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Nationalparkprogramm
Vor 25 Jahren gelang der DDR ein Naturschutz-Coup

In der DDR fristete der Naturschutz ein Schattendasein. Doch ganz kurz vor ihrem Ende stellte die Republik im September 1990 zwölf Prozent ihrer Fläche unter Schutz - ein deutlich größeres Gebiet als damals in Westdeutschland. In der Folge entstanden dort fünf Nationalparks und sechs Biosphärenreservate, die heute die Touristen anlocken.

Von Sven Kästner | 11.09.2015
    Die Planungen begannen gleich nach dem Fall der Mauer am 9. November. Noch saß ein Lauschposten der sowjetischen Armee streng abgeschirmt direkt auf dem Brocken. Und zwei Kilometer westlich des höchsten Bergs im Harz verlief immer noch die deutsch-deutsche Grenze. Aber davon ließen sich DDR-Naturschützer im Spätherbst 1989 nicht mehr beeindrucken.
    Uwe Wegener, von Haus aus Forstexperte, war damals im Forstbetrieb Wernigerode zuständig für den Naturschutz – ein Bereich, der in der DDR ein Schattendasein fristete. In seinem Wohnzimmer im sachsen-anhaltinischen Halberstadt blättert er 25 Jahre später in einem schmalen Heftchen und erinnert sich:
    "Das ist der erste Entwurf, der also im November entstanden ist. Und zwar noch 'Entwurf für ein deutsch-deutsches Biosphärenreservat/Nationalpark Oberharz'."
    DDR-Nationalparkprogramm: Ergebnis einer friedlichen Revolution der Umweltschützer
    Ende 1989 war die DDR komplett im Umbruch. Wann, wenn nicht jetzt sollte ein Naturschutzgebiet im höchsten Gebirge Norddeutschlands geplant werden? Überall im Land gehörten Umweltschützer zu den treibenden Kräften der friedlichen Revolution. In der Wendezeit nutzten sie ihre Chance, auf großen, bisher vom Staat gesperrten, Flächen Schutzgebiete einzurichten. Unter Federführung des Biologen Michael Succow entstand in nur wenigen Monaten das DDR-Nationalparkprogramm.
    "Wir hatten in diesem Osten Deutschlands fast sieben Prozent Truppenübungsplätze. Wir hatten etwa fünf Prozent Staatsjagdgebiete. Wir hatten dann noch zwei Prozent der Fläche Grenzsicherungsräume. Also: So etwa 15 Prozent waren nicht für das Volk einsehbar. Und in Teilen auch mit großer Biodiversität."
    Succow wurde im Januar 1990 als unabhängiger Umweltschützer stellvertretender DDR-Minister für Naturschutz. Er stieß das Nationalparkprogramm an, das dann auf der letzten Sitzung der DDR-Regierung am 12. September beschlossen wurde. Die Vorbereitungszeit war knapp, der Widerstand aus Industrie und Landwirtschaft stark. Trotzdem gelang es, bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservate und drei Naturparks zu gründen. Den Aufbau übernahmen dann die neu entstandenen Bundesländer.
    "Alle Landesregierungen – egal wie geführt – standen dahinter. Und haben das Programm wesentlich weiter entwickelt. Wir haben heute praktisch das Dreifache an Großschutzgebieten."
    Starker Widerstand aus Industrie und Landwirtschaft
    Auch Uwe Wegener konnte schon im Oktober 1990 den Nationalpark Hochharz einrichten. Aus seiner Arbeit zu DDR-Zeiten kannte der heute 74-Jährige den ökologischen Wert des Gebirges vor seiner Haustür genau:
    "Der Harz war das einzige Gebiet, was noch über ein Stückchen Fichten-Urwald verfügte. Und der Harz hat im Gegensatz zu allen anderen Mittelgebirgen sehr viele Moore. Und das war unser Beweggrund, den Hochharz als Nationalpark auszuweisen."
    1990 hatten manche Kommunalpolitiker befürchtet, die mit dem Naturschutz verbundenen Einschränkungen würden den Tourismus behindern. Das Gegenteil aber trat ein: Ob an der Ostseeküste oder auf den schmalen Flussarmen des Spreewaldes – überall ziehen die geschützten Gebiete Erholungssuchende in Scharen an. Und das ganz ohne riesige Hotelkomplexe und Motorbootverkehr. Die Entwicklung wurde zum Vorbild auch für Westdeutschland, sagt Succow.
    "Wir haben jetzt 16 Biosphärenreservate in Deutschland, und die Altbundesländer hatten 1990 keine. Und das ist etwas, wo der Osten seinen Betrag lieferte für das gesamte Deutschland."
    Grenzüberschreitender Nationalpark erst 2006 verwirklicht
    Im Harz hatte der Aufbaustab um Uwe Wegener schon 1989 auch für den Westen geplant. Die Leute aus der DDR wollten gleich einen grenzüberschreitenden Nationalpark einrichten.
    "Ein Großteil der Moore, eigentlich die wesentlichsten Moore, lagen in Niedersachsen. Sodass von Anfang an das Ziel gesteckt war, Niedersachsen mit ins Boot zu holen."
    Das aber gelang erst 2006.