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Narrenführer mit intelligent-kauzigem Humor

Ulrich Holbein lebt als Einsiedler im Wald des hessischen Knüllgebirges. Seit 1989 veröffentlichte er zahlreiche literarische Werke. Außerdem schrieb er Kolumnen für die Zeitung die Zeit und die "Süddeutsche Zeitung". Nun hat er zwei große und seitenstarke Bücher herausgebracht - monströs gebildete Karnevalsscherze - mit den kuriosen Namen "Narratorium" und "Weltverschönerung".

Von Richard Schroetter | 23.02.2009
    Wie oft schon wurde unsere immer enger werdende krisengeschüttelte Welt mit einem Narrenhaus verglichen. Gehören wir nicht alle dem Narrenvolk an? "Alles um uns herum ist Narrheit", lautet Sir John Falstaffs Credo aus Verdis letzter Oper. Diese Überzeugung mag den im Knüllgebirge residierenden Narrenexperten Ulrich Holbein dazu angeregt haben, seine eigene Narrenchronik, seine Narratologie und Narristik, eine Art globalen Narrenführer, genannt Narratorium, zu schreiben.

    Herausgekommen ist "Ein Kessel Buntes", "Ein Käfig voller Narren", in dem so unterschiedliche Charaktere wie Mohammed Ali, Adi Amin und Diogenes Platz gefunden haben, wie Quasimodo und Peter Sloterdijk, wie Nasruddin Hodscha, Jürgen von der Wense und Zhuangzi.

    "Ja insgesamt schwebte mir vor, eine gute Mischung aus völlig bekannten Leuten wie Don Quichote, Jesus, Buddha, und riesigsten Namen der Weltkultur und Religionsgeschichte zu bringen. Und dann diese Seitenabteile, subkulturellen Strömungen ..."

    Holbein ist bei seinem Projekt höchst anachronistisch, das heißt, sehr subjektiv vorgegangen:

    "Ich habe erstmal meine eigenen Lieblinge und Hausgötzen daraufhin abgecheckt. Aber viele waren auch zu normal. Also wer jetzt Goethe vermisst, das is nen bisschen Unsinn, der ist nicht zu extrem. Alle Narren, die jetzt drin sind, alle 266 sind in einer gewissen Weise extrem. Und das ist nicht jeder.

    Ein Kriterium, könnte man denken, wäre Humor. Aber es sind auch humorlose Narren drin. Zum Beispiel B. Osama Bin Laden ist drin, aber an dem hat auch keiner einen Funken Humor entdeckt. Während der ebengenannte Gadaffi, der macht auch so dadaistische Aktionen, wie dass er mit ner Kamelherde da auf Weltkongressen, wo nur Schlipsträger herumlaufen, da kommt er plötzlich und lehnt den Sektempfang ab und bringt seine Kamelstutenmilch mit, und hat da seine weibliche Leibgarde, und kommt da im Wüstenburnus zum Krisengipfel, also das wirkt schon nen büschchen extrem.

    Also zum Teil sind es da sehr bekannte Gestalten, die da einfach nicht fehlen dürfen, wie Filippo Neri. Das ist so ein Kirchenheiliger, der gleich heilig gesprochen wurde, aber der ist bekannt, dass er Humor hat. Das haben die Kirchenheiligen fast gar nicht. Er ist sehr sympathisch, sehr katholisch, und sehr humorvoll. Und das ist ein Ruhmesblatt für die sonst nicht ganz so herrliche christliche Kirchengeschichte.

    Jetzt meine Lieblinge sind mehr in der Historie zu finden oder die mir wirklich wahlverwandt sind. Also so persönliche Hausgötter, da würde ich Jean Paul nennen, Geladin Rumi und Tschuang Tsi, der lebte 450 vor Christus, dem fühle ich mich irgendwie geistig nahe. Weil der auch Satire und Mystik verbindet mit Philosophie, und das kriegen viele nicht so hin. Also, viele Dichter haben oft nur eins davon oder zwei davon, aber nicht drei von den verschiedenen Funktionen, die sich sehr oft ausschließen in einem Geist : Mystik, Satire und philosophisches Denken, und den dementsprechenden IQ dafür."

    Man merkt bei flüchtiger Lektüre: Der Verfasser des Narratoriums hat etwas gegen bürgerliche Menschen. Gegen Schlipsträger, Staatsbeamte, "akademische Sesselpupser". Das sind in seinen Augen nur halbgare (bedauernswerte) Erscheinungen. Die findet er einfach nicht interessant genug, um in den Narrenorden aufgenommen zu werden. Das verstehen wir schon. Aber nicht, dass Dieter Bohlen und Nina Hagen Don Quixote oder Karl Valentin vorgezogen wurden. Schwamm drüber. Es gibt scheinbar genug Ersatz:

    "Also absolut alle können nicht drin sein, das geht nicht in ein Buch. Aber eigentlich grundsätzlich kann man sagen, alle sind drin. Alle, an die Sie je dachten: von Hans Jürgen von der Wense bis Oshu, Bhagwan, Sexguru sind alle drin: Zölibatäre, Massenmörder und Heilige, auch sehr unheilige Leute."

    "Les extremes se touchent." Das könnte die Devise für Holbeins Narratorium sein:

    "Also es sind da so ein paar Massenmörder drin wie Idi Amin, der auch sehr exzentrisch ist, und Hitler und Gadaffi. Gadaffi ist auch sehr exzentrisch - und hat jetzt nicht Millionen auf dem Gewissen. Aber er hat da auch keinerlei Hemmung so als Staatsmann. Also solche Typen sind auch drin. Die Gemeinsamkeit mit Franz von Assisi und sogenannten Heiligengestalten besteht oft darin, dass der Lebenslauf doch merkwürdig ähnlich verläuft.

    Jeder folgt irgendeiner törichten Idee, die er vorwärts peitscht gegen alle möglichen Widerstände und sein ganzes Leben hinschlachtet für ein Wahnsystem. Für irgendetwas kämpft er und drückt das durch. Und bei Hitler war es mit den bekannten Folgen, bei anderen war es ne harmlosere Idee, eine Religionsidee, eine Privatreligion. Und wenn sie es schaffen, das durchzuboxen, dann wird es halt ne Weltreligion. Und wenn sie es nicht schaffen, dann bleibt's ne Sekte."

    Es gibt so etwas wie einen Basso Continuo in diesem auf den ersten Blick etwas durchgedrehten Buch. Da ist Holbeins Hang zum Spirituellen, seine Vorliebe für die sich berufen fühlenden predigenden Typen der Subkultur samt ihrer Vorläufer und Wiedererwecker.

    "Diese Naturprediger. Wanderprediger, die ziehen sich durch diese ganzen sechstausend Jahre Kulturgeschichte hindurch. In der Antike sind die als verlotterte Zyniker als Hundephilosophen herumgelaufen, innerhalb des Islams sind die zweitausend Jahre als Sufis herumgelaufen. Auch so wanderpredigende Gestalten, die sich auch der Staatsreligion nur mit Mühe angepasst haben.

    Und dann gab's ne Schwemme von diesen Natur und Wanderpredigern um 1900 und 1920 zur Wandervogelzeit, da sind das Gustav Nagel, Gustav Gräse und alle tickten ein bisschen verschieden. Der eine ein bisschen mehr christlich, der andere mehr so von chinesischer Laotse-Weisheit inspiriert. Und die sind zu der Zeit mit langen Haaren, vegetarisch, Pazifismus, freie Liebe, das waren ihre Ideale.

    Das waren geradezu die Ur-Hippies. Aber einzelne Gestalten, die sehr sprachmächtig waren, auf Spruchbändern und so. Und später wurde das ne Massenbewegung - in den 60er Jahren, da sind Hunderttausende so herumgelaufen, aber da war’s die Hippie-Bewegung auch schnell subkulturell engagiert, auch schnell verblüht."

    Einige dieser Hippies sind alte Freunde des Autors:

    "Es sind persönliche Freunde von mir drin, die auch ziemlich närrisch sind. Es gibt ein paar Hippie-Gestalten aus der subkulturellen Szene wie Micky Remann, Werner Pieper, Ewald Rumpf, die kenne ich auch selbst."

    Diesen befreundeten Narren begegnet der Leser auch in Holbeins "Weltverschönerung". Dieses nicht ganz so umfangreiche Buch dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Man könnte es als Kommentarband zum Narratorium lesen, man könnte aber auch umgekehrt sagen, das Narratorium sei der gelehrte Anmerkungsapparat zur "Weltverschönerung".

    Was im Narratorium etwas zu lexikalisch aneinandergereiht - und bisweilen auch zu betont um Originalität bemüht und bildungsschlaghammerartig daherkommt - jedoch das sei hinzugefügt: Nie langweilig ist - das wirkt gerade in den grotesken Dialogen mit Heinz-Otto und Micky aus der Weltverschönerung ("Kurz vor Weihnachten im Fleischwolf" oder "Höhenflüge für Humpelpilger") unangestrengt diatribisch und aufs Schönste verlebendigt. Bei all dem zeigt sich, dieser selbsternannte "Zuspät-Romantiker", "Müsli-Mysticus" und "Polysoph" ist eben auch ein glänzender Satiriker. Das hört der Narratoriums-Dichter allerdings gar nicht so gerne:

    "Ich zeige satirische Elemente, aber ich wäre weit davon entfernt, mich damit zu begnügen bloß ein Satiriker zu sein, obwohl es da auch das höchste Niveau in der Satire gibt. Karl Kraus zum Beispiel wird als Satiriker genannt, aber wenn man heute Fernsehsatiriker daneben hält ist das so flach wie ein Heino-Schlager neben den Beethoven letzten Streichquartetten. Also Satiriker bin ich. Aber wenn ich nur das wäre, dann wär's nur zum Gaudi, in höchster Verzerrung. Was soll's.

    Also, Lachnummern wären dann alle, Juxfiguren. Das soll es nicht sein, sondern, da ja sehr viele mystisch funktionieren, also ekstatische Funktionäre sind - ein Satiriker entwickelt ja keine spirituelle Ader, sondern verulkt etwas, was er selber nicht hat - das will ich nicht. Ich möchte auch die Affinität haben zu den Leuten. Also mit vielen sympathisiere ich sehr.

    Das merkt man auch. Mit anderen weniger. Es gibt sehr unerfreuliche Gestalten darin, und sehr extreme Intelligenzunterschiede, und extreme Humorunterschiede. Es ist so das ganze Spektrum, was so an Charakteren möglich ist, und an Gesellschaftsschichten möglich ist, das ist drin. Es sind totale Dumpfbeutel und Dummköpfe drin, und es sind ganz wundervolle Dichterdenker drin, die sowohl Satiriker sind wie Denker, wie höchste Humoristen wie Jean Paul, der verschiedene Teilfunktionen vereint in einem einzigen Gehirn."

    Auch das wollen wir nicht unerwähnt lassen :

    "Also da gibt's auch wunderbare Fotos … also die Fotos bieten mehr als die halbe Miete."