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Nahostpolitik als Wahlkampfhebel

Das anti-islamische Schmähvideo hat in der arabischen Welt antiamerikanische Proteste entfacht. Sie sind ein schlechtes Omen für den US-Präsidentschaftswahlkampf und werfen ein Schlaglicht auf die mäßige Bilanz von Amtsinhaber Barack Obama in Sachen Nahostpolitik. Erstmals rückt so auch die Außenpolitik ins Zentrum des Wahlkampfes.

Von Marcus Pindur | 15.09.2012
    Auf der Andrews Airforce Base nahmen gestern Nachmittag Präsident Obama und Außenministerin Clinton die Leichname des amerikanischen Botschafters in Libyen, Chris Stevens und drei weiterer Botschaftsmitarbeiter feierlich in Empfang. Eine Rückkehr, die viele Amerikaner schmerzt – so Außenministerin Clinton:

    "Wir haben Wut und Gewalt gesehen wegen eines schrecklichen Internet Videos, mit dem wir nichts zu tun haben. Für das amerikanische Volk ist das schwer zu verstehen, weil es sinnlos ist. Und es ist völlig unakzeptabel. Die Völker Ägyptens, Libyens, des Jemen und Tunesiens haben die Tyrannei ihrer Diktatoren nicht überwunden, um jetzt der Tyrannei eines gewalttätigen Mobs gegenüberzustehen."

    Vernünftige Menschen und politische Führer in diesen Ländern müssten alles in ihrer Macht stehende tun, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Damit hat die Außenministerin den politischen Konsens in den USA abgesteckt. Viel weiter reicht er jedoch nicht.

    Mitt Romney, republikanischer Präsidentschaftsbewerber und derzeit wegen bescheidener Umfrageergebnisse in der Defensive, nutzte die Gelegenheit zu harscher Kritik an Präsident Obama:

    "Es ist ein furchtbarer Kurs, sich für unsere Werte zu entschuldigen. Wenn unsere Botschaften angegriffen werden, muss die erste Antwort Empörung sein über die Verletzung unserer Souveränität. Eine Entschuldigung für die amerikanischen Werte ist nie der richtige Kurs."

    Obama hatte sich jedoch keineswegs für das in Frage stehende Internet-Video entschuldigt. Der Präsident hatte im Gegenteil in seiner ersten Stellungnahme angekündigt, die Mörder des amerikanischen Botschafters in Libyen zur Strecke zu bringen und die arabischen Staaten aufgefordert, die diplomatischen Vertretungen der USA zu schützen.

    Doch mit dieser Verdrehung der Tatsachen wollte Mitt Romney etwas Wind in die Segel seines eigenen, dahin dümpelnden Wahlkampfes leiten. Selbst in der eigenen Partei mochte ihm da keiner folgen. Der sonst sehr loyale Senator John McCain wollte in dieser Frage jedenfalls nicht den republikanischen Kandidaten stützen.

    "Das Ping-Pong-Spiel interessiert mich ehrlich gesagt nicht. Ich weiß nur, dass die Amerikaner empört sind, wenn unsere Botschaften angegriffen werden, und die ägyptische Regierung tut nichts, um sie zu schützen."

    Damit ist die Außenpolitik zum ersten Mal ins Zentrum des amerikanischen Wahlkampfes gerückt, etwas, womit die meisten kaum noch gerechnet hätten. Präsident Obama schlug zurück:

    "Gouverneur Romney hat offensichtlich die Neigung, erst zu schießen und dann zu zielen. Und das geht nicht, habe ich als Präsident gelernt. Es ist wichtig, dass die Worte durch die Fakten bestätigt werden. Und dass man die Konsequenzen, dessen was man sagt, durchdenkt."

    Doch die Behandlung komplizierter Fragen, die sich gerade im Umgang mit den Staaten des Nahen Ostens nach dem arabischen Frühling stellen, eignet sich schlecht für den Wahlkampf. Und der Wahlkämpfer Mitt Romney hat nach Ansicht von Brian Katulis, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des linksgerichteten Center for American Progress, die Feuerprobe nicht bestanden. Die Kritik Romneys sei zu schnell gekommen, habe die Fakten verdreht, und sei angesichts des Todes amerikanischer Diplomaten pietätlos und nicht staatsmännisch gewesen. Andere republikanische Präsidentschafts-Kandidaten hätten solche Situationen besser gehandhabt – als Beispiel nennt Brian Katulis Ronald Reagan:

    "Als 1979 im Iran die amerikanischen Botschaftsgeiseln befreit werden sollten, und bei dem gescheiterten Befreiungsversuch ein Hubschrauber abstürzte, Menschen ums Leben kamen, da sagte Ronald Reagan, das ist nicht die rechte Zeit, um Wahlkampf zu führen, ich werde jetzt keine Kritik üben, es ist eher Zeit für ein Gebet."

    Aber auch angesichts des Unvermögens Mitt Romneys, die rechten Worte zu finden, bleiben Fragen an die Nahostpolitik der Obama-Administration. Seit der Kairoer Rede, in der Präsident Obama im Juni 2009 der islamischen Welt einen Neuanfang angeboten hat, hat sich zumindest am leicht mobilisierbaren Antiamerikanismus in der Region kaum etwas geändert – wie die aktuellen Ereignisse zeigen. Doch der arabische Frühling hat die Region und die Möglichkeiten amerikanischer Politik verändert – und dies trotz vieler Instabilitäten und Unklarheiten zum Positiven, meint Brian Katulis:

    "Die Entwicklungen in Tunesien und Ägypten sind insgesamt gut – bis jetzt jedenfalls. Sehr negativ ist die Entwicklung in Syrien, das in einem Bürgerkrieg versinkt. Aber im Moment geht es der Region besser, und den amerikanischen Sicherheitsinteressen ist besser gedient, als vor sagen wir sechs Jahren. Da hatten wir den Bürgerkrieg im Irak, bürgerkriegsähnliche Situationen im Libanon, und auch zwischen den Palästinenserfraktionen. Und Al Kaida war aktiv. Und wir haben diese Lage gedreht und sind jetzt in einer viel besseren Position."