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Namibias Kirchen und die Kolonialzeit Teil 2
Versöhnung mit Hindernissen

Namibias evangelische Kirche ist gespalten in schwarz und weiß. Eine Folge der Kolonialzeit. Die Nachfahren der Herero und Nama vermissen echte Reue bei der weißen Schwesterkirche.

Von Birgit Morgenrath | 06.12.2018
    Die Evangelisch-Lutheranische Kirche in Swakopmund, erbaut im Jahr 1911. Sie ist das Kirchengebäude der Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia (DELK).
    Die drei lutherischen Kirchen Namibias ringen um einen gemeinsamen Umgang mit der Kolonialgeschichte des Landes. (Foto, Kirche in Swakopmund) (picture alliance / dpa-zentralbild / Thomas Schulze)
    Windhoek Katutura, "der Ort, an dem wir nicht leben möchten". Noch immer wohnen die meisten schwarzen Namibier in dem ehemaligen Township sieben Kilometer außerhalb der Stadt. Die Mandatsmacht des südafrikanischen Apartheidregimes hatte sie in den 1950er-Jahren dorthin verbannt. Im Wohnviertel der Nama steht die wuchtige "Macedonia"-Church, die mit ihrem klotzigen Turm eher einem Industriegebäude gleicht.
    Dort treffen wir Lorenst Kuzatjike, den Pfarrer der einzigen schwarz-weiß vereinten lutherischen Gemeinde. Er redet Klartext über die deutschen Brüder und Schwestern. Etwa darüber, dass der Bischof der kleinen "weißen" lutherischen Kirche DELK sich von Schulderklärung der EKD distanziert hat.
    "Unsere Leute waren bekümmert über diesen Brief von Bischof Brand gegen die EKD-Erklärung. Ich kenne die Mitglieder seiner Kirche, Deutsche, die Farmen und alles andere in ganz Namibia besitzen. Als Kirche – wie erklärt man seinen Gläubigen, was richtig ist?"
    Kuzatjikes Gemeinde ist eine große Ausnahme in Namibia. Entstanden nach der Unabhängigkeit 1990, weil viele Rückkehrer aus dem Exil die Trennung nach Hautfarben längst überwunden hatten. Die Macedonia-Gemeinde gehört dennoch einer der drei lutherischen Kirchen an, nämlich der ELCIN.
    Drei Kirchen finden nicht zusammen
    Diese Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia, ist im Norden des Landes beheimatet. Sie ist mit 700.000 Gläubigen, die meisten aus der Bevölkerungsgruppe der Ovambo, die größte Kirche des Landes und hat gute Verbindungen zur heutigen Regierungspartei SWAPO. Die ehemalige Befreiungsbewegung hatte unter den Ovambo die meisten Mitkämpfer rekrutiert.
    In der Mitte und im Süden des Landes sind viele Herero und Nama Mitglieder in der Evangelisch-Lutherische Kirche der Republik Namibia, kurz ELCRN, mit 400.000 Gläubigen. Die 5.000 Mitglieder der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, DELK, leben in Gemeinden über das ganze Land verteilt. Bis heute haben die drei Kirchen nicht zusammengefunden.
    Der resolute Pfarrer Kuzatjike hatte sich im Vorfeld der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Namibia letztes Jahr für eine Vereinigung der Lutheraner eingesetzt und die DELK gefragt:
    "Wollen Sie sich aus einem Land ausschließen, das sie Ihr Vaterland nennen? Wollen Sie sich absondern in einem Land, wo Sie angeblich mit Ihren ‚Brüdern und Schwestern' zusammenleben? Sind sie Ihre Brüder und Schwestern oder sind sie in Ihren Augen Sklaven und sollten in Ihrem Haus arbeiten?"
    Ganz anders stellen sich die Deutsch-Lutheraner in ihrer aktuellen Broschüre "Wegweiser" dar:
    "Die Beziehungen zu den lutherischen Schwesterkirchen sind vom Geist der Versöhnung geprägt. Die Probleme des Landes und die Probleme der Kirchen werden im UCC-NELC - in der gemeinsamen Kirchenleitung - offen besprochen. Zwischen den verschiedenen Bischöfen herrscht ein offener und kritischer Geist. Die Vorbereitung und die Durchführung der 12. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes hat die drei Kirchen noch enger zusammenwachsen lassen."
    Unterschiedlich versöhnlich
    Tatsächlich: Vertreter aller drei Kirchen bestätigen die gute Zusammenarbeit bei der Mammutaufgabe, die Versammlung mit 800 Delegierten aus aller Welt und Tausenden Gästen zu stemmen. Auch heute trifft man sich weiter in der Vereinten Kirchenleitung der lutherischen Kirchen Namibias, UCC-NELK, aber mit offenbar sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen. Erika von Wietersheim ist seit vielen Jahren in der deutsch-namibischen DELK aktiv:
    "Die DELK ist eigentlich was den UCC-NELK betrifft, im Augenblick die treibende Kraft. Das würde von den anderen Kirchen keiner sagen, aber der Bischof Brand hat angeregt, lasst uns doch eine gemeinsame Erklärung zum Genozid und zu der Stellung der Kirchen herauszugeben. Der Bischof Brand hat dann angeboten, ein Konzept zu schreiben hat es überall rumgeschickt, es ist nix passiert. Es stimmt einfach nicht, dass da so ein großes Interesse ist. Es gibt so viel andere Probleme, diese Armut in den Gemeinden, aber es ist schon zu einer Gewohnheit geworden, für alles die Deutschen verantwortlich zu machen. ‚Die DELK will ja gar nicht‘ - das stimmt nicht."
    Uhuru Dempers vom Sozialdezernat der Nama- und Herero-Kirche ELCRN sieht das völlig anders:
    "Es herrscht noch diese Spannung zwischen den schwarzen Namibiern und den Nachfahren der Deutschen, die alles abwehren. Die Lage [in den lutherischen Kirchen] ist festgefahren. Wir haben vor zwei Jahren mit Gesprächen begonnen aber wir können uns nicht darauf einigen: Ja, wir erkennen den Völkermord an, ja wir unterstützen die Resolution des namibischen Parlaments, dass Deutschland sich entschuldigen muss. Und wir wollen über Wiedergutmachung diskutieren."
    Die Geduld ist am Ende
    Dempers Geduld ist allmählich am Ende. Seine Kirche habe sogar zwei bekannte namibische Historiker eingeladen, um die Deutschen von der Tatsache eines Völkermordes zu überzeugen. Ohne Erfolg. Die deutschen Lutheraner verzögerten dadurch die Entscheidungsfindung auch im übergeordneten Vereinten Kirchenrat von insgesamt 13 namibischen Kirchen, CCN.
    Uhuru Dempers sagt: "Unsere Kirche, die ELCRN, hat das Problem auch dem namibischen Kirchenrat vorgelegt, aber auch dort gab‘s keine Fortschritte wegen dieser Meinungsverschiedenheiten zwischen den Lutheranern, die die Mehrheit der Christen ausmachen. Unsere Kirche hat dann beschlossen, alleine aktiv weiter zu machen und nicht länger auf irgendeinen Konsens zu warten."
    Auch der langjährige Generalsekretär des Vereinten Kirchenrates, Pfarrer Ngeno-Zach Nakamhela kann keine Initiative der deutschen Kirche erkennen, im Gegenteil. Der 72-Jährige erzählt, er habe allen drei Kirchen nach dem Großereignis der Versammlung des Lutherischen Weltbundes zur guten Zusammenarbeit gratuliert:
    "In diesem Glückwunsch habe ich geschrieben: Für uns Kirchen wäre es jetzt eine gute Sache, auf einer gemeinsamen Sitzung diesen ganzen Prozess zu reflektieren: Warum ist das so gut gelaufen? Gab es Hindernisse? Wenn ja, warum? Was haben wir daraus gelernt? Ich wollte herauszufinden, ob diese Versammlung die Vision einer Vereinigung der lutherischen Kirchen gestärkt hatte. Weil ich dachte: Lasst uns diesen Moment jetzt nutzen und festhalten anstatt ihn verstreichen zu lassen."
    Alles stagniert
    Die gemeinsame Kirchenleitung hatte Nakamhela als Koordinator dafür bestimmt, den Vereinigungsprozess voranzutreiben.
    Nakamhela erzählt: "Genau darüber bin ich enttäuscht. Jetzt, zwei Jahre nach der Versammlung, sieht es so aus, als habe dieses Ereignis das Kapitel geschlossen, in dem die Kirchen versucht hatten, EINE Kirche zu gründen. Ich habe sogar Geld für meine Aufgabe bekommen. Und dann dachte ich: das kann ich nicht weiter annehmen – für ein wirkungsloses Programm. Leider. Alles stagniert."
    Nicht nur die deutschen Lutheraner halten den Vereinigungsprozess auf. Die namibische Gesellschaft und die lutherischen Kirchen sind auch gespalten zwischen den Opfern des Völkermords, den Ovaherero und Nama und den der Regierungspartei nahestehenden Ovambo, die nie unter deutscher Kolonialverwaltung gestanden haben. Die DELK kritisiert, dass die Ovambo-Kirche lediglich Teil der Macht sein wolle."
    "Wen hat man denn um Vergebung gebeten?"
    Diese Kritik teilt - paradoxerweise – ein Vertreter der Opfer, der hochrangige traditionelle Führer der Ovaherero, Chief Vekuii Rukoro:
    "Sie müssen sich der Herausforderung stellen und sich nicht länger wie Schoßhunde der Politiker benehmen. Zurzeit haben sie nicht das Zeug, glaubwürdig eine Vermittler-Rolle zu übernehmen. Das betrifft auch die deutschen Kirchen."
    Nicht nur die in Namibia, sondern auch die in Deutschland. Vekuii Rukoro hatte der EKD bei der Übergabe von Gebeinen der Opfer des Völkermords Ende August ebenfalls Nähe zur Regierung vorgeworfen. Die Zeremonie hatte in der Berliner Friedrichstadtkirche während eines Gedenkgottesdienstes stattgefunden.
    Rukoro sagt: "Diese Übergabe fand also durch die Vermittlung der Kirche statt und sogar in einem Kirchengebäude. Als ob uns das beeindrucken würde. Das tat es nicht, denn für uns ist die Lutherische Kirche ein Mittäter in dieser ganzen grausamen Geschichte des Völkermords. Die EKD bat vor dem Lutherischen Weltbund um Verzeihung, was in unseren Augen einer dieser unangemessenen Schritte war. Wen haben sie denn um Vergebung gebeten?! Wir, die Opfer, bei denen sie sich hätten entschuldigen sollen, hat man damals nicht eingeladen."