Freitag, 29. März 2024

Archiv

Nahost-Konflikt
Vor 70 Jahren erklärte Ben Gurion Jerusalem zur Hauptstadt Israels

Am 4. Januar 1950 erklärte der damalige Staatschef David Ben Gurion den Westteil Jerusalems zur Hauptstadt Israels. Dabei stand die Stadt König Davids eigentlich für das religiöse Judentum und nicht für die säkulare Bewegung des politischen Zionismus.

Von Matthias Bertsch | 04.01.2020
    Die Altstadt der heiligen Stadt Jerusalem (Israel) mit dem Tempelberg und dem Felsendom
    Jerusalems historische Altstadt (picture alliance / Jens Büttner)
    "Das israelische Parlament nahm am Montag eine Vorlage an, durch die Jerusalem zur Hauptstadt Israels proklamiert wird."
    Diese Meldung vom 23. Januar 1950 wurde international kaum wahrgenommen, genau wie die Entscheidung, die dem Beschluss vorangegangen war. Am 4. Januar hatte Ministerpräsident David Ben Gurion auf einer Kabinettssitzung Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärt. Damit machte er vor allem eines deutlich: Israel fühlte sich nicht mehr an das gebunden, was der UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 in puncto Jerusalem vorgesehen hatte. Die Stadt sollte gemeinsam mit Bethlehem als so genannter Corpus Separatum unter UN-Hoheit als internationales Territorium verwaltet werden – sagt Rainer Zimmer-Winkel vom Deutsch-Israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten.
    "Schon in diesem Teilungsplan ist eigentlich klar, dass man sich über Jerusalem nicht einigen kann. Deshalb zieht man diesen ganzen Corpus ja auch raus aus der Debatte und sagt: Für die absehbare Zeit wird eine Internationalisierung sein, und da bleiben wir auch als Völkergemeinschaft."
    Tel Aviv als eigentliches Zentrum
    Im Dezember 1949 hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen diese Entscheidung noch einmal bestätigt. Doch da war die Realität längst eine andere. Nach der Ausrufung des jüdischen Staates im Mai 1948 und dem darauf folgenden jüdisch-arabischen Krieg hatten Israel und Jordanien – als einzige erfolgreiche Militärmacht auf arabischer Seite - Fakten geschaffen. Die Waffenstillstandslinie lief mitten durch Jerusalem: Der Ostteil der Stadt, zu dem die Altstadt und die Klagemauer gehörten, wurde von Jordanien annektiert, der Westteil von Israel zur Hauptstadt erklärt. Dabei hatte Jerusalem für die Staatsgründer um Ben Gurion gar keine so große Bedeutung, wie Zimmer-Winkel erklärt:
    "Wenn man sich die ganze Ikonografie, die Bildprogrammatik des Zionismus ansieht, der neue Jude, das neue Staatswesen, all das, Tel Aviv als die neue Stadt am Meer, dann ist schon klar, dass dieser Staat eigentlich auf Tel Aviv hin orientiert ist, und all das, was traditionell mit Jerusalem verbunden ist, das Getto-Judentum, das religiöse Judentum, all das ist, was man eigentlich nicht mehr wollte."
    Proklamation des Staates Israel 1948
    Proklamation des Staates Israel am 14. Mai 1948 in Tel Aviv, mit David Ben Gurion (l), der erste Ministerpräsident Israels. (picture alliance/dpa)
    Es sollte weitere 17 Jahre dauern, bis sich an diesem Selbstverständnis etwas änderte. Als der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser im Mai 1967 mit der Vernichtung des jüdischen Staates drohte und mit Syrien, Jordanien und dem Irak Militärabkommen schloss, reagierte Israel mit einem Präventivangriff. Bereits am vierten Tag des sogenannten Sechstagekrieges gab der Chef der israelischen Streitkräfte, Jitzchak Rabin, bekannt:
    "Heute befindet sich de facto das gesamte Landgebiet westlich des Jordans in unserer Hand, einschließlich der Altstadt von Jerusalem."
    Aufstieg zur Militärmacht
    Die Bilder der jungen israelischen Soldaten an der Klagemauer gingen um die Welt. Gut 20 Jahre nach dem Holocaust war aus dem bedrohten jüdischen Staat eine Militärmacht geworden, die das ganze Land zwischen Mittelmeer und Jordan beherrschte. Die Erfahrung des überwältigenden Sieges hinterließ tiefe Spuren, sagt Zimmer-Winkel:
    "Man fällt von einem Extrem in das andere und steht plötzlich an all den Stätten, die vorher nur theoretische Narrative waren, die hatte man in den Gebetbüchern, aber sie spielten keine existenzielle Rolle, man konnte plötzlich zu den heiligen Orten. Und damit beginnt ein Prozess, der das ganze zionistische Projekt noch mal von der Frage Staat hin zu Land verändert, also das, was man klassischerweise Eschatologisierung, Messianisierung von Politik nennt."
    Der säkulare Staat begann religiöser zu werden, und die wesentlichen Akteure dieses Prozesses waren die nationalreligiösen Zionisten, die schon kurz nach dem Sechstagekrieg anfingen, Siedlungen in den Palästinensergebieten zu errichten.
    "Diese Dichotomie ist ja heute ganz eindeutig auch in Israel noch zu greifen. Für die heute Land und jüdische Identität wichtiger ist als Demokratie, das ist dieselbe historische Linie, wo es nicht darum geht, in erster Linie auf einen Staat und seine demokratische Verfasstheit bezogen, sondern auf einen jüdischen Staat, der als Wiedereroberung des historischen, des alten biblischen Landes verstanden wird," sagt Zimmer-Winkel.
    Auch das Nationalstaatsgesetz vom vergangenen Jahr, das Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes festschreibt, ist Ausdruck dieser Prioritätensetzung. In ihm wird jene Entscheidung unterstrichen, die das israelische Parlament bereits im Juli 1980 getroffen hatte: Hauptstadt Israels ist das gesamte Jerusalem – also auch der annektierte Ostteil der Stadt. Eine Teilung der Stadt und auch des Landes, wie sie für die Gründerväter um Ben Gurion nicht ausgeschlossen war, wird auf dieser Grundlage immer unvorstellbarer.