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NATO
Russland kann kein strategischer Partner sein

Durch die Annektierung der Krim hat sich das Verhältnis der NATO zu Russland geändert, sagte der Sicherheitsexperte Karl-Heinz Kamp im Deutschlandfunk. Es müssten nun mehr Streitkräfte auf dem Territorium der osteuropäischen NATO-Partner stationiert werden: als Signal der Solidarität an diese Länder und als Signal an Russland, "das macht ihr besser nicht".

Karl-Heinz Kamp im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.06.2014
    Vor dem NATO-Hauptquartier in Brüssel wehen viele Fahnen
    Ein deutliches Signal der NATO an Russland fordert Karl-Heinz Kamp. ( picture alliance / dpa / Julien Warnand)
    Dirk Müller: Barack Obama hatte also etwas im Gepäck, gestern aus Washington kommend, eine Art Motivationshilfe für die europäischen NATO-Partner. Er will mehr investieren in die amerikanischen Streitkräfte hier auf dem Kontinent. Eine Milliarde Dollar soll dabei erst der Anfang sein. Eine Rechnung allerdings, die der US-Kongress noch nicht aufgemacht hat. Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat darüber mit dem Politikwissenschaftler Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik gesprochen.
    Dirk-Oliver Heckmann: Herr Kamp, früher galt Russland ja als strategischer Partner der NATO. Sind die Russen jetzt unsere Gegner?
    Karl-Heinz Kamp: Das ist eine sehr gute Frage, weil es eigentlich ja vier verschiedene Sachen sein können. Russland kann der strategische Partner sein, Russland kann der normale Partner sein, Russland kann ein Nachbar sein wie viele andere, oder Russland kann ein Gegner sein. Da haben sich die 28 noch nicht so richtig drauf geeinigt. Aber natürlich, je mehr sie von Ost nach West kommen, wird immer mehr Russland als Gegner gesehen, aber mit Sicherheit nicht mehr als strategischer Partner. Da ist man schon in allen NATO-Staaten.
    Heckmann: Wie ist denn Ihre Einschätzung?
    Kamp: Wir werden weiterhin Kooperationen mit Russland haben und auch haben müssen, weil es ja viele andere Themen gibt, wo wir zusammenarbeiten müssen. Wir reden also nicht von einem Kalten Krieg. Aber ein Land, das zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine Provinz oder einen Teil eines anderen Landes per Gewalt nimmt, kann kein strategischer Partner der NATO sein.
    Heckmann: Vor diesem Hintergrund hat der NATO-Generalsekretär Rasmussen gesagt, die Krise mit Russland mache es dringend nötig, die Verteidigungsfähigkeit der NATO zu verbessern, denn die Strategen der NATO, die sind zu dem Schluss gekommen, dass Russland ja binnen Wochen Zehntausende Soldaten, auch schweres Gerät zusammenziehen konnte und die Krim besetzen konnte, und die NATO-Truppen, die wären im Verteidigungsfall nicht einsatzbereit, schlecht ausgerüstet und viel zu langsam. Das Baltikum als Beispiel wäre eine leichte Beute. Teilen Sie diese Analyse?
    Kamp: Das Problem ist in der Tat, dass wenn es zu einer solchen begrenzten Aktion wie in der Ukraine käme - wir reden ja nicht von dem großen Angriff Russlands, sondern wir reden von etwas, wo sie gar nicht genau wissen, wer sind denn die grünen Männchen ohne Herrschaftsabzeichen -, in einer solchen Situation wäre es für die NATO sehr schwierig. Insofern ist auch das ganze Ziel der Sache, genau das zu vermeiden. Es muss ein Signal an Russland gesetzt werden, dass die rote Linie das NATO-Territorium ist, und zu diesem Zweck plant die NATO - und da sind sich die Verbündeten noch nicht ganz einig, aber in die Richtung geht es -, mehr NATO-Streitkräfte auf dem Territorium der osteuropäischen NATO-Partner zu stationieren, weil das genau das doppelte Signal gibt, was wir brauchen: einmal ein Signal der Solidarität an diese Länder und ein Signal an die Entschlossenheit von Russland, das macht ihr besser nicht.
    Heckmann: Diese Verstärkung, das ist ja noch nicht in trockenen Tüchern, das ist ja noch in der Diskussion, in welcher Form das stattfinden soll, ob eine rotierende Form gewählt werden soll. Polen und die baltischen Staaten, die fordern ja feste Stationierungen von Kampftruppen auch in ihren Ländern, Truppen also der NATO, obwohl das den völkerrechtlichen Verträgen mit Moskau widerspricht. Ist es trotzdem richtig, wäre es richtig, diesem Drängen nachzukommen?
    Kamp: Erstens mal stimmt das nicht, dass es irgendeinem völkerrechtlichen Vertrag widerspricht. Es gibt keinen einzigen völkerrechtlichen Vertrag, es gibt keine einzige schriftliche Formulierung, in der drinsteht, dass die NATO keine Streitkräfte in Osteuropa stationieren darf.
    Heckmann: Der Vertrag mit Moskau aus dem Jahr 1997?
    Kamp: In diesem Vertrag steht drin, dass die NATO vorzüglich ihre Verteidigungsfähigkeit dadurch sichert, dass sie umstrukturiert und nicht durch die massive Präsenz von Kampftruppen auf dem Territorium. Was ist massiv und was ist eine Kampftruppe? Wir haben ja bereits NATO-Streitkräfte und zwar auch Kampftruppen auf osteuropäischem Territorium. NATO-Kampfflugzeuge, auch deutsche Kampfflugzeuge fliegen doch sogenannte Air Policing, weil die Balten keine eigene Luftwaffe haben, fliegen NATO-Flugzeuge an deren Grenzen Überwachungsflüge. Also das gibt es alles. Die Frage ist immer und der Streit war die ganzen Jahre, was ist massiv.
    Heckmann: Wie weit sollte die NATO bei der Verstärkung ihrer Truppen gehen?
    Kamp: Das ist eine politische Frage. Wir hatten es in Deutschland ja auch während des Kalten Krieges, dass da möglichst viele NATO-Staaten auf dem Territorium der damaligen Bundesrepublik Streitkräfte hatten. Da geht es mehr um die politische Präsenz, weil ein Aggressor, ganz egal wer, muss einfach wissen, dass wenn er eine Aggression gegen, sagen wir, das Baltikum, gegen Estland startet, dass er nicht nur damit das Leben estnischer Soldaten riskiert, sondern auch das Leben der Franzosen, der Deutschen, der Amerikaner, alle die, die dort stationiert wären. Das hebt natürlich die Hemmschwelle für jeden Angreifer ganz dramatisch, und nur darum geht es. Es geht um die Verhinderung des Konfliktes.
    Heckmann: US-Präsident Barack Obama, der nimmt eine Milliarde Dollar in die Hand, um die Verteidigungsfähigkeit der osteuropäischen Staaten zu stärken und zu unterstützen. Die deutsche Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, die spricht von ungebrochener Solidarität mit den osteuropäischen Staaten. Man könnte auch sagen, Europa redet, die USA handeln?
    Kamp: Nein, das stimmt ja so nicht. Erstens mal: Der amerikanische Präsident fragt den Kongress, wie viel Geld er bekommen kann, und dann muss man sehen, was davon übrig bleibt.
    Heckmann: Haben Sie da Zweifel?
    Kamp: Wie hoch es sein wird, weiß ich nicht, aber es wird natürlich eine signifikante Verstärkung der USA geben, und das ist richtig so, denn die USA sind die Schutzmacht der NATO und speziell der Osteuropäer. Und die USA riskieren natürlich, wenn sie das nicht tun würden, ihr gesamtes weltweites Netz von Verbündeten. Insofern ist das ein Interesse der USA als Weltmacht.
    Dass die Europäer nichts tun, stimmt ja auch nicht. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Sanktionen, die gegen Russland gefahren werden. Die Leute sagen, das ist nicht so furchtbar viel. Für die Länder, denen es ökonomisch bis zum Hals steht, wie Italien, wie Frankreich, ist das schon etwas.
    Müller: Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann im Gespräch mit Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.