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NATO-Treffen
Verteidigungsbündnis berät zum Thema Türkei

Die Türkei fliegt Angriffe auf den "Islamischen Staat" und hat die NATO um ein Treffen gebeten. Bisher griff das Verteidigungsbündnis nicht formal ein - das könnte sich jetzt ändern. Was die Angriffe auf die kurdische Arbeiterpartei PKK betrifft, ist die Haltung der NATO wohl nicht so eindeutig.

Von Rolf Clement | 28.07.2015
    Die Ehefrau des türkischen Soldaten Mehmet Yalcin Nane trauert am Sarg ihres Mannes, der an der türkisch-syrischen Grenze getötet wurde.
    Die Ereignisse in der Türkei könnten die Zurückhaltung der NATO beenden. (afp / Bulent Kilic)
    Es ist Sommerpause bei der NATO in Brüssel. Die Routinetagung der NATO-Botschafter stünde heute eigentlich nicht auf dem Terminplan. Aber die Ereignisse lassen die Vertreter der 28 NATO-Staaten heute doch zusammentreten. Die Türkei hat darum gebeten, über die Lage in und um die Türkei zu informieren. Nach Artikel 4 des NATO-Vertrages muss der NATO-Rat auf Antrag eines Mitglieds zusammentreten, wenn dieses Land die territoriale Integrität oder den Frieden bedroht sieht.
    Ob die Türkei diesen Artikel bei dem Antrag erwähnt hat, kann dahingestellt bleiben. Denn die Türkei hat schon im Winter 2012 die NATO um Unterstützung gebeten. Damals hat die syrische Armee Giftgas eingesetzt, und die Frage, ob eine solche Rakete nicht in die Türkei fliegen könnte, hat die NATO beschäftigt. Seitdem sind im Auftrag der NATO Raketenabwehrsysteme in der Türkei stationiert. Die NATO-Partner USA, Deutschland und zunächst die Niederlande, jetzt Spanien, haben Soldaten und Systeme entsandt. Immer wieder gab es an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei Übergriffe.
    Der IS hat den Kampf in die Türkei getragen
    Da wurden Flüchtlinge auch nach dem Grenzübertritt noch beschossen. Immer wieder gab es Scharmützel, bei denen die Grenze zur Türkei verletzt wurde. Der Anschlag von der vergangenen Woche stellt die größte Verletzung der türkischen Souveränität dar. Die Terrorgruppe IS hat ihren Kampf damit in die Türkei getragen. Dies wird die NATO-Botschafter heute beschäftigen.
    Im September 2001 hat die NATO den Bündnisfall erklärt, als die Anschläge auf New York und Washington verübt wurden. Man wird sehen, wie die NATO jetzt reagiert. Denn im Fall der Türkei kommt ein zweiter Konflikt hinzu, den mit der militanten PKK. Sie soll, so die türkische Darstellung, vom Nordirak aus gegen die Türkei operieren. Entsprechende Sprengstoff-Funde hat die türkische Regierung genutzt, um gegen Stellungen der PKK vorzugehen. Damit vermischt sich aus der türkischen Sichtweise der Konflikt mit dem IS mit dem Konflikt um die PKK. Ob hier innenpolitische Motive eine Rolle spielen, wird in der NATO sicher diskutiert, spielt aber eine Nebenrolle. Dennoch wird die NATO die beiden Fälle deutlich differenziert behandeln. Die Übergriffe durch den IS sind eindeutig eine Verletzung der türkischen Integrität.
    Hoffnung: den Friedensprozess mit den Kurden nicht zu gefährden
    Der Kampf gegen den IS beschäftigt die NATO immer wieder, wenngleich bisher ein formales Eingreifen nicht in Erwägung gezogen wurde. Die Ereignisse in der Türkei könnten diese Haltung ändern. Dabei muss berücksichtigt werden, dass eine entsprechende Erklärung der NATO nicht automatisch den Einsatz von Truppen bedeutet. Wie die Beistandserklärung erfolgen kann, wird später entschieden. Die Stationierung der Raketenabwehrsysteme ist eine solche Maßnahme. In der Kurdenfrage wird die NATO an die Türkei appellieren, den begonnenen Friedensprozess nicht zu gefährden.
    Allerdings gibt es einige Länder, vor allem die USA, die auch das Vorgehen der Türkei gegen die kurdische PKK unterstützen. Es könnte also sein, dass die NATO heute nur eine Unterstützung im Kampf gegen den IS signalisiert und den Kurdenkonflikt offiziell ausspart. Denn Entscheidungen können bei der NATO nur einstimmig gefasst werden. Und diese Einstimmigkeit ist in der Kurdenfrage nicht erkennbar – schon, weil ja auch die Türkei stimmberechtigt ist.