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Nachschlag für das vergangene Boomjahr

2011 hat sich die Wirtschaft gut erholt - jetzt sollen auch die Arbeitnehmer etwas vom Aufschwung abbekommen. In der anstehenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie fordert die Gewerkschaft deutlich mehr als einen Inflationsausgleich.

Von Michael Braun | 07.02.2012
    Zurückhaltung war gestern, jetzt will die IG Metall teilhaben am konjunkturellen Aufschwung und an den guten Gewinnen der Metall- und Elektroindustrie. Der Gewerkschaftsvorstand ließ heute wissen, was er seinen regionalen Tarifbezirken als Lohnforderung empfehle: 6,5 Prozent für zwölf Monate lautete die erwartete Forderung. Berthold Huber, der Gewerkschaftsvorsitzende, meint, diese Binnenwirtschaft gehabt die letzten Jahre Forderung für die gut 3,3 Millionen Beschäftigten in der west- und ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie sei gut begründet:

    "2011 war ein überaus erfolgreiches Jahr für die Metall- und Elektroindustrie. Die Produktivität der Metall- und Elektroindustrie hat die gesamtwirtschaftliche Produktivität weit übertroffen. Diese Ergebnisse kennen auch die Belegschaften, die diesen Erfolg möglich gemacht haben. Sie haben eine faire Einkommenserhöhung redlich verdient."

    Volkswirte stützen diese Sichtweise. David Milleker etwa, der Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Invest, meint, die Wirtschaft könne 6,5 Prozent verkraften. Bei womöglich nachlassendem Export sei es förderlich, wenn die Kaufkraft im Inneren steige. Und die anderen Euroländer fühlten sich sowieso von der deutschen Exportleistung bedrängt:

    "Deutschland ist extrem wettbewerbsfähig geworden gegenüber den Partnern. Wir hatten eine extrem anämische Binnenwirtschaft im letzten Jahr. Von daher: Sowohl außenwirtschaftlich sind höhere Löhne erst einmal verkraftbar. Binnenwirtschaftlich wären sie förderlich. Was wichtig ist: Maß und Mitte dabei nicht vollkommen außer Acht zu lassen."

    Diese Maßgabe hatte die Lohnpolitik der Tarifparteien in den vergangenen Jahren eingehalten. Erst gestern hatte das Statistische Bundesamt gemeldet, die Löhne seien in Deutschland im vorigen Jahr zwar um 3,3 Prozent gestiegen, nach Abzug der Inflationsrate seien aber nur real ein Prozent übrig geblieben.

    Doch die IG Metall will in der kommenden Runde mehr als nur höhere Löhne. Es geht ihr um die Qualität der Arbeitsbeziehungen. Immer mehr Zeitarbeit und immer mehr Arbeit, die ausgelagert und über Werkverträge wieder reingeholt werde ins Unternehmen, das will sie nicht mehr länger mit ansehen. Ein Grund: anders als bei der Leiharbeit gilt bei Werkverträgen kein Mindestlohn. Die IG Metall, so Berthold Huber, wolle hier Grenzen setzen:

    "Wir wollen mit den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie mehr Mitbestimmungsrechte bei Betriebsräten über Dauer, Einsatz und Umfang von Leiharbeit vereinbaren."

    Hier dürfte es zu mindestens ebenso deutlichen Konflikten mit den Arbeitgebern kommen wie womöglich beim Lohn. Denn die Unternehmen wollen auf Zeitarbeit und befristete Werkarbeit nicht verzichten, sie brauche das, sagt etwa Thomas Lindner, der Präsident des Maschinenbauverbandes:

    "Die Maschinenbauindustrie ist eine sehr zyklische Industrie. Wir sind immer wieder mit Rezessionen und mit Boomphasen konfrontiert. Wir müssen atmen können. Und atmen müssen wir eben auch in der Beschäftigung, beim Personal. Und dazu ist eines der Instrumente die Zeitarbeit."

    Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat Lohnforderungen von 6,5 Prozent als "leichtfertig" kritisiert. Wer das verlange, riskiere eine Gefährdung der Betriebe in unsicheren Zeiten.