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Naiver Enthusiast

Wolfgang Harich zählte zu den schillerndsten deutschen Intellektuellen bürgerlicher Herkunft, die sich den Kommunisten anschlossen. Vor 50 Jahren wurde er in der DDR verhaftet, weil er einen geradezu tollkühnen Plan zur deutschen Wiedervereinigung verfolgt hatte.

Von Manfred Jäger | 29.11.2006
    "Ich musste mich auch nackend ausziehen, mir haben sie auch in den Hintern geguckt. Ich dachte, die nehmen an, ich hätte da noch etwas im Hintern versteckt gehabt. Über diese Sache war ich nicht besonders gekränkt, die arbeiten eben so, das sind deren Methoden auf der ganzen Welt."

    Über solche Details der Verhaftung äußerte sich Wolfgang Harich erst, als es die DDR nicht mehr gab. Die Staatssicherheit nahm auch seine beiden Mitarbeiter Hertwig und Steinberger fest. Die offizielle Nachrichtenagentur ADN teilte lapidar mit, diese Personengruppe habe in Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdienststellen das Ziel verfolgt, die verfassungsmäßige Ordnung in der Deutschen Demokratischen Republik zu untergraben und zu beseitigen. Als Anführer wurde ein "Dr. Wolfgang Harich, von Beruf Lektor beim Aufbau-Verlag im demokratischen Sektor Berlins" genannt,

    Das Kommuniqué sparte so die Bedeutung des Inhaftierten aus, Die interessierte "geistige Welt" in Ost und West kannte ihn als brillanten Kritiker und Publizisten; er lehrte an der Ostberliner Humboldt-Universität Philosophie und war auch Chefredakteur der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie".

    1956/57 war die Parteiherrschaft in den meisten osteuropäischen Staaten in die Krise geraten, nachdem Chruschtschow auf dem XX. Parteitag in Moskau Stalins Verbrechen angeprangert hatte. Im geteilten Deutschland spielte die Wiedervereinigung damals noch eine wichtige Rolle. Harich, der deutsch-preußische Nationalkommunist aus Königsberg, bekämpfte militant den "Separatisten" Adenauer und wollte eine reformierte SED, die Ulbricht stürzte und die DDR so attraktiv gestaltete, dass zusammen mit der westdeutschen SPD ,die sich freilich "antiamerikanisch" profilieren sollte, ein einheitliches Deutschland erreichbar sei.

    Der naive Enthusiast übergab sein Memorandum dem sowjetischen Botschafter Puschkin, der Ulbricht informierte. Harich traf sich mit dem "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein und besprach sich mit dem SPD-Ostbüro in Westberlin, also mit einer im Sinne der SED feindlichen Agentenzentrale. Das sensible Bürgerkind hatte begründete Angst vor der Todesstrafe.

    "Die eine Möglichkeit war, die Wahrheit sagen und als Volkstribun auftreten und das Tribunal zur Szene machen. Das wäre tödlich ausgegangen. Die andere Möglichkeit war, die Wahrheit sagen und Reue zeigen. Das hat mir der Generalstaatsanwalt in der Voruntersuchung geraten. Er hat mir gesagt: Ich rate Ihnen sehr dringend, Reue zu zeigen. Das habe ich getan."

    Am 9. März 1957 verurteilte das Oberste Gericht der DDR Harich zu zehn Jahren Zuchthaus, von denen er acht Jahre und zehn Monate absitzen musste, zumeist in Einzelhaft. Danach durfte er nur über entlegene historische Themen forschen und schreiben. Der bewegliche hochbegabte Intellektuelle sah darin mit Recht ein über ihn verhängtes Berufsverbot.

    Der Altkommunist Walter Janka, Leiter des Aufbau-Verlags und organisatorischer Kopf der Oppositionsgruppe, wurde wenige Tage nach Harich ebenfalls verhaftet; Er hat in seinem Prozess alle Vorwürfe abgestritten und nach 1989 einen späten Streit über Mut und Feigheit vor den Tribunalen des Unrechts ausgelöst Janka hatte verinnerlicht, dass man nichts zugeben darf, bei den Nazis nicht und bei den Stalinisten nicht, ganz gleich, ob es nützt. Wolfgang Harich wollte aber kein Märtyrer und kein moralischer Sieger sein. So war er Opfer und Mittäter zugleich.

    "Ich bin verhaftet worden von diesem Apparat. Alles, was ich auch nur im geringsten zu leugnen, abzustreiten, zu verharmlosen suchte, sei es in meinem eigenen Interesse, um meine Lage zu erleichtern, sei es zum Zwecke der Entlastung anderer, erwies sich als völlig sinnlos, weil alles bereits bekannt war."