sven Giegold von den Grünen. Er hat eine Petition gestartet. Darin werden die Bahngesellschaften von Belgien, Frankreich und Deutschland sowie die jeweiligen Regierungen aufgefordert, die Nachtzugstrecke Berlin-Brüssel-Paris wieder in Betrieb zu nehmen. Die Grünen fordern darüber hinaus den Wiederaufbau eines kompletten europäischen Nachtzugnetzes bis 2030. Die EU solle diesen Prozess koordinieren und die Wettbewerbsbedingungen zwischen Zug- und Flugverkehr angleichen.
"Die umweltschädlichste Transportform wird nicht besteuert, während die Bahn für ihren CO2-Ausstoß bezahlen muss, das ist ein grundlegender Fehler. Im Green Deal steht ausdrücklich drin, dass man sich auf eine Kerosinbesteuerung orientiert und, oder die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel. Beides würde dazu führen, dass man letztlich zu fairem Wettbewerb kommt."
Außerdem fällt für grenzüberschreitenden Zugverkehr in vielen EU-Ländern Mehrwertsteuer an, während Flugzeuge davon befreit sind. Und auch die teilweise hohen Trassenpreise – also Mautgebühren für die Schienennutzung – machen den internationalen Zugverkehr gegenüber Flugzeug und Auto teurer.
Große Hoffung in neue EU-Kommission
Beides sind Bereiche, in denen die Europäische Kommission aktiv werden kann und muss, findet Joachim Holstein. Er ist Mitglied des europäischen Netzwerks back-on-track. Regelmäßig drängt die Organisation in Brüssel auf die Förderung eines europäischen Nachtzugnetzes. Holstein setzt große Hoffnung in die neue EU-Kommission und das neu gewählte Parlament.
"Wir sehen dort große Zustimmung. Vor fünf, sechs Jahren waren viele skeptisch, da hat diese jahrelange Negativpropaganda der Deutschen Bahn verfangen, dass das angeblich unwirtschaftlich ist. Hinzu kommt natürlich der – ich sag jetzt mal – Greta-Effekt. Dass auch immer deutlicher aud der Bevölkerung artikuliert wird: 'Hey Leute, wir wollen eigentlich gar nicht fliegen.'"
Die zuständige EU-Kommissarin Adina-Ioana Valean erklärte kürzlich, die Kommission werde im Rahmen des Green Deal im Laufe des Jahres eine Strategie für nachhaltige Mobilität in Europa erarbeiten. Der Anteil des Zugverkehrs als besonders klimafreundliche Art der Fortbewegung müsse steigen. Konkrete Maßnahmen wollte sie aber noch nicht nennen.
Der Wiedereinstieg in den Nachtzugverkehr würde bedeuten, dass Staaten oder Bahngesellschaften massiv in neue Fahrzeuge investieren müssten und in die Angleichung der Zugsysteme. Denn oft müssen an Grenzen noch die Loks gewechselt werden, weil die Bahnen zum Beispiel nicht mit unterschiedlichen Stromsysteme in den Ländern kompatibel sind. Um das für alle billiger zu machen, schlägt Holstein vor, dass die EU europaweite Aufträge koordinieren und auch finanziell unterstützen soll. Außerdem fordert das back-on-track Netzwerk, die EU solle ein europäisches Buchungssystem einrichten, damit Kunden auf einer zentralen Internetseite Zugtickets quer durch Europa kaufen können.
"Rund um Deutschland tut sich einiges"
Ob ein neues Nachtzugnetz entsteht, hängt letztendlich aber von der Bereitschaft der Mitgliedsstaaten ab. Die französische Regierung schreibt auf Anfrage, sie habe eine Studie in Auftrag gegeben. Bis Juni wolle man ermitteln, wie Nachtzugverbindungen auch ins europäische Ausland verbessert werden könnten.
Deutschland wiederum will den Klimaschutz zu einem Schwerpunktthema seiner EU-Ratspräsidentschaft machen, in Sachen Nachtzugverkehr heißt es aus dem Verkehrsministerium: Man stünde dem grundsätzlich offen gegenüber. Neue Angebote lägen aber in der unternehmerischen Eigenverantwortung der Bahn.
Für Nachtzug-Aktivist Joachim Holstein ist das Blockade: "Es tut sich was in den Niederlanden, es tut sich was in Belgien, in der Schweiz sind Regierung und Parlament dabei, die SBB mit neuen Nachtzügen zu beauftragen. Also eigentlich rund um Deutschland tut sich einiges. Und auf die Bremse, das muss man leider so sagen, tritt die Bundesregierung und tritt der Bahntower in Berlin. Die behaupten stur, wir können nur ICE fahren."