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Nasenspray für die Kleinen

Seit diesem Herbst werden in Großbritannien auch Kinder gegen die saisonale Grippe geimpft. Damit wollen die Behörden gleichzeitig die gesamte Bevölkerung schützen - denn wenn die Kleinsten keine Viren mehr aufschnappen, können sie diese auch nicht an ihre Familien weitergeben.

Von Marieke Degen | 21.10.2013
    Die Briten wappnen sich gegen die Grippe – und das seit neuestem von klein auf. Seit September können sich Kinder routinemäßig impfen lassen, mit einem neuen Impfstoff, der, ganz ohne Nadel, in die Nase gesprüht wird. Kleinkinder bekommen den Sprühstoß beim Kinderarzt, die älteren in der Schule. Jedes Jahr. Das ist der Plan des National Health Service.

    "Ich denke, das ist ein sehr guter Ansatz, um Grippeepidemien und ihre Folgen abzuschwächen."

    Marc Baguelin arbeitet für Public Health England, eine Agentur des britischen Gesundheitsministeriums. Er erstellt mathematische Modelle über die Verbreitung von Grippeviren. Und dabei, sagt er, spielen Kinder eine ganz zentrale Rolle. Weil sich der Immunschutz gegen die Grippe erst über Jahre aufbauen muss, sind sie generell anfälliger. Und: sie gehen in die Schule, wo sie immer mit anderen Kindern zusammen sind.

    "Kinder haben durch die Schule einfach sehr viele Kontakte. Sie infizieren sich leichter, tragen die Viren dann gleich in ihre Familien und stecken ihre Geschwister an. Das ist vor allem während der Schweinegrippe vor vier Jahren gut dokumentiert worden: Wenn eine Grippe-Epidemie erstmal die Schulen erreicht, explodieren die Zahlen förmlich."

    Wenn man Kinder gegen Grippe impft, haben alle etwas davon - davon ist Marc Baguelin überzeugt:

    "Wenn nur die Hälfte aller Kinder zwischen fünf und 16 Jahren geimpft wäre, dann würde das dazu führen, dass wir die Krankheits- und Todesfälle in allen Altersgruppen halbieren könnten."

    Die Briten wagen einen regelrechten Paradigmenwechsel. Bislang hat man auf der Insel hauptsächlich diejenigen geimpft, bei denen eine Grippe besonders schwer verläuft – Schwangere, chronisch kranke und ältere Menschen. So wird es von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen, und so wird es in den meisten Ländern auch gemacht. Jetzt fahren die Briten eine neue Strategie: Sie setzen auf die Herdenimmunität. Sie impfen zusätzlich die Hauptverbreiter – und schützen damit indirekt die Risikogruppen. Ein interessanter Ansatz, findet auch Jan Leidel, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission am Berliner Robert-Koch-Institut.

    "Im Moment ist es noch so, dass die Ständige Impfkommission ja die Grippeimpfung für Kinder nur dann wirklich empfiehlt oder nahelegt, ans Herz legt, wenn die Kinder durch eine vorbestehende Grundkrankheit besonders gefährdet sind. Aber es gibt mehr und mehr die Überlegung, doch auch Kinder zu impfen – auch zu deren eigenem Schutz natürlich – und auch die STIKO wird sich auch mit dieser Frage beschäftigen. Denkbar ist das."

    Allerdings: Im Moment sind noch viele Fragen offen, sagt Jan Leidel.

    "Wie effektiv ist das mit der sogenannten Herdenimmunität tatsächlich, in welchem Umfang wird es tatsächlich gelingen, Krankheitsfälle, Todesfälle zu vermeiden. Fragen, die wir uns auch noch stellen, sind: Was bedeutet es letzten Endes, wenn man Kinder jedes Jahr gegen Influenza impft? Da gibt es ja auch noch keine wirklich guten Erkenntnisse. Und schließlich haben wir auch so ein bisschen die ethische Frage: Ist es gerechtfertigt, Kinder zu impfen, um die Großeltern zu schützen - um es mal so zu formulieren.?"

    Selbst wenn das britische Impfprogramm hält, was es verspricht: Etwas Vergleichbares in Deutschland aufzuziehen wäre schwierig. Ein schulbasiertes Impfprogramm ist hierzulande nicht möglich – zu viele Hürden im föderalen Schulsystem. Außerdem sind die Deutschen sehr impfkritisch. Es ist fraglich, ob die Eltern überhaupt mitmachen würden.

    "Man müsste das wirklich mit einer großen Informations- und Aufklärungskampagne kombinieren. Und auch da weiß man nicht, was dabei wird. Denn wir sehen es ja bei den Masern zum Beispiel, wie schwierig es ist, diese Impfung tatsächlich umzusetzen."