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Nachhaltige Tomaten
"Das Recht des Gemüses, langsam wachsen zu dürfen"

Bio, saisonal und regional: Das macht eine klimafreundliche Tomate aus, sagt Yvonne Zwick vom Rat für nachhaltige Entwicklung im Dlf. Und leckerer sei sie auch: Zeit zu wachsen bedeute mehr Sonne und deshalb mehr Geschmack. Doch man könne auch im Winter klimaverträgliche Tomaten bekommen.

Yvonne Zwick im Gespräch mit Georg Ehring | 07.07.2017
    Hand pflückt eine Tomate
    Saisonale Tomaten sind nicht nur klimafreundlicher, sondern auch leckerer. (picture alliance / dpa / Foto: Uwe Anspach)
    Georg Ehring: Ist der Genuss einer Tomate eigentlich klimaverträglich? Die Antwort: Es kommt darauf an. Vor allem darauf, wann sie verzehrt wird. Der Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung hat in dieser Woche die Zeit der klimafreundlichen Tomate ausgerufen, und am Telefon begrüße ich Yvonne Zwick, wissenschaftliche Referentin beim Nachhaltigkeitsrat. Guten Tag, Frau Zwick.
    Yvonne Zwick: Hallo, Herr Ehring.
    Ehring: Frau Zwick, was macht die klimafreundliche Tomate aus?
    Zwick: Die klimafreundliche Tomate macht aus, dass sie zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Qualität verzehrt wird. Und das ist der Bioanbau, das ist der saisonale Ertrag, der eben dann geerntet wird, wenn er auch wirklich gerade wächst im Freiland, und das ist die Tomate aus der Region und eben nicht die Tomate zur Unzeit, die das ganze Jahr über erhältlich ist.
    "Frappierender Unterschied" zwischen Bio- und Treibhaustomate
    Ehring: Man rechnet den klimamäßigen Fußabdruck ja immer in CO2. Wie viel weniger CO2 hat denn die optimale klimafreundliche Tomate als die schlechteste?
    Zwick: Die Bio-, saisonal, regional geerntete Tomate emittiert oder hat nur ein Gepäck von 35 Gramm CO2-Äquivalenten pro Kilo. Die Treibhaustomate dagegen, die schlägt mit fast so viel CO2-Äquivalenten zu Buche wie der Ernteertrag, nämlich 9,3 Kilo CO2-Äquivalenten auf ein Kilo Tomate. Das ist schon ein sehr frappierender Unterschied.
    Ehring: Das ist mehr als das Hundertfache. Was schlägt denn da besonders zu Buche?
    Zwick: Es ist, dass das ganz häufig beheizt wird und dass es das ganze Jahr über betrieben wird. Das Treibhaus als solches, als ein Energieverzehrer, das macht dann letzten Endes auch gar keinen Unterschied, ob das jetzt eine konventionelle oder ökologisch angebaute Tomate ist. Und das finde ich auch noch ein interessantes Detail, dass hier die Unterschiede so groß nicht sind, sondern auch hier von der konventionellen Treibhaustomate zur Biotreibhaustomate nur 100 Gramm CO2-Äquivalente ausmacht.
    "Es kommt auf den Regionalbegriff an"
    Ehring: Das heißt, es kommt vor allem auf die Frage Freiland oder Treibhaus an. Aber Freilandtomaten gibt es ja nicht das ganze Jahr über. Wie lange dauert denn die Tomatensaison, in der ich Tomaten mit gutem Gewissen verzehren kann?
    Zwick: Es kommt darauf an, wie groß Sie den Regionalbegriff ziehen. Beim nachhaltigen Warenkorb haben wir unseren Saisonkalender so aufgebaut, dass er eben nicht nur für Berlin gilt, wo das Frühjahr manchmal später einsetzt und der Herbst sich auch schon zeitig wieder ankündigt und es manchmal viel Wasser gibt, wie jetzt im Moment, sondern da kommt es auch ein bisschen auf die individuelle Perspektive an, ob als Region Deutschland angemessen ist. Wir plädieren ja dafür, durchaus auch Agrarbetrieben in Europa zu helfen, und haben daher unseren Saisonkalender auf die europäische Erntesaison ausgeweitet.
    "Was schnell gewachsen ist, hat wenig Geschmacksstoffe"
    Ehring: Tomaten schmecken ja manchmal wässrig. Hat das auch was mit dem Anbau zu tun?
    Zwick: Es hat was damit zu tun, wie schnell die Tomate wächst. Denn eine Tomate, die die Zeit bekommt, die sie braucht, um zu reifen, um zu wachsen und entsprechend viel Sonne zu tanken, die hat oft eine etwas härtere Schale, aber auch mehr Geschmacksstoffe intus. Daher würde ich auch immer dafür plädieren, den gesunden Menschenverstand einzuschalten, wenn es darum geht, nachhaltige Produkte zu konsumieren, und durchaus zu schauen, wie viel Geld habe ich im Geldbeutel, aber eben auch, wie viel Geschmack hat denn dieses Produkt eigentlich. Da ist es bei der Tomate nicht anders als bei anderen Obst- und Gemüsesorten: Was schnell gewachsen ist, hat wenig Geschmacksstoffe. Deswegen ist ja auch die Slow-Food-Initiative so en vogue, weil sie genussvollen Konsum und genussvolle Lebensmittel anpreist, und da hat das Recht des Gemüses und des Obstes, langsam wachsen zu dürfen, einen wichtigen Aspekt.
    Transportmittel ist entscheidend
    Ehring: Nicht immer ist ja die Tomatensaison im Freiland. Kann ich denn auch im Winter mit halbwegs gutem Gewissen Tomaten essen und worauf muss ich dann achten?
    Zwick: Es kann schon so sein, dass besonders nachhaltig produzierte Produkte aus fernen Ländern eine akzeptable Energiebilanz haben. Da kommt es sehr stark darauf an, wie sie transportiert wurden. Kamen sie beispielsweise mit dem Schiff aus Übersee, dann ist das durchaus in Ordnung, wenn es sich um Obst und Gemüse in Bioqualität handelt. Allerdings ist da das Problem für den Verbraucher und die Verbraucherin, dass sie das oft überhaupt nicht entdecken können, was das Transportmittel tatsächlich war. Deswegen ist da die Faustregel, die der nachhaltige Warenkorb gibt, auf Bio, saisonal und regional zu achten, und da, wo das nicht möglich ist, darauf zu achten, dass mindestens einer der drei Aspekte erfüllt ist.
    Ehring: Das heißt, wenn wir jetzt abseits von der Tomate sind, Äpfel, die importiert werden zum Beispiel aus Neuseeland, sind ökologisch unter Umständen durchaus okay und vielleicht besser als lange gelagerte Äpfel von hier.
    Zwick: Genau.
    Ehring: Das war Yvonne Zwick. Herzlichen Dank dafür. Die Saison der klimafreundlichen Tomate hat begonnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.