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"Natürlich ist Druck im System"

Extensiv ausgenutzte Sparmaßnahmen vor dem geplanten Börsengang der Bahn haben nach Ansicht von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer zu technischen Problemen geführt. Für den Ausfall der Klimaanlagen machte er das Zusammenspiel von extrem hohen Temperaturen und älteren, anfälligeren Anlagen verantwortlich.

Peter Ramsauer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.07.2010
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt den Bundesverkehrsminister. Einen schönen guten Morgen, Peter Ramsauer!

    Peter Ramsauer: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Raumsauer, wer trägt die Verantwortung für die Pannen? Auch auf diese Frage soll es bei dem Treffen heute in Berlin eine Antwort geben. Wie lautet Ihre?

    Ramsauer: Nicht nur auf diese Frage, sondern wir wollen uns die Ursachen der Probleme genau ansehen, wir wollen aber auch Schlussfolgerungen ziehen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Wer letztlich und welche Verantwortlichkeiten trägt, wer an was schuld ist, das untersuchen wir derzeit auf vielfache Weise kann man beinahe sagen. Und einen Beitrag oder einen Zwischenstand soll das heutige Gespräch auch bringen.

    Wenn ich vielleicht kurz sagen darf: Wer untersucht? Dann ist es zunächst einmal die dafür amtlich zuständige Stelle bei mir im Hause, in meinem Ministerium, das nennt sich die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes, daneben auch eine weitere Behörde in meinem Haus, nämlich das Eisenbahnbundesamt, und völlig unabhängig davon natürlich auch die Staatsanwaltschaft.

    Barenberg: Das heißt, Verantwortung auf Ihrer Seite würden Sie zurückweisen?

    Ramsauer: Mein Haus, mein Ministerium trägt die amtliche Verantwortung dafür, dass bei solchen Vorkommnissen sofort eingeschritten wird und alles in die Wege geleitet wird, dass Schäden kompensiert werden, dass aber auch Vorkehrung getroffen wird, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Und das ist sofort getan worden. Ich habe bei Auftreten dieser Klimaanlagenprobleme den Chef der Deutschen Bundesbahn auch unverzüglich aufgefordert, aber das hat er selbst natürlich auch schon begonnen – das weiß die Bahnführung ja selbst – einzugreifen, Sofortmaßnahmen zu ergreifen.

    Ich habe unmissverständlich klargemacht, dass Reisen mit der Bahn kein gesundheitliches Risiko bergen darf, und wir haben dann eine Reihe von Sofortmaßnahmen eingeleitet, die inzwischen ja auch wirken. Und daneben müssen dann eine Reihe von langfristigen Maßnahmen ergriffen werden, die jetzt in diesen Tagen und Wochen auch seitens der Bahnführung beschlossen werden.

    Barenberg: Herr Ramsauer, Kritiker machen ja auch unzureichende Wartungen für das Desaster verantwortlich beziehungsweise den Umstand, dass es zu wenig Personal für die Wartung gibt. Sehen Sie da auch einen Grund für die Panne?

    Ramsauer: Für die Vorkommnisse des vorletzten Wochenendes war sicher einmal das Zusammenwirken verantwortlich zwischen diesen jetzt schon älteren Klimaanlagen und deren technische Probleme und den hohen Temperaturen, die wir hatten. Ich bin etwas vorsichtig mit vorschnellen, ganz konkreten Schuldzuweisungen oder Problemanalysen. Das führen wir gerade mit allergrößter Sorgfalt durch die Techniker durch. Fest steht jedenfalls, dass seitens der Bahn als Sofortmaßnahme die Wartung und die Instandhaltung der Klimaanlagen forciert worden ist, und dass wir auch zusätzliches Personal auf den Bahnhöfen und zur Kundenbetreuung eingesetzt haben.

    Barenberg: Jahrelang hat sich die Bahn auf einen Börsengang vorbereitet, welche Rolle hat das gespielt?

    Ramsauer: Ja, mit diesem Gang auf das Börsenparkett ging natürlich einher, dass die betriebswirtschaftlichen Zahlen der Bahn getrimmt werden mussten, und da werden betriebswirtschaftlich natürlich auch alle Einsparpotenziale ergriffen, die es gibt. Jetzt einen unmittelbaren monokausalen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Ausfall der Klimaanlagen am letzten Wochenende und diesen ganz allgemeinen intensiven betriebswirtschaftlichen Bemühungen vor vielen Jahren, das wäre vielleicht etwas zu einfach. Aber ganz generell, wie man bei der Berliner S-Bahn sieht, hat dieser geplante Börsengang, der damals im Übrigen unter rot-grüner Regierung auch politisch verordnet war, ganz allgemein verwirkt sich so etwas natürlich dann aus, wenn alle Sparmöglichkeiten, die sich vielleicht auch nur theoretisch bieten, dann auch extensiv ausgenutzt werden.

    Barenberg: Es war also Druck im System, Druck, der auch vom Management aufgebaut wurde, mit Blick beispielsweise auf die Mitarbeiter der Bahn in den Zügen selber, wenn es zu solchen Pannen, zu solchen Vorkommnissen kommt?

    Ramsauer: Natürlich ist Druck im System. Ein Unternehmen muss dergestalt immer Druck auch sein, dass straff geführt wird, und die Bahn muss natürlich auch wirtschaftlich geführt werden. Aber seit eineinhalb Jahren, seit gut einem Jahr sind die Linien, die Ziellinien der Bahn ja etwas andere. Ich habe selbst eine Neuausrichtung der Bahnpolitik eingeleitet, und wenn eine solche politische Grundlinie früherer Jahre jetzt sozusagen herumgedreht werden soll, dann geht das auch nicht einfach von einem Tag auf den anderen, sondern das erfordert auch ziemlich viel Zeit. Aber ich arbeite als Bundesminister für Verkehr in diesen Fragen auch hervorragend mit dem Bahnchef zusammen, und wir sind entschlossen, solche Fehlentwicklungen der ferneren Vergangenheit für die Zukunft zu unterbinden und die Bahn in eine bessere und auch qualitätsorientierte, zuverlässige Zukunft zu führen.

    Barenberg: Herr Ramsauer, auch die jetzige Bundesregierung hat beispielsweise von der Bahn eine Mindestdividende von 500 Millionen Euro verlangt, um die eigenen Sparziele zu erreichen. Sorgen Sie nicht also auch selber dafür, dass der Druck im System bleibt?

    Ramsauer: Also diese 500 Millionen Dividende, das ist zunächst kein Sparziel, sondern ein Einnahmeziel, und die Bundesregierung hat damit ein Zeichen gesetzt, dass die Bahn als ihr Unternehmen auch einen Teil des Gewinnes an den Eigentümer abgibt. Jetzt muss natürlich das, was als Dividende abgegeben werden soll, erst einmal erwirtschaftet werden, das wissen alle Beteiligten. Und eine Dividende kann natürlich erst bezahlt werden, wenn ein Gewinn erwirtschaftet worden ist und wenn die Aufsichts- und Führungsorgane der Bahn AG dies entsprechend beschlossen haben.

    Barenberg: Lassen Sie uns über die Entschädigung für die Hitzeopfer sprechen: Die Bahn hat sich da erst geziert, dann gab es eine Gutscheinlösung, und jetzt hat die Bahn nachgelegt. Besonders betroffene Reisende sollen ein Schmerzensgeld, ein zusätzliches Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro in bar erhalten. Ist das aus Ihrer Sicht ein angemessener Umgang mit den Betroffenen?

    Ramsauer: Darüber werden wir heute Vormittag auch sprechen. Die Bahn hat sich nicht geziert, sondern sofort gesagt, hier wird Entschädigung bezahlt. Das habe ich im Übrigen auch sofort verlangt.

    Barenberg: Und die Entschädigung, die jetzt angekündigt ist, 500 Euro, gehen in Ordnung aus Ihrer Sicht?

    Ramsauer: Das finde ich einen angemessenen Ersatz, aber wie gesagt, wir werden heute noch einmal drüber sprechen. Es gibt da gewisse Richtlinien aus der Praxis und auch aus der Rechtsprechung, an denen solche Zahlungen bemessen werden können.

    Barenberg: Der Verband der Bahnindustrie meldet sich empört zu Wort heute, sie wehren sich gegen die Vorwürfe, die Bahnchef Grube geäußert hat. Demnach seien fast nie Züge geliefert worden, die auch das geleistet hätten, wofür bezahlt worden wäre. Finden Sie es einen richtigen Weg, jetzt die Schuld auf die Industrie zu schieben?

    Ramsauer: Ich finde es auch nicht zielführend, vielleicht ist das nur ein kleiner Beitrag zur Analyse der Vergangenheit, jetzt Schuld hin und her zu wälzen und zu schieben. Für mich ist in politischer Hinsicht die Zukunft wichtig, und für die Zukunft habe ich veranlasst, dass eine Arbeitsgruppe von Herstellern, von Betreibern, also insbesondere der Deutschen Bahn und der Aufsichts- und Zulassungsbehörden gebildet wird, wo genau festgestellt wird, wer in Zukunft was zu leisten hat, mit welchen Pflichten, mit welchen Rechten, mit welchen Fahrzeugzulassungserfordernissen, soweit es nicht bereits gegeben ist. Ich glaube, dass wir diese Fragen nur im Zusammenwirken und nicht gegeneinander lösen können. Klar ist natürlich für jeden nun offensichtlich, dass die Bahn nur mit dem Fahrzeugmaterial fahren kann, das ihr geliefert wird. Die Bahnindustrie sagt auf der anderen Seite, wir liefern nur das, was bestellt wird – also das ist diese berühmte Henne-Ei-Problematik, aber der werden wir auch auf den Grund gehen.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Ramsauer, Bahnchef Grube hat schon im Frühjahr eine sogenannte Kunden- und Qualitätsoffensive gestartet. Wenn man sich anschaut, wie die Kundeninformation auch während der Tage der Pannen gewesen ist, dann muss man sagen, da ist noch viel Luft drin, oder, nach oben?

    Ramsauer: Die Bahn lernt täglich dazu, und wir wurden ja diesbezüglich nicht nur im Sommer jetzt von der Hitze überrascht, sondern im Winter auch von den kältebedingten Problemen, also das umgekehrte Problem. Ich habe damals im Winter gesagt, ich erwarte, dass die Bahn zuverlässig bei minus 40 Grad genauso fährt wie bei plus 40 Grad und bei allen Temperaturen dazwischen. Und dazu gehört natürlich auch ergänzend, dass die Informationspolitik zuverlässig ist, und da kann bestimmt noch verbessert werden in dieser Hinsicht, völlig richtig.

    Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk Peter Ramsauer von der CSU, der Bundesverkehrsminister. Danke schön für das Gespräch, Herr Ramsauer!

    Ramsauer: Gerne!