Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Nasca-Kultur
Rätselhafte Linien in Peru

Riesige Zeichnungen von Tieren und Menschen, in den Wüstenboden geritzt, kennzeichnen die Nasca-Kultur in Peru. Seit über 20 Jahren zählen sie zum Weltkulturerbe. Von einem Flugzeug aus können Touristen die 30 bis 40 Zentimeter tiefen Linien und geometrischen Formen in ihrer ganzen Schönheit betrachten.

Von Rocco Thiede | 16.09.2018
    Ein Blick aus der Luft auf den Spaceman, eine menschliche Figur, die aus großer Höhe im Nasca-Gebiet sichtbar ist
    Die Figur des Spaceman im peruanischen Nasca-Gebiet (imago stock&people)
    In Sichtweite der Panamericana empfängt uns Pedro: musikalisch in seinem bunten Keramikladen. Etwa 450 Kilometer südlich von Perus Hauptstadt Lima am Rande der 25 000 Einwohnerstadt Nasca spielt Pedro Crisostomos auf Flöten, Trommeln und anderen selbst hergestellten Instrumenten. Alle diese bunten und mit Figuren oder Ornamenten bemalten Musikinstrumente sind historischen Vorbildern nachempfunden und entstanden lange vor der Inka-Zeit. Darunter sind auch Instrumente der Nasca-Kultur, einer indigenen, untergegangenen Zivilisation, die sich hier in einer der trockensten Wüsten der Welt zwischen 200 vor bis 600 nach Christus entwickelte.
    "Ich bin kein Musiker." gibt Pedro zu, der sich noch auf diversen Vogelwasserpfeifen probiert. Neben den nachgebauten Instrumenten stehen noch eine Reihe weiterer manuell produzierter Keramiken zum Verkauf, darunter eine große farbig gefasste Büste einer älteren Frau mit Brille: "Das ist Maria Reiche, und alle lieben sie sehr hier in Peru und in Nazca, sagt Pedro, und betont: Vor Maria Reiche, hat uns hier niemand gekannt und nun wollen auf einmal alle nach Nazca kommen. Dank ihr, dank Maria Reiche aus Dresden in Deutschland."
    "Das südliche Gebiet von Peru ist Nasca und ist in den letzten zehn Jahren attraktiv geworden, weil Maria Reiche hier studiert hat und hat uns auch bekannt gemacht hat. Wegen Maria Reiche sie die Nasca-Linien ist Weltkulturerbe", betont der Touristenführer Edwin Medina, der auch Gruppen aus Deutschland durch Peru und die Provinz Ica führt. Einige aus seiner Reisegruppe wie Herbert Riesterer und Norbert Langer ergänzen: "Das hat mich schwer beeindruckt, die Lebensleistung so einer Forscherin. Die Peruaner haben ja den Hut abgenommen vor dieser Frau, was die geleistet hat. Was die ihrem Land an Kultur bewahrt und gezeigt hat, da gab es sogar Geldscheine, Briefmarken wo sie drauf war."
    Maria Reiche: Pionierin bei der Erforschung der "Nasca-Linien"
    Maria Reiche ist mit Sicherheit vielen Menschen in Peru stärker bekannt als in Deutschland. Sie gilt als Pionierin bei der Erforschung der seit über 20 Jahren zum Weltkulturerbe zählenden sogenannten "Nasca-Linien" - die Wissenschaft spricht von Geoglyphen. Als junge Frau ging die 1902 in Dresden geborene Maria Reiche als Lehrerin in die Provinz Ica und widmete sich in ihrer Freizeit bis zu ihrem Tod 1998 der Erforschung und Bewahrung der riesigen Wüstenzeichnungen. Heute beschäftigt sich der Altamerikanist Professor Markus Reindel vom Deutschen Archäologischen Institut als Wissenschaftler mit der Archäologie, Geschichte und Religion der Nasca-Kultur. Sieht er sich als ein Erbe von Maria Reiche?
    "(lacht) Nein eigentlich nicht. Man könnte sagen, der zeitliche Nachfolger. Es ist ja so, dass Maria Reiche enorm viel für das Bekanntwerden und insbesondere für den Erhalt der Geoglyphen gemacht hat – insbesondere in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit in den 40er und 50er Jahren. Maria Reiche war ja keine studierte Archäologin und hatte somit auch nicht unmittelbar den Zugang zu den Methoden und Techniken. Wir sind auf das Thema gestoßen am Ende der Lebenszeit von Maria Reiche als das ganze Thema Nasca-Kultur und insbesondere die Geoglyphen diskutiert wurden und in Gefahr waren. Ich habe sie noch kennengelernt. Sie war aber sehr alt und blind."
    Wer die Schönheit und ganze Dimension der Nasca-Linien und Bilder erfassen will, muss in die Luft gehen und sie von oben betrachten. Nur vom Flugzeug aus sind die in den steinigen Wüstenboden eingescharrten, etwa 30 bis 40 Zentimeter tiefen Erdzeichnungen und geometrischen Formen klar zu sehen.
    Mit einem "Guten Morgen", begrüßt Pilot Heiro seine Gäste an der Cessna auf dem Rollfeld des Regionalflughafens von Nasca. Mit dem kleinen Sportflugzeug fliegt man etwa 35 Minuten und zahlt dafür um die 100 US Dollar. Auf dem 525 Quadratkilometer großen Hochplateau mit über 500 Darstellungen werden den Gästen 14 der bekanntesten Figuren präsentiert. Es ist ein klarer Morgen. Blauer Himmel. Kein Wind. Es wird ein angenehmer Flug ohne Turbulenzen über die "Linien und Geoglyphen von Nasca" werden.
    "Das sind große Zeichnungen auf dem Wüstenboden. Wobei der Begriff Zeichnungen impliziert ja immer, dass das Bilder sind die gesehen werden sollten. Und man weiß ja, dass die Figuren, von denen es ja gar nicht so viele gibt, am besten aus der Luft zu betrachten sind", erklärt Markus Reindel vom DAI, dem Deutschen Archäologischen Institut in Bonn. "Nach langen Jahren der Forschung sind wir der Meinung, dass das nicht der Hauptzweck dieser Bodenzeichnungen ist, sondern diese Geoglyphen genutzt wurden, für rituelle Handlungen und zwar von den Menschen, die unmittelbar dabei gelebt haben. Auf den wüstenhaften Hochflächen zwischen den Tälern waren diese Geoglyphen angebracht."
    2500 Jahre alte Figuren
    In etwa in 300 Meter Höhe dreht der Pilot einmal von links und dann von rechts eine Runde, so dass man ohne Probleme die Zeichnungen mit bloßem Auge unter dem Flügel der kleinen Cessna erkennt.
    Zur rechten sind Dreiecke zu sehen. Einige der längeren Linien schauen wie Landebahnen aus. Die erste Figur, welche man erblickt, ist der sogenannte Astronaut. Ein Mann scheinbar mit Stiefeln und einem runden Kopf: 2500 Jahre alt, erklärt der Pilot über Mikrofon und Kopfhörer. Dieses Bild passt besonders gut zu der Idee einer prähistorischen Astronautik des Schweizer Bestsellerautors Erich von Däniken. Seiner Meinung nach haben Außerirdische diese Zeichnungen als Botschaft hinterlassen. Doch bei der Interpretation der Bilder haben seine pseudowissenschaftlichen Theorien keine Bedeutung, wie Markus Reindel erklärt: "Also Erich von Däniken spielt für uns eigentlich keine große Rolle, das wäre auch mit wissenschaftlichen Argumenten leicht zu widerlegen. Aber wenn man sich ein bisschen in die Nasca-Kultur reinvertieft, dann merkt man, dass doch die Religion eine ganz große Rolle spielt."
    Markus Reindel beschäftigt sich seit Jahrzehnten als Wissenschaftler mit der Nasca-Kultur. Über zwanzig Jahre hat er im Süden Perus gelebt.
    "Wenn man mal in dem Gebiet gereist ist, da ist man doch fasziniert und in den Bann gezogen von dieser Landschaft. Wir sind ja in einer der trockensten Wüsten der Welt. Wasser spielt sicher eine ganz große Rolle. Und die Menschen haben in ihrer Religion bestimmt um dieses Wasser gefleht. Darum drehte sich die Religion und das sehen wir in allen Darstellungen und auch in den Grabungsbefunden. So können wir auch die Darstellungen interpretieren und die Gottheiten, die als eine Art Fruchtbarkeitsbringer, die Bringer des Wassers betrachtet werden."
    Affe, Kolibri, Spinne
    Von oben entdeckt man einen Affen. Kurz darauf taucht unten der Kolibri auf, der als Symbol und Logo für den Peru-Tourismus fleißig vermarket wird. Dann ist ein Orca zu sehen und wenig später die Spinne.
    Alle Figuren sind nach Auskunft unserer Flugbesatzung 40, 50, 60 Meter lang und breit. Dann kommen die größten Tiere: der Pelikan 500 Meter und der zweitgrößte der Flamingo: 300 Meter auf der linken Seite.
    "Die Nasca-Linien das ist atemberaubend. Ich habe viel davon vorher schon gelesen. Ich wusste, das ist bombastisch. Dass es eine riesen Fläche ist, aber wenn man noch einmal drüber fliegt – einfach unglaublich!", schwärmt Benjamin Riedel aus Sachsen und Norbert Langer aus NRW ergänzt: "Wir hatten beim Herfahren an diesem Aussichtsturm gehalten. Aber später sind wir noch einmal über dieselbe Stelle geflogen und der Eindruck war hundertfach schöner."
    "Wir sind auf einer dreiwöchigen Reise durch Peru. Die Nasca-Linien haben wir schon überflogen und jetzt setzen wir uns ein bisschen mit der Totenkultur auseinander. Ja es ist ein bisschen befremdlich. Die Begeisterung darüber trotz aller Liebe zur Kultur hält sich bei mir in Grenzen", meint Herbert Riesterer aus Villingen-Schwenningen auf einem antiken Friedhof mit Mumien. Sein Mitreisender Norbert Langer fügt hinzu: "Wir haben gerade gesagt, so werden wir alle irgendwann einmal enden. Zu Staub werden, so heißt es ja immer aus Staub geworden und wieder zu Staub werden."
    Der Friedhof ist über 2000 Jahre alt, erläutert der Reiseführer Carlos auf Englisch. Man glaubte an die Wiedergeburt. Das sei der Grund, warum man heute die guterhaltenen Mumien hier in dieser Fötusposition findet. Ihre Haare und Haut hätten sich aufgrund der Trockenheit so gut erhalten. Ganze Familien gäbe es hier, sogar mumifizierte Babys.
    "Leider wurden viele Gräber von Räubern geplündert. Jetzt wird der Friedhof Tag und Nacht von der Polizei und einem Sicherheitsdienst bewacht, sagt Carlos, was die Grabräuber nun fernhält. Aber es gäbe immer noch ungeöffnete Gräber, die ihre Geheimnisse bisher nicht freigaben."
    Gut erhaltene Fundstücke in den Grabkammern
    Nun zeigt er ein Familiengrab, welches Wissenschaftler bereits untersuchten und DNA-Proben nahmen. Der Eingang zum Grab blieb immer geöffnet. Wenn wieder jemand verstarb, wurde er an der Seite seiner Verwandten beigesetzt. Aber viele Sandstürme über Jahrhunderte füllten die Gräber auf und verschlossen sie. Neben den Toten sind als Grabbeigabe Muschelschalen aus dem Pazifik zu sehen. Die Forscher fanden auch organische Reste von Bohnen, Kartoffeln, Pilzen oder Früchten. Große Bewunderung finden die gut erhaltenen Textilien, deren schönste Exemplare in den Museen der Hauptstadt Lima präsentiert werden. Alles Originale und in guter Qualität, weil es hier immer trocken war und sie nie feucht wurden. Deshalb blieben auch die langen Haare der Toten erhalten.
    Zwei Meter zehn lang! Sie wurden wohl niemals abgeschnitten. Je länger die Haare, desto größer die Kraft, war der Glaube. Es waren wohl wichtige Persönlichkeiten. Aber den Schmuck haben bereits die Räuber aus der Region hier gestohlen. Für die Mumien bekamen sie kein Geld und beließen sie in den Gräbern. Grabräuber handeln respektlos und missachten die Totenruhe. Brigitte Riesterer aus der deutschen Reisegruppe: "Gut, das hätte ich jetzt nicht unbedingt sehen müssen. Es tut mir leid, dass die Grabräuber da unterwegs waren und dass man das jetzt so hindekoriert, damit wir was zu sehen haben. Jetzt sterben sie noch ihren letzten Tod indem sie jetzt endlich verwesen können, weil sie an der Luft sitzen."
    "Orlando meine Name. Ich bin Reiseführer hier, 20 Jahre. Nasca ist nicht nur die Nasca-Linien. Nasca ist mehr. Cahuachi ist der Tempel von der Nascas. Es gibt 100 Pyramiden. Cahuachi: Sieben Kilometer lang, 3,6 Kilometer breit, es gibt 100 Stufenpyramiden. Alles mit Lehmziegel mit viele Korridoren, wir finden da viele Zeremonienplätze - viele Rituale."
    Attraktives Reiseziel für Touristen
    Die Ausgrabungen des riesigen Tempelbezirks sind noch nicht abgeschlossen. Für den Reiseführer Orlando sind die schweren Erdbeben - das letzte vor mehr als 20 Jahren mit über 600 Toten - nicht die größte Gefahr und das größte Problem für die Region, sondern die globalen Klima- und Wetterprobleme: "Nein, die Erdbeben sind keinn Problem. 1996 zerstörte ein Erdbeben Nasca. Die Erdbeben zerstören aber nicht die Linien. Die Linien zerstören nur die Menschen und das Wasser. El Nino ist das Problem."
    Auf dem Rückweg nach Lima machen wir noch Station in Ica und sehen, wie in der Provinzhauptstadt die Erdbebenschäden beseitigt werden. Viele Gotteshäuser stürzten damals ein – auch die Kathedrale, die gerade als Neubau wieder entsteht. Letzte Station ist Paracas. Hier gibt es ein großes Naturschutzreservat mit roten Sandstränden am Pazifik, beeindruckende Ablagerungen mit versteinerten Muscheln, und ein Museum, mit Ausgrabungsfunden der Paracaskultur. Im eintrittspflichtigen Reservat kann man Flamingo-Kolonien beobachten. Am frühen Morgen werden organisierte Bootsfahrten zu den Ballestas-Inseln angeboten. Schon am Hafen grüßt ein Pelikan auf einem bunten Fischkutter die Ausflügler, zu denen auch Jessica und ihr Freund Björn aus Heidelberg gehören. Beide machen gerade eine Reise rund um die Welt und sind nun für drei Wochen im Süden Perus. Björn zählt die Etappen auf, während der Bootsmotor dröhnt: "Als nächstes Ica, dann Arequipa, dann geht’s nach Puno, Nasca-Linien, auf den Machupicchu gehen wir hoch."
    Warum die beiden Mitzwanziger auf ihrer einjährigen Weltreise durch 13 Länder auch Peru ausgewählt haben, begründet Jessica so: "Ich habe super viele tolle Bilder aus Peru gesehen und es hat einfach irgendetwas mystisches, die ganzen Ruinen."
    Riesiges Scharrbild in Form eines Kaktus
    Auf dem Weg zu den Inseln sehen die Bootsfahrer an Land ein riesiges Scharrbild – in Form eines Kaktus. Ähnlich wie in Nasca gibt es zudem auch Candelabro de Paracas – Kerzenleuchter von Paracas genannt.
    Manuel, unser Guide, erklärt erst in Englisch und dann in Spanisch einige Theorien zu seiner Herkunft und Bedeutung. Eine davon besagt, dass das Bild Teil der Paracas Kultur ist und um 300 vor Christus entstand. Damit wäre es älter als die Nasca-Figuren und Linien. Vermutlich diente dieses Bild als eine Art Leuchtturm für Piraten, weil man es auch in 20 Kilometer Entfernung noch sieht. So wie in Nasca spukt auch hier die Alien-Theorie herum.
    Alle an Bord sind wegen der Tierbeobachtung aufgeregt und staunen. Kameras und Handys werden gezückt und reichlich Fotos gemacht: von den Seelöwen, den Humboldtpinguinen und den exotischen, unter Naturschutz stehenden Vögeln, darunter einige sehr seltene Arten mit feuerroten Schnäbeln. 20 Meter starke Schichten von Guano hat es hier einst gegeben. Dann fordert Manuel alle auf, auf ihre Köpfe zu achten und sich zu schützen. Denn Tausende Vögel fliegen kreischend über die Bootsausflügler und da fällt schon mal etwas runter … Auf den Inseln soll es über 2000 Seelöwen geben. Ihre Rufe kann man bis an Bord hören.
    Wieder an Land schwärmen Jessica und Björn noch immer. Was sie auf der gut zweistündigen Fahrt alles erlebten, werden sie so schnell nicht vergessen: "Die Bootsfahrt war sehr interessant. Wir haben sehr viele Tiere gesehen. Sehr viele Seelöwen und sogar ein paar Pinguine – leider zu wenig. Auch dieses Konstrukt im Sand oder Stein, das aussieht, wie ein Kaktus, war auch sehr spektakulär, weil wenn man das von 20 Kilometern Entfernung noch sehen kann, ist das wirklich sehr beeindruckend. Ich glaube auch, dass die Theorie mit den Aliens stimmt, das die Aliens das in den Stein gemeißelt haben (lacht) . Ich glaub nicht, dass es die Aliens waren. Aber sieht schon komisch aus, man kann sich nicht vorstellen, wie es dahin kommt. Vielleicht die Piraten?"
    Doch es gab nicht nur viel zu sehen, denn die Seevögel hinterlassen auf den Inseln ihren Kot. Guano wurde viele Jahre industriell abgebaut. Denn es ist ein wertvoller Stickstoff- und phosphathaltiger Naturdünger. Und das, kann man nicht nur sehen: "Ja, das stimmt, das hat schon gut gerochen (lacht)."