Dienstag, 19. März 2024

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Narrative des Klimawandels
Soziologe Sighard Neckel: "Aufschwung des utopischen Denkens"

Vor drei Wochen rief das EU-Parlament den Klima Notstand aus. Die gesellschaftlichen Szenarien schwanken zwischen Apokalypse und Modernisierung durch Technik. Für nachhaltige Veränderungen bräuchten wir „positive Vorstellungen“ von der Zukunft, sagte der Soziologe Sighard Neckel im Dlf.

Sighard Neckel im Gespräch mit Anja Reinhardt | 15.12.2019
Der Soziologe Prof. Dr. Sighard Neckel
Der Soziologe Sighard Neckel leitet die Kolleg-Forschungsgruppe "Zukünfte der Nachhaltigkeit“ an der Universität Hamburg (© Sebastian Engels Fotografie)
Seit rund 50 Jahren weiß die Menschheit um die Folgen, die die Ausbeutung der Erd-Ressourcen für unsere Welt bedeuten. Mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore habe es in den Neunziger Jahren eine erste Klimabewegung gegeben, "die erste Mobilisierung um den Klimawandel herum. Und das hat sich jetzt in den letzten Jahren sehr zugespitzt. Allerdings muss man, auch wenn man auf die Klimadaten schaut, sehen, dass sich die Lage, auch der ökologische Zustand der Erde, tatsächlich eben auch dramatisch verschlechtert hat.", so der Soziologe Sighard Neckel, Leiter der Forschungsgruppe "Zukünfte der Nachhaltigkeit" an der Universität in Hamburg.
Apokalyptische Szenarien
Mittlerweile sehen wir uns mit apokalyptischen Zukunfts-Szenarien konfrontiert, speziell, wenn es um die so genannten "Tipping Points" geht, Kipppunkte wie das Abschmelzen des arktischen Eises. Niemand könne voraussehen, welche Kettenreaktionen das nach sich zöge. Viele Menschen erlebten die jetzige Zeit als eine Wendezeit "weil wir mit dem Klimawandel und mit anderen Veränderungen des Erdsystems damit konfrontiert sind, dass möglicherweise die elementaren Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, jedenfalls wie wir es bisher gekannt haben, zur Disposition gestellt sind."
"Es wird nach Sündenböcken geschaut"
Dem gegenüber stünden die Leugner des Klimawandels. "Es wird nach Sündenböcken geschaut, die dafür verantwortlich sind, dass die vermeintlich unproblematische Normalität des Lebens nicht einfach so weiter fortgesetzt werden kann. Das finden wir immer auch in der Geschichte menschlicher Gesellschaften. Ich glaube allerdings, dass die Klima-Leugnung vielfach tatsächlich auch von politischen und ökonomischen Interessen mitbestimmt ist." Schließlich werde uns immer mehr bewusst, dass man das Dogma des wirtschaftlichen Wachstums hinterfragen müsse. Den Green Deal allerdings, so wie ihn die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ankündigte, "verzichtet eigentlich auf starke sozialpolitische Impulse, sondern setzt darauf, dass man durch die Kräfte des Marktes, durch den Preismechanismus und durch technologische Innovation den Klimawandel in den Griff bekommen würde."
"Ein neuer Futurismus"
Nachhaltigkeit, so Sighard Neckel, könne man nur mit einer positiven Vorstellung von Zukunft erreichen, mit Utopien, mit "eine" neuen Futurismus", wie man ihn beim Geoengineering sehen könne. "So überraschend das klingen mag, aber wenn man mit Klimaforschern spricht, dann wird man mitunter auf den überraschenden Befund stoßen, dass sich auch ein neuer Fortschrittsoptimismus breit macht, weil man der Auffassung ist, dass am Ende letztendlich nur technologische Lösungen und eine Bewältigung dieser Probleme bringen können. Und weil man mit einer ziemlichen Selbstsicherheit sagt, dass man über technologische Innovationen es am Ende schaffen würde, wirtschaftlichen Wohlstand und Emissionen voneinander zu trennen."