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Nationales Bildungspanel gestartet

Die meisten Bildungsstudien wie zum Beispiel die Pisa-Studie sind bloß Momentaufnahmen der derzeitigen Bildungsrealität. Im Gegensatz dazu sollen nun auch langfristig Daten erhoben werden. Hans-Peter Blossfeld leitet das neueingerichtete Nationale Bildungspanel. Er erhofft sich durch die Langzeitstudie Antworten, wie sich die Ausbildung der Befragten von ganz jungen Jahren bis ins Berufsleben hinein entwickelt.

Hans-Peter Blossfeld im Gespräch mit Kate Maleike | 20.10.2008
    Kate Maleike: Heute Vormittag um 11:00 Uhr wurde in Berlin der Startschuss für ein Forschungsprojekt gegeben, das es so in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben hat. Das Ganze nennt sich nationales Bildungspanel. Hier soll erstmals eine Längsschnittstudie zu Bildungsverläufen in Deutschland entstehen, von der Vorschule bis zum Berufsleben werden Testpersonen jährlich befragt. Und initiiert hat das Panel das Bundesbildungsministerium. Von dort wird es auch finanziert, in den kommenden sechs Jahren sollen 70 Millionen Euro fließen. Die wissenschaftliche Leitung hat Professor Hans-Peter Blossfeld. Er ist Soziologe an der Uni Bamberg und jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Blossfeld.

    Hans-Peter Blossfeld: Guten Tag.

    Maleike: Bildungsforschung hat in Deutschland in den letzten Jahren ja einen enormen Aufschwung erlebt. Viele Studien sind entstanden, liegen auf dem Tisch. Warum brauchen wir noch ein nationales Bildungspanel?

    Blossfeld: Die meisten Studien sind Querschnittsstudien, das heißt, man befragt oder testet die Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Lebensalter. Die Pisa-Studie hat beispielsweise die 15-Jährigen getestet und befragt. Was wir machen, ist jetzt, zu untersuchen, wie es dorthin kam, sozusagen: Wie entwickeln sich die Bildungsverläufe bis zum 15. Lebensjahr? Und dann: Was wird daraus im weiteren Lebenslauf? Wenn jemand beispielsweise eine hohe Kompetenz hat oder eine niedrige Kompetenz, sind das ausschlaggebende Faktoren für den weiteren Berufsverlauf? Sind das die Leute, die sich später durchsetzen oder sind es vielleicht ganz andere Mechanismen, beispielsweise wie soziale Netzwerke, die dann dazu führen, dass die Leute bessere oder schlechtere Jobs bekommen?

    Maleike: Das klingt interessant. Das heißt, Sie erheben in erster Linie erst mal Daten. Was wird dann aus diesen Daten? Wo landen die in der Konsequenz?

    Blossfeld: Diese Daten werden der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, das heißt, Wissenschaftler können mit unterschiedlichen Fragestellungen, mit unterschiedlichen Projekten an diese Daten herantreten und Fragen beantworten, die bisher nicht beantwortet werden konnten.

    Maleike: Wie viele Leute werden Sie denn fragen?

    Blossfeld: Insgesamt werden wir ungefähr 60.000 Personen befragen und testen. Wir werden an verschiedenen Punkten des Lebenslaufs beginnen, also im Jahr 2010 mit Vierjährigen, mit Zehnjährigen, also die Personen, die die Grundschule verlassen haben und eben dann am Gymnasium oder an der Realschule sind, dann 15-Jährige, die vor dem Übergang in die berufliche Bildung beziehungsweise über das Gymnasium an die Universität dann weitergehen, dann Studienanfänger im ersten Semester und Personen im Alter von 23 bis 64 Jahren, die das Bildungssystem bereits verlassen haben. Das heißt, wir haben fünf, wie wir sagen, Kohorten, fünf Gruppen, die wir dann verfolgen. Und der Sinn besteht darin, dass wir diese Personen vor wichtigen Übergängen im Lebenslauf dann untersuchen können, sodass wir relativ rasch Ergebnisse haben.

    Maleike: Werden Sie auch so was wie Handlungsempfehlungen entwickeln?

    Blossfeld: Also, zunächst mal stehen die Analysen im Vordergrund. Und wir werden natürlich auf der Grundlage von Theorien und Auswertungen, also evidenzbasiert, dann auch Empfehlungen abgeben können, wir werden in der Lage sein, herauszuarbeiten, ob bestimmte Bildungsreformen wirken oder nicht, weil wir ja eine Vorher-Nachher-Messung machen können, wir können auch verschiedene Bundesländer vergleichen, wo beispielsweise eine Reform durchgeführt wird und wo nicht, sodass man also sehr schön ein Instrument hat, mit dem man bewerten kann, mit dem man untersuchen kann, ob bestimmte Bildungsreformenmaßnahmen auch die Wirkung erzielen, die man sich versprochen hat.

    Maleike: Es gibt Menschen in diesem Land, die sagen: "Wir haben eigentlich genug geforscht. Die Fakten liegen auf dem Tisch, man muss nur mal Augen und Ohren aufmachen." Was sagen Sie sozusagen als Antwort auf diesen Vorwurf ja in gewisser Weise auch?

    Blossfeld: Ja, das glaube ich, ist vorschnell gesagt, weil wenn man die Pisa-Studien nimmt, dann werden ja eine ganze Reihe von Schlussfolgerungen daraus gezogen. Beispielsweise gibt es die Diskussion, dass das Wesentliche schon in der Vorschule passiert, im Kindergarten, etc., aber man weiß es nicht, ob das tatsächlich so ist. Wie stabil sozusagen die Kompetenzen sind, die man vielleicht schon in der Vorschule erwirbt und wie sich die dann im weiteren Schulverlauf entwickeln, was die Schule beitragen kann, ob unterschiedliche Lernumwelten tatsächlich das erbringen, was man sich erhofft, wie Bildungsentscheidungen und Kompetenzentwicklung zusammenhängen, also beispielsweise inwieweit die Bildungsaspirationen der Eltern die Kompetenzen der Kinder beeinflussen. Also, ich denke, es gibt viel, was man nicht weiß, ich würde sogar sagen, das meiste weiß man nicht, weil man eben nur diese Bilder hat, diese Querschnittsmomentaufnahmen, die eigentlich wenig Informationen darüber liefern, wie sich kausale Zusammenhänge darstellen lassen. Also, ich würde sagen, es gibt viele Spekulationen, viele Theorien, widersprüchliche Theorien, aber es gibt sehr wenig empirische Evidenz, also gesichertes Wissen.

    Maleike: Wann werden wir denn die ersten Ergebnisse von Ihnen hören?

    Blossfeld: Also, die erste Erhebung wird 2010 ins Feld gehen. Bis dorthin werden wir die Instrumente vorbereiten und dann dürften die ersten Ergebnisse so im Sommer 2011 zur Verfügung stehen, wobei man sagen muss, die erste Welle ist ja auch nur eine Querschnittserhebung. Interessant wird so ein Panel erst dann, wenn man mehrere sozusagen Wellen hintereinander hat, wenn man also die ein und dieselben Personen immer wieder befragt, testet und dadurch auch sieht, wie sie sich entwickeln unter unterschiedlichen Bedingungen, wie unterschiedlichen Schultücken, unterschiedlichen Elternhäusern, etc.

    Maleike: Das neue nationale Bildungspanel ist heute in Berlin gestartet worden. Informationen waren das dazu vom wissenschaftlichen Leiter, dem Bamberger Soziologen Professor Hans-Peter Blossfeld.