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Nachrichten von der langatmigen Lady

Die 1917 in Dublin geborene Maeve Brennan schrieb mehr als 40 Jahre lang legendäre Kolumnen für die "Stadtgespräch"-Rubrik beim Magazin "New Yorker". Nun ist eine Auswahl dieser Perlen erstmals auf Deutsch erschienen.

Von Sacha Verna | 07.08.2012
    Die Rubrik "Stadtgespräch" des Magazins The New Yorker ist legendär. Seit beinahe 90 Jahren berichten dafür kleinere und große Autoren unter der Überschrift "The Talk of the Town" über das Tafelsilber in den Salons der Reichen und über die Auslage von Dollar-Stores. Sie schildern die letzten Tage eine Schleppers im Hafen und die ersten eines Falkenkükens an der Ecke Fifth Avenue und Central Park. Sie erzählen von professionellen New Yorker Schlange-Stehern und Hobby-Imkern und vom Pastrami in Katz’ Delicatessen.

    Zu den Klassikern, die dem New Yorker Stadtgespräch zu seinem Renommee verholfen haben, zählen Joseph Mitchell, E.B. White und A.J. Liebling. Aber auch Maeve Brennan. Geboren 1917 in Dublin übersiedelte Brennan 1934 in die USA und begann Ende der 1940er-Jahre für den New Yorker zu arbeiten. Zwischen 1953 und 1981 verfasste sie unter dem Pseudonym "die langatmige Lady" Dutzende von Beiträgen für "The Talk of the Town". Siebenundvierzig davon sind nun erstmals ins Deutsche übersetzt worden unter dem Titel "New York, New York" erschienen.

    Mit den Worten "Wir haben eine weitere Mitteilung von unserer Freundin, der langatmigen Lady erhalten" oder "Unsere Freundin, die langatmige Lady, hat uns wie folgt geschrieben" wurden Maeve Brennans Aperçus auf den betreffenden Heftseiten jeweils eingeleitet. Langatmig ist die Lady allerdings keineswegs. Es ist zwar nicht so, dass Maeve Brennan immer direkt zur Sache kommt. Ja, manchmal gibt es gar keine eigentliche Sache, auf die sie kommen könnte. Doch selbst wenn sie mit dem Brand im Kellergeschoss eines Herrenausstatters beginnt und bei den Sängern der Heilsarmee endet, geht es ihr immer um etwas – nämlich ums Hinschauen und Hinhören.

    Maeve Brennan ist eine Meisterin des teilnahmslosen Beobachtens. Nicht gefühllos, wohlgemerkt. Nur tritt Maeve Brennan kaum je als Akteurin auf. Sie ist die Dame, die an der Bar nebenan sitzt. Die Frau, die ein wenig abseits steht, während die Menge auf der Strasse Elizabeth Taylor beim Filmen einer Szene begafft. Als besonders ergiebig erweisen sich für Brennan Restaurants und Hotellobbys. Dort scheint sie sich ohnehin die meiste Zeit über aufzuhalten. Tatsächlich wohnte Brennan jahrelang in wechselnden New Yorker Hotelzimmern. Eine Vielzahl ihrer Kolumnen handelt vom Lebenstheater, das in bescheidenen Lokalen über die Bühne geht. Von Broccoli à la sauce suprême, der eine Sinnkrise auslöst, und von ehelichen Dialogen, die lange vor dem Dessert versiegen.

    Greenwich Village und die Gegend um dem Times Square herum bilden den Schauplatz, den Maeve Brennan überblickt. Für das, was sich jenseits davon abspielt, hat sie keine Augen. Sie ist nicht auf Abenteuer erpicht. Maeve Brennan interessiert sich für das, was sie kennt und sich doch immer wieder in neuer Garderobe zeigt. Ein bisschen melancholisch klingen fast alle ihre Geschichten. In schlichte Nostalgie verfällt Brennan jedoch höchst selten. Dafür fühlte sie sich wohl zu wenig als Teil der Stadt, die doch die ihre und ihre einzige war. Als "sesshafte Reisende" hat sie sich einmal bezeichnet. New York nahm sie auf, vermochte sie sich aber nie einzuverleiben. Und umgekehrt gilt vermutlich dasselbe. So erklärt sich die Schärfe dieser Momentaufnahmen. Maeve Brennan hält fest, was schon fast nicht mehr ist – weniger für die Nachwelt als fürs Jetzt, die einzige Wirklichkeit der ewig Fremden.

    Maeve Brenanns Stil entspricht dem Kleinen Schwarzen in der Mode. Er ist sehr einfach und sehr elegant. Umso edler wirken die Perlen. Und apropos Perlen und schwarz: Maeve Brennan starb 1993 verrückt, verarmt und verwahrlost in New York. Aber sie soll Truman Capote zu seiner Protagonistin Holly Golighty in "Frühstück bei Tiffany" inspiriert haben. Ob das stimmt oder nicht, ist unwichtig. Das Bild passt: Maeve Brennan ist das zarte Persönchen vorm Schaufenster – dem Unbezahlbaren so nah und doch so fern.


    Maeve Brennan: "New York, New York"
    Kolumnen.
    Aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser
    Steidl Verlag, Göttingen 2012. 240 Seiten. 18 Euro.