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Namensvater der Stromstärke

Ohne André-Marie Ampère wären das Telefon und der Kernspin-Tomograph nicht denkbar. Er forschte im 19. Jahrhundert mit großem Arbeitseifer im Bereich Elektrizität und Magnetismus. Das neue Forschungsgebiet bezeichnete er als Elektrodynamik.

Von Kay Müllges | 10.06.2011
    "Hier heran, Herrschaften, Bauern und Kinder! Kommen und schauen Sie die Merkwürdigkeiten des gewichts- und wesenlosen aber wundertätigen Fluidums Elektricita, das ohne jede erkennbare Ursache diese Korken und Bälle tanzen macht und starke Männer niederwirft."

    Es ist nicht überliefert, ob der Knabe André-Marie Ampère, geboren 1775 in Lyon, so einem Jahrmarktsschreier, der dem amüsierten Volk die geheimnisvollen Wirkungen der Elektrizität präsentierte, gelauscht hat. Aber möglich ist es durchaus. Jedenfalls war er wissenschaftlich sehr interessiert. Schon als 14-Jähriger hatte er alle 35 Bände der berühmten Encyclopédie durchgearbeitet, die das gesamte Wissen der Aufklärung versammelte. Seine wissenschaftlichen Arbeiten gehen zunächst allerdings in ganz andere Richtungen. Erste Berühmtheit erlangt er durch eine mathematische Abhandlung zur Spieltheorie, sie verschafft ihm auch die Eintrittskarte aus dem beschaulichen Lyon ins quirlige Paris. Dort lehrt er seit 1809 an der École Polytechnique und befasst sich mit Chemie und der Philosophie Immanuel Kants. Erst als der Däne Hans Christian Oerstedt 1820 zufällig den Elektromagnetismus entdeckt, begibt sich Ampère auf den Weg, der ihn berühmt machen wird. Der Wissenschaftshistoriker und Ampère-Experte Friedrich Steinle:

    "Der Oerstedtsche Befund ist ja zunächst relativ einfach., Sie spannen einen Draht, einen horizontal gespannten, stromführenden Draht, wie wir sagen würden, halten das über eine Magnetnadel und die Magnetnadel bewegt sich. Und Ampères ganze Serie von ersten Anstrengungen bezieht sich darauf, richtet sich darauf, für diese Ablenkung ein Gesetz zu formulieren."

    Während die Elite der Pariser Wissenschaftler den Zufallsfund des Dänen Oerstedt anfangs als eine nouvelle rêverie allemande, eine neue deutsche Schwärmerei, abtut, geht Ampère mit Feuereifer ans Werk. Zwischen September und Dezember 1820 präsentiert er nahezu im Wochenrhythmus neue Experimente über den Zusammenhang von Elektrizität und Magnetismus, mit denen er seinen skeptischen Kollegen zeigen kann, dass der fließende Strom die eigentliche Ursache des Magnetismus ist.

    "Ein anderer Punkt, der nicht zu unterschätzen ist, ist der, dass klar ist, von Anfang an klar ist, dass dieser neue Effekt höchst spektakulär ist. Dass jeder, der hier neue Ergebnisse erreicht, damit auch sichtbar wird, hohe Sichtbarkeit erlangt. Und das ist etwas, das Ampère in der Zeit gerne hat und gerne braucht, weil er seine berufliche Situation als unbefriedigend empfindet. Er hat mehrere Stellen gleichzeitig, muss viel reisen als Oberinspektor der französischen Lycées und das ist ein Posten, den er gerne loswerden will."

    Ein erstes Resultat dieser fieberhaften experimentellen Arbeit war die sogenannte Ampère'sche Schwimmerregel, eine Formel, die den Zusammenhang zwischen der Richtung des Stromes und des von ihm erzeugten Magnetfeldes angibt. Schon bald wendet er sich ausschließlich den elektrischen Strömen zu. Denn er vermutet: Wenn es eine Wechselwirkung zwischen Elektrizität und Magnetismus gibt, dann muss es auch eine zwischen verschiedenen elektrischen Strömen geben. Friedrich Steinle:

    "Lange Zeit gelingt ihm das nicht, diese Vermutung zu bestätigen. Erst als er dann mit wirklich teurem Geld die größte in Paris verfügbare Batterie kauft – dafür legt er von einem Moment auf den anderen ein halbes Monatsgehalt hin. Aber mit dieser Investition gewissermaßen gelingt es ihm tatsächlich, den von ihm erwarteten Effekt zu zeigen."

    Fließen zwei elektrische Ströme in die gleiche Richtung, ziehen sie sich an, fließen sie entgegengesetzt, stoßen sie einander ab. Dieses neue Forschungsgebiet nennt er Elektrodynamik. Dabei entdeckt er die Kraft, deren Einheit später seinen Namen tragen wird, die Stromstärke. Mit seinen Forschungen legt er den Grundstein für viele spätere Entwicklungen, ohne die wir uns heute unseren Alltag kaum vorstellen könnten: vom Telefon bis zum Kernspin-Tomographen. Ampère selbst denkt damals schon daran, einen elektromagnetischen Telegrafen zu entwickeln, kommt aber aufgrund zunehmender gesundheitlicher Probleme nicht mehr dazu. Reich gemacht haben ihn seine Entdeckungen nicht und auch die ungeliebten Inspektionsreisen zu Schulen überall im Land muss er bis zuletzt durchführen. Am 10. Juni 1836 stirbt er auf einer dieser Reisen in Marseille.