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NATO-Stützpunkt Konya
"Auf gar keinen Fall sollten wir die deutschen Soldaten abziehen"

Das Besuchsrecht für den Stützpunkt Konya sei nicht so wichtig, dass man dafür die NATO-Bündnistreue opfern müsse, sagte Hans-Peter Uhl im Dlf. Der CSU-Politiker betonte, es gehe um Diplomatie und einen geschickten Umgang mit den Provokationen des türkischen Präsidenten. Dessen Stilmittel sei außenpolitische Unberechenbarkeit.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 17.07.2017
    Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl
    "Erdogan wird sein eigenes Land schwer beschädigen", sagte der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl im DLF. (imago)
    Dirk-Oliver Heckmann: Der türkische Präsident Erdogan, er wählte martialische Worte bei seiner Rede anlässlich des ersten Jahrestages des missglückten Putsches des türkischen Militärs, und er war nicht der einzige. Der türkische Parlamentspräsident Kahraman von der AKP sagte: "Volk, Fahne, Koran, Glaube, Gebetsruf, Freiheit, Unabhängigkeit sind unsere Ehre, unsere Würde. Denjenigen, die unsere Werte angreifen, brechen wir die Hände, schneiden ihnen die Zunge ab und vernichten ihr Leben." Beides wird nicht nur von Anhängern der Putschisten als klare Ansage verstanden, sondern auch von Oppositionellen, und zwar als ganz konkrete Drohung. – Am Telefon ist Hans-Peter Uhl von der CSU. Er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Uhl.
    Hans-Peter Uhl: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Uhl, ist das alles typische AKP-Rhetorik oder nehmen Sie das ernst?
    "Erdogan braucht ein Feindbild für seine Politik"
    Uhl: Man muss es leider ernst nehmen, was Erdogan da zurzeit von sich gibt. Es sind entsetzliche Worte und schrille Töne. Er braucht offensichtlich ein Feindbild für seine Politik des Führerprinzips. Er, der einzige Retter der Türkei - als kühnen Sohn Anatoliens lässt er sich feiern. Er braucht Feindbilder und zu den Feindbildern gehört der Westen, gehört die Europäische Union und vor allem auch Deutschland.
    Heckmann: Aber er hat ja auch starke Unterstützung in der türkischen Bevölkerung. Das darf man nicht in Abrede stellen, oder?
    Uhl: Die hat er. Ich betone: noch. Ich bin mir sicher, dass diese Unterstützung im Laufe der Zeit abnehmen wird, wenn sich das herausstellen wird, wovon ich überzeugt bin, dass er sein Land, die Türkei wirtschaftlich schwer beschädigt, vielleicht sogar ruiniert.
    Zustimmung des Parlaments zur Todesstrafe zu befürchten
    Heckmann: Durch seinen politischen Kurs, den er derzeit verfolgt. – Erdogan hat am Wochenende auch gesagt, er rechne mit einer Zustimmung des Parlaments zur Todesstrafe, und wenn das Parlament ihm dieses Gesetz zur Einführung der Todesstrafe vorlege, werde er das auch unterzeichnen. Das wäre zugleich auch ein Ende der Beitrittsgespräche mit der EU. Das ist allen Seiten, denke ich, klar. Rechnen Sie auch damit, dass es eine Zustimmung des Parlaments zur Todesstrafe gibt?
    Uhl: Ich habe diesen Zusammenhang so nie gebraucht, dass, wenn dieses Gesetz zur Einführung der Todesstrafe kommt, die Beitrittsgespräche beendet werden. Nein, die Beitrittsgespräche der Türkei im Sinne einer Vollmitgliedschaft so wie Frankreich und Deutschland waren immer falsch. Dabei bleibe ich auch und es werden immer mehr Menschen, die diese Meinung teilen. Auf der anderen Seite ist es unendlich wichtig, dass wir, die Europäische Union, die Türkei, das türkische Volk an uns binden, in einer anderen Form als in einer Vollmitgliedschaft an uns binden, und da besteht die große Problematik, wie wir dies organisieren in Zeiten Erdogans.
    Heckmann: Sie haben mich, glaube ich, ein bisschen falsch verstanden. Meine Frage zielte darauf ab, ob Sie damit rechnen, dass die Todesstrafe in der Türkei kommt.
    Uhl: Das ist zu befürchten. Er ist Herrscher über die Mehrheit im Parlament. Die Opposition ist noch nicht so stark, um so etwas zu verhindern. Das ist durchaus möglich.
    "Die Türkei ist viel zu wichtig, um sie Erdogan zu opfern"
    Heckmann: Das werden wir weiter beobachten. – Der Kommissionspräsident der EU, Jean-Claude Juncker, der hatte in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag" geschrieben, der allerdings vor der Äußerung Erdogans geschrieben worden ist, "die Hand Europas bleibe ausgestreckt". Ist das das richtige Signal, das man jetzt Ankara geben muss, das Signal, das Juncker gegeben hat?
    Uhl: Das ist ein interpretierungsfähiger Satz, "die Hand Europas bleibt ausgestreckt". Ich würde diesen Satz teilen in der Weise, dass man sagt, die Türkei ist viel zu wichtig und die europäischen Interessen gegenüber der Türkei sind viel zu wichtig, um sie Erdogan zu opfern. Die Türkei ist wichtiger als Erdogan und wir müssen eine Politik machen für die Zeit nach Erdogan, eine langfristige Politik. Noch einmal: Erdogan wird sein eigenes Land schwer beschädigen und wir hoffen alle, dass das türkische Volk eines Tages die Kraft aufbringt, um sich von diesem Führer zu trennen. Und für die Zeit nach der Trennung müssen wir eine Türkei-Politik machen.
    Heckmann: Eine Türkei-Politik aber ohne volle Mitgliedschaft?
    Uhl: Ohne volle Mitgliedschaft. Selbstverständlich!
    Eine Vollmitgliedschaft als mögliches Ziel war immer unehrlich
    Heckmann: Damit bestätigen Sie aber auch diejenigen von der türkischen Seite, die sagen, die Europäische Union, die verhandelt sowieso nicht aufrichtig.
    Uhl: In gewisser Weise ist das richtig. Es wurden Verhandlungen geführt und Kapitel eröffnet und geschlossen und damit ein Eindruck erweckt, als wäre die Vollmitgliedschaft das mögliche Ziel. Das war immer unehrlich und die Frage ist jetzt nur, ob es diplomatisch klug ist, diese Unehrlichkeit zu beenden und Erdogan den Gefallen zu tun. Er braucht ja das Feindbild EU und in seinen ganzen Reden kommt er immer wieder darauf zurück, dass die EU die Türkei seit 54 Jahren vor der Türe stehen lässt und sich lustig macht über sie. Das braucht er und diesen Gefallen sollte man ihm derzeit nicht tun.
    Heckmann: Aber wie kann es denn sein, Herr Uhl, dass die Europäische Union, die für Glaubwürdigkeit, für Transparenz steht oder stehen will zumindest, für Geradlinigkeit, dass sie auch aus Ihrer Sicht offenbar ein doppeltes Spiel gespielt hat und das über Jahrzehnte?
    Uhl: Doppeltes Spiel - das klingt sehr hinterhältig. Das ist nicht der Fall, sondern die Europäische Union ist ein Staatenbund von 28 Staaten mit unterschiedlichen Interessen. Großbritannien, das sich gerade dabei macht, sich zu verabschieden, hatte bei dem Thema Türkei immer andere Interessen als wir. Das ist ein mühsamer Einigungsprozess. Deswegen würde ich nicht von doppeltem Spiel sprechen.
    "Dieses Recht ist nicht so wichtig, um die NATO-Bündnistreue zu opfern"
    Heckmann: Herr Uhl, es gibt jetzt nach Incirlik neuen Ärger um das Besuchsrecht deutscher Parlamentarier im NATO-Stützpunkt Konya. Die türkische Regierung hatte einen Besuchstermin, der jetzt für Juli angesetzt war, auf unbekannte Zeit verschoben. SPD und Opposition, die fordern jetzt bereits einen Abzug wie aus Incirlik ja auch bereits. Angela Merkel ist gestern im ARD-Interview darauf angesprochen worden und hat gesagt, es gäbe einerseits das Besuchsrecht, andererseits die Bündnissolidarität mit der NATO. Kann es aus Ihrer Sicht eine solche Abwägung geben, möchte ich auch Sie fragen?
    Uhl: Auf gar keinen Fall sollten wir die deutschen Soldaten abziehen. Ich bin selbst vor einiger Zeit mit einer AWACS-Maschine geflogen. Dieses ist ein ungeheuer wichtiges Aufklärungsmittel der NATO.
    Heckmann: Also auch wenn Ankara sagt, die Parlamentarier dürfen nicht kommen, sollen die deutschen Soldaten nicht abgezogen werden?
    Uhl: Sie sollten nicht abgezogen werden. Diese gemischte internationale Besatzung der NATO in diesen Flugzeugen mit drei oder vier deutschen Soldaten, die je nach Flug dort drinsitzen, kann nicht der Grund dafür sein, dass wir die deutschen Soldaten abziehen und damit die Bündnistreue verletzen.
    Heckmann: Aber es handelt sich doch bei der Bundeswehr um eine Parlamentsarmee und um ein absolutes Recht der Parlamentarier, die Zustände auch vor Ort zu überprüfen, mit den Soldaten sprechen zu können. Da hat doch Berlin bisher immer gesagt, dieses Recht ist nicht verhandelbar. Wie kommt das plötzlich?
    Uhl: Weil es sich hier um einen offensichtlichen Zielkonflikt handelt. Sie haben Recht, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und wenn drei deutsche Soldaten in einem Flugzeug über dem Himmel Syriens fliegen und Aufklärung betreiben, müsste man theoretisch diese drei Soldaten durch das Parlament auch am Boden besuchen dürfen. Aber dieses Recht ist nicht so wichtig in dem Fall, um die NATO-Bündnistreue zu opfern.
    "Es geht um einen geschickten Umgang mit der Provokation"
    Heckmann: Das heißt, Sie geben da dem türkischen Druck dann durchaus nach?
    Uhl: Insofern können Sie ein Nachgeben darin sehen. Es geht um Diplomatie und um einen geschickten Umgang mit der Provokation Erdogans. Er wird noch weitere Methoden der Provokation Deutschlands und der EU und der NATO sich ausdenken. Die außenpolitische Unberechenbarkeit gehört zum Stilmittel dieses Führers, von dem wir nur hoffen können, dass sich die Türkei, das türkische Volk eines Tages von ihm befreit. Nur eins sei auch gesagt: Wer einmal den Palast sich angeschaut hat, den er sich gebaut hat, hat erhebliche Zweifel, ob durch einen demokratischen Wahlakt dieser Führer diesen Palast jemals verlassen wird.
    Heckmann: Aber jetzt geht es ja um die Frage, ob das Parlament wirklich darauf verzichtet, auf seine Kernrechte verzichtet und damit ja auch dann wirklich der türkischen Regierung nachgibt.
    Uhl: Noch einmal: Ich wiederhole mich. Es sind drei bis fünf Soldaten in dem Flugzeug. Die sitzen in Konya, wenn sie gelandet sind. Und dieses Besuchsrecht ist dem Grunde nach vorhanden, aber nicht so wichtig, um die NATO-Bündnistreue dem zu opfern.
    Heckmann: Die Position von Hans-Peter Uhl war das von der CSU, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Herr Uhl, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Uhl: Bitte schön, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.