Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Nahost-Konflikt
"Eine gefährliche Gemengelage"

Israels Antwort auf den Synagogen-Anschlag – das Zerstören von Häusern der Attentäter – zeuge von einer "Art Ratlosigkeit" der Regierung, sagte Angelika Timm, Leiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, im DLF. Die aktuelle Situation lasse "nichts Gutes" erhoffen, eine Zwei-Staaten-Lösung sei der richtige Schritt.

Angelika Timm im Gespräch mit Gerd Breker | 20.11.2014
    Ausschreitungen im Osten Jerusalems nach dem Tod eines palästinensischen Busfahrers
    Die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten verhießen "nichts Gutes", so Angelika Timm von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. (afp / Ahmad Gharabli)
    Gerd Breker: Als Antwort auf die zunehmenden Anschläge reagiert die Regierung Netanjahu mit der Zerstörung der Häuser der Familien der Attentäter. Es soll die Politik der harten Hand sein, aber es ist irgendwie auch ein Stück Rache.
    Angelika Timm: Es ist ein Stück Rache, ja, aber ich glaube nicht, dass es wirklich sehr effektiv ist, denn während der ersten und zweiten Intifada sind viele palästinensische Häuser zerstört worden. Es hat eigentlich nur zur Eskalation beigetragen, es hat nicht wirklich Menschen davon abgehalten, Gewalt anzuwenden, und eigentlich hat die israelische Regierung auch irgendwann mal beschlossen, nein, das ist nicht der richtige Weg. Dass man jetzt wieder damit beginnt, erscheint mir auch eine Art von Ratlosigkeit.
    Breker: Parallel dazu werden neue Wohnungen in Ostjerusalem genehmigt. Das heißt, der Siedlungsbau, der geht weiter - ein Signal, das in der gleichen Richtung fortschreitet.
    Timm: Ich denke ja. Hier muss man sicherlich auch sehen, dass Israel, ich würde sagen, die rechteste Regierung eigentlich seit seiner Existenz hat. Es sitzen in der Regierung Vertreter von der Jewish Home Party, einer Siedlerpartei, die natürlich sehr großen Druck auch auf Benjamin Netanjahu ausüben und gerade die letzten Anschläge auch als Anlass nehmen, um ihre Interessen durchzusetzen, und die bedeuten: weiter siedeln.
    Breker: Also der Eindruck täuscht nicht, dass im Moment die Hardliner auf beiden Seiten sich austoben können?
    Timm: Sich austoben können – weiß ich nicht, ob das das richtige Wort ist. Aber zumindest bekommen sie Zuspruch. Und sie sind eine nicht zu unterschätzende Kraft.
    Dritte Intifada? "Noch nicht"
    Breker: Droht eine neue, eine dritte Intifada?
    Timm: Ja, es gibt nicht wenige, die sagen, es gibt bereits eine dritte Intifada. Ich würde das nicht so sehen. Zumindest die Eskalation der Gewalt, die wir seit dem Sommer jetzt sehen, hat doch eine andere Qualität. Auf palästinensischer Seite gibt es keine Führung eines Aufstandes. Intifada, arabisch, heißt ja abschütteln, Abschütteln der Okkupation. Einen Aufstand der Palästinenser, das sehe ich im Moment nicht. Es sieht eher aus, als wären es Aktivitäten oder Handlungen von einzelnen, vor allen Dingen frustrierten jungen Leuten, die keine Zukunft sehen.
    Breker: Sie sagen es: Eine zentrale Führung dieser, man kann sagen, Kette von Anschlägen ist nicht erkennbar. Ebenso ist eine gemeinsame Stoßrichtung nicht so richtig zu erkennen. Die Motive sind offenbar Verzweiflung, Hass und Wut.
    Timm: Ja, das stimmt so.
    "Immer eine religiöse Komponente"
    Breker: Die Gewalt scheint, sich inzwischen auf Jerusalem zu konzentrieren, hier insbesondere der Tempelberg, der mit der al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom Muslimen wie Juden gemeinsam heilig ist. Bekommt die Auseinandersetzung nun eine religiöse Komponente?
    Timm: Ich denke, die Auseinandersetzung hatte in gewisser Weise immer eine religiöse Komponente. Aber diese religiöse Komponente scheint, im Moment zuzunehmen, und ich denke, dass es vor allen Dingen die Mischung ist oder die Verbindung von Nationalismus und Religion, und zwar auf beiden Seiten, die hier doch eine gefährliche Gemengelage darstellt und eigentlich auch nichts Gutes hoffen lässt.
    Breker: Nichts scheint im Moment weiter weg als ein Friedensprozess, Frau Timm. Was kann denn Europa tun, um hier friedensstiftend zu wirken? Ist die Anerkennung von einem Palästinenser-Staat, wie zuletzt Schweden und nun bald auch Spanien vornehmen werden, ist das eine Möglichkeit, friedsam einzuwirken?
    Timm: Ja, ich denke, es war eine gewisse Hoffnung doch da während der israelisch-palästinensischen Verhandlungen unter amerikanischer Schirmherrschaft. Als diese gescheitert sind, brach natürlich auch viel an Frust, Desillusionierung, Hoffnungslosigkeit auf. Die europäische Gemeinschaft hat, denke ich, eine Verantwortung für Israel und für Palästina, nicht nur wegen der Geschichte, sondern auch wegen der Nähe der Region zu Europa, und ich glaube schon, dass auch Europa gefragt ist, hier einiges zu tun. Ich denke, Diplomatie, Politik ist immer besser als Gewalt, und wenn die Anerkennung des palästinensischen Staates in gewisser Weise doch zur Durchsetzung der Zwei-Staaten-Lösung noch beitragen könnte, würde ich denken, ist das ein richtiger Schritt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.