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Nato-Übung in Polen
Schwieriges Manöver

Schneller, flexibler, schlagkräftiger - die Nato stellt sich auf neue Bedrohungsszenarien ein. Dass das Bündnis nun eine Übung im polnischen Zagan durchführt, gilt auch als Signal an Russland.

Von Annette Riedel | 28.05.2016
    Nato-Übung in Zagan, Polen
    Nato-Übung in Zagan, Polen (Deutschlandradio / Annette Riedel)
    Ein Bus fährt uns auf das militärische Übungsgelände Zagan in West-Polen. Riesig ist es. 340 Quadratkilometer groß. Größer ist keines in Europa. Wurde schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu militärischen Zwecken genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als es den Warschauer Pakt noch gab, von der russischen Armee. Seit 1992 vom polnischen Militär. Jetzt also wurde Zagan zehn Tage lang Schauplatz der Nato-Übung "Brilliant Jump".
    "Welcome to Zagan" - so begrüßt Oberstleutnant Markus Beck die Besucher. Er ist Pressesprecher des multinationalen Hauptquartiers Nord-Ost im polnischen Stettin, das in die Nato-Übung eingebunden ist. Die Nato will ihre Fähigkeit deutlich erhöhen, auf mögliche Bedrohungen schnell und flexibel, also: schlagkräftiger als bisher reagieren zu können - gerade an der Ost-Flanke des Bündnisses. Dementsprechend das Übungs-Szenario. Nicht ausgesprochen gegen Russland. Aber erklärt wegen Russland, dessen Annektierung der Krim und Involvierung in der Ost-Ukraine.
    "Russland spielt keine Rolle in diesem Szenario. Es sind tatsächlich fiktive Länder, mit denen wir da üben."
    Fiktive Länder, mit dem realen Gedanken an den schwer berechenbaren Nachbarn im Osten.
    Der Bus nähert sich dem Schauplatz der Übung. Links und rechts: von Panzerketten zerpflügter Sandboden. Zwischen den lichten Baumreihen in Sichtweite: einzelne Panzer und Jeeps. Dann, aus dem Wald kommend, soweit das Auge reicht, eine sandig-heide-artige Brachfläche mit einigen flachen Hügeln.
    Soldaten aus vier Nationen
    Panzer, ein Hubschrauber, Geländewagen, Krankenwagen, drei Feuerwehren, überall Soldaten in Tarn-Uniformen. Insgesamt 2500 aus vier Nationen: Spanier, Albaner, Briten Polen.
    Der Stabschef der polnischen Streitkräfte General Gocul sagt, was die Nato sich, was sie immer aber auch an die Adresse Moskaus signalisieren will: Mit uns ist zu rechnen.
    "Wir demonstrieren damit den Willen und die Fähigkeit, uns an ein sich schnell verändernde Sicherheitsumfeld anzupassen."
    Um diese Botschaft geht es vor allem bei dieser dritten von insgesamt vier groß angelegten Übungsszenarien, die das Bündnis mit Blick auf seinen Gipfel in Warschau in sechs Wochen aussenden möchte: Man kann bei Bedarf gemeinsam schnell, überall, gerade eben auch in den östlichen Nato-Ländern, verteidigungsbereit sein, sollte es ein Bedrohungsszenario geben.

    Es wird mit scharfer Munition geschossen. Mörser-Granaten werden gegen einen fiktiven Feind abgeschossen. Soldaten der vier an der Übung beteiligten Länder rennen, robben, liegen in Position. Schießen gegnerische Pappkameraden um. Sichern das Gelände. Üben den Abtransport möglicher Verwundeter.
    Panzer dröhnen über das Gelände. Mischen sich in die Kampfübung ein.
    Nato-Übung in Zagan, Polen
    Bestens getarnt: Nato-Soldaten in Zagan (Deutschlandradio / Annette Riedel)
    Die Nato will Präsenz zeigen
    Die Nato ist ihrem Selbstverständnis nach ausschließlich defensiv, sagen alle Nato-Militärs immer wieder, auch an diesem Tage auf dem militärischen Übungsgelände von Zagan. Gerade hier in Polen, ähnlich wie in den baltischen Nato-Ländern, ist die Furcht vor möglichen Aggressionen aus Russland seit den Ereignissen in der Ukraine groß. Man wünscht - erwartet - Präsenz der Partner, sagt der polnische General.
    "In der Ukraine und in Syrien, über der Ostsee - wir sehen, dass Polen alleine zweifellos mit dieser Art der Konfrontation nicht fertig werden würde."
    Und deshalb will gerade Polen so viel Nato-Präsenz, wie nur irgend möglich. Mehr als die Nato momentan, wegen des Wunsches die Dinge mit Russland nicht noch mehr zuzuspitzen, zu zeigen bereit ist. Eine Vielzahl von Nato-Übungen – ja. Aufbau einer gewissen Infrastruktur – auch das.
    "Wir unterstreichen deutlich, dass wir unseren Nato-Verpflichtungen nachkommen."
    Sagt der deutsche General Manfred Hofmann, Befehlshaber des multinationalen Corps Nord-Ost in Stettin. Aber, auch er spricht sich gegen eine nennenswerte dauerhafte Nato-Präsenz in Polen oder einem anderen der östlichen Bündnis-Länder aus.
    "Diesen letzten Schritt zu sehen, den hielte ich momentan für sehr, sehr bedenklich, weil er dann auch wieder Öl ins Feuer gießt, dieser Argumentation, dass die Nato sich aggressiv aufstellt."
    Bei allem Verständnis für das größere Bedrohungs-Empfinden der ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, jenseits des damaligen Eisernen Vorhangs, sagt der General beim Mittags-Buffet nach dem Übungs-Scenario.
    Im Bedarfsfall einsatzbereit
    "Ja, ich verstehe den Ansatz gerade Polens ganz deutlich, hier sehr, sehr sicher zu sein, gegen jedwede Aggression. Ich denke aber, dass wir es von Nato-Seite, wie wir es derzeit tun, auch gewährleisten können."
    Durch einen neuen Ansatz, der mit "Brilliant Jump" jetzt - sehr erfolgreich - heißt es, geübt wurde. Das bedeutete vor allem im Bedarfsfall, das schnelle Verlegen, ohne viel Vorlaufzeit von Vorauskommando, von Tausenden von Soldaten, wenn es sein muss, von Ausrüstung, Infrastruktur - zu Lande, zu Wasser und in der Luft - innerhalb weniger Tage.
    Dieser britische Scharfschütze erklärt die Funktionsweise seiner Präzisionswaffe. Der Mann ist bis zur Unkenntlichkeit von Kopf bis Fuß zur Tarnung mit Fetzen, Fasern und Fransen behangen. Er und sein britischer Kamerad, Unteroffizier Vause, sind gemeinsame Einsätze mit Soldaten aus anderen Nato-Ländern, wie diesem hier in Zagan, gewöhnt. Kennen das. Schätzen es. Sehen, wenn überhaupt, geringe Verständigungsprobleme.
    "Egal, wo sie herkommen, Soldaten haben alle einen ähnlichen Humor. Sie jammern generell über die gleichen Dinge: schlecht bezahlt, nicht genug zu essen, Waffe zu schwer. Wir tun alle schließlich das Gleiche, aus dem gleichen Grund."