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Nachwahlen in England
Durchbruch für die EU-Gegner

Die britischen EU-Gegner haben es geschafft und scheinen nicht mehr aufhaltbar - sieben Monate vor der Parlamentswahl in Großbritannien hat die Partei der Europa-Skeptiker, UKIP, in Nachwahlen einen Erdrutschsieg erzielt und ihr erstes Mandat im Unterhaus bekommen.

Von Jochen Spengler | 10.10.2014
    Douglas Carswell ist der erste UKIP-Abgeordnete im britischen Unterhaus.
    Lässt Cameron im Regen stehen: Douglas Carswell ist der erste UKIP-Abgeordnete im britischen Unterhaus. (picture alliance / dpa / Will Oliver)
    Mehr als 20.000 Stimmen entsprechen fast 60 Prozent für Douglas Carswell, den ersten Parlamentarier für UKIP seit ihrer Gründung im Jahr 1993. Der Wahlforscher Professor John Curtice:
    "Das ist der größte Stimmenanstieg, den jemals eine Partei in einer Wahl erreicht hat: von Null auf 60 Prozent. Und im Ergebnis hat Herr Carswell damit UKIP Glaubwürdigkeit gegeben durch den ersten gewählten Parlamentarier im Unterhaus."
    Der Erfolg im Wahlkreis Clacton ruht allerdings auf außergewöhnlichen Umständen:
    "Clacton ist die günstigste Region für UKIP im gesamten Land. Eine vergessene Küstenstadt mit einer Menge älterer, weißer Wähler und nur vier Prozent Ausländern, klassisches vernachlässigtes Territorium für UKIP",erläutert der Politikwissenschaftler Matthew Goodwin.
    Der zweite Trumpf war der Kandidat: Douglas Carswell, ein basisdemokratisch denkender Rebell, genießt große Sympathien im Wahlkreis, seit er dort 2005 für die Tories ins Unterhaus gewählt wurde. 2010 hatte UKIP sogar auf einen Gegenkandidaten verzichtet und Carswell holte mehr als 50 Prozent. Aus Enttäuschung über die eigene Partei und Premier David Cameron wechselte der 43-jährige Euroskeptiker vor sechs Wochen zu UKIP und zog viele Wähler mit sich. Sein Credo:
    "Die Regierenden können nicht länger so tun, als wüssten sie, was richtig ist für die Regierten. Vetternwirtschaft ist nicht der freie Markt. Bequeme Hinterzimmer-Politik ist keine sinnvolle Demokratie. Wir müssen eine Partei sein für ganz Großbritannien und alle Briten, für die erste und zweite Generation so wie für andere. Unsere Stärke muss in unserer Breite liegen. Wenn wir dem treu bleiben, gibt es nichts, was wir nicht erreichen können."
    Vor allem psychologisch ist Carswells Wahlsieg bedeutsam. Bislang galten Stimmen für UKIP vielen Wählern als verschenkt, weil das Mehrheitswahlrecht die großen Parteien bevorzugt. Das aber gelte nach dem Erfolg in Clacton nicht mehr, tönt Parteichef Nigel Farage.
    "UKIP ist nun eine wirklich nationale Partei und wir sind wahrhaftig die Einzige, die Erfolge in Tory- und in Labour-Hochburgen erzielen kann."
    Tatsächlich war der gestrige Tag ein großer Triumpf für die Rechtspopulisten; nicht nur weil sie den Konservativen den Wahlkreis Clacton weggenommen, sondern auch und vielleicht gerade, weil sie es nur um 600 Stimmen verpasst haben, einen sicheren Labour-Wahlkreis bei Manchester zu erobern.
    "Die Menschen haben die Nase von den Karrierepolitikern in Westminster. Alle von ihnen wollen, dass wir Teil der EU bleiben. Wir können nicht mal entscheiden, welche Staubsauger wir benutzen und gestern mussten wir auf Knien darum bitten, dass wir ein Atomkraftwerk in Hinkley bauen dürfen. Wir haben unsere Demokratie, unser Land und unser Recht auf Selbstbestimmung und Grenzkontrollen weggegeben, und was UKIP sagt ist: Wir wollen unser Land zurück, die Kontrolle über unser Land. So einfach ist das."
    Im November steht eine weitere Nachwahl an. Dann will Mark Reckless, der vor kurzem die Konservativen verlassen hat, für UKIP seinen Parlamentssitz in der Grafschaft Kent verteidigen. Gelingt ihm dies, so kann man von einem endgültigen Durchbruch für UKIP sprechen. Dann hat die Partei nicht nur zwei Parlamentarier, sondern Premierminister David Cameron ein Problem. Er muss befürchten, dass noch mehr Tories dem Beispiel folgen, weil sie davon ausgehen können, dass nur ein Wechsel zu UKIP ihren Sitz bei der Parlamentswahl im Mai sichert. Nigel Farage:
    "Wenn wir keine Fehler bis dahin machen, dann können wir in einem Parlament, in dem es unwahrscheinlich ist, das Labour oder die Konservativen eine absolute Mehrheit erzielen, das schaffen, was Cleggs Liberale 2010 erreicht haben: Wir können das Zünglein an der Waage sein. Und das ist unser Ziel."