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"Natürlich sind die Versicherten diesem System jetzt ausgeliefert"

Gesundheitsminister Rösler rede seine Reform schön, kritisiert Eckhard Nagel. Weder die Lage der Krankenkassen werde einfacher, noch die der Versicherten - dabei gibt es laut Nagel noch einiges an Sparpotenzial im System.

07.07.2010
    Sandra Schulz: Am Telefon begrüße ich Professor Eckhard Nagel, Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth. Guten Tag!

    Eckhard Nagel: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Von einem ausgewogenen und gerechten Paket spricht der Gesundheitsminister Rösler. Sehen Sie das auch so?

    Nagel: Ich glaube, man kann natürlich alles schön reden, und wenn ich an dieser Stelle kritisch klinge, dann meine ich das auch so. Ich denke, dass versucht worden ist, hier ein Paket zu schnüren, wo die verschiedenen Interessen der Koalitionsparteien zusammengebracht werden. Kompromisse können ja manchmal tatsächlich auch eine Weiterführung sein. In diesem Fall ist es allerdings der kleinste denkbare Nenner und hinterlässt doch mehr Fragen als Antworten.

    Schulz: Also Interessen der Koalitionäre, aber nicht Interessen der Versicherten?

    Nagel: Ob es nun die Interessen der Koalitionäre sind, das wage ich auch noch mal zu bezweifeln, weil ja eigentlich der Gesundheitsminister eine ganz andere Reform anstoßen wollte. Davon ist nichts übrig geblieben. Insofern muss man wohl davon ausgehen, dass das jetzt das Einzige, auf die Schnelle Mögliche, war, und das macht schon deutlich, dass eben eine Fundierung, dass eine intensive Überlegung, was die Probleme und was eventuell adäquate Antworten sind, nicht vorliegt, sondern dass wir hier tatsächlich eine Situation haben, wo man von einem kurzfristigen Reagieren auf die Probleme reden muss.

    Schulz: Sie haben es gerade schon angedeutet: Die Lösung offenbart mehr Fragen als Antworten. Eine davon ist ja für viele Versicherte die Frage, in welche Höhen die Beitragssätze schnellen werden. Gibt es da eine Schätzung, können Sie da eine Prognose wagen, wie hoch die vielleicht im Schnitt ausfallen werden?

    Nagel: Ich glaube, das kann man noch nicht sagen, weil man erst mal sehen muss, wie die Krankenkassen jetzt auf die generelle Erhöhung des Beitragssatzes reagieren. Das ist ja etwas, was sie schon lange gefordert haben, was auch in der Art und Weise, wie es jetzt gemacht wird, bei einem Gesundheitsfonds überhaupt nicht nötig wäre. Man hätte natürlich auch über eine Erhöhung des Steueranteils die Arbeitskosten weiter entlasten können. Hier aber offensichtlich wieder die Situation, dass die Koalition grundsätzlich nicht mehr Steuern verwenden möchte. Im Prinzip haben wir aber trotzdem weniger Netto vom Brutto, also die Antwort bleibt die gleiche, und die Problemlage für die Krankenkassen wird nicht einfacher - und für uns Versicherte auch nicht. Und was jetzt mit den Zusatzbeiträgen passiert, die zusätzlich noch mal möglich sind, das, wie gesagt, kann man noch nicht abschätzen. Allerdings finde ich es auch bedenklich, dass man hier den Krankenkassen noch weitere Türen öffnet. Das heißt also tatsächlich, es kann erheblich, unter Umständen bis zu 75 Euro pro Versichertem, in den nächsten Jahren teuerer werden.

    Schulz: Es gibt jetzt keine Obergrenzen mehr für diese Zusatzbeiträge. Kann man das denn überhaupt anders bezeichnen als einen Selbstbedienungsladen?

    Nagel: Nun werden die Kassen natürlich konfrontiert werden mit der Reaktion der Versicherten, nämlich dass die Versicherten dann die Kasse wechseln. Allerdings ist man damit sicherlich auch nicht auf einer guten Schiene, denn wir sehen ja: Viele haben bestimmte Krankenkassen, die jetzt acht Euro in den letzten Monaten erhoben haben, schon verlassen, als Menschen mit geringen Risiken. Die werden sich jetzt vielleicht in Kassen wiederfinden, wo morgen der Zusatzbeitrag 20 oder 30 Euro beträgt. Also natürlich sind die Versicherten diesem System jetzt ausgeliefert und das finde ich höchst bedenklich.

    Schulz: Sie haben es gerade schon angedeutet: Die Steuerzahler hätte man in die Pflicht nehmen können. Wen denn der Beteiligten aus dem Gesundheitssystem?

    Nagel: Das ist ja der Punkt, den man jetzt, wenn man von einem ausgeglichenen Paket vonseiten der Bundesregierung spricht, auch versucht hat, zumindest einmal anzugehen, in Richtung pharmazeutische Industrie vor allen Dingen. Hier ist es sicherlich so, dass ein größerer Beitrag geleistet wird. Allerdings kann man gut argumentieren, dass es immer noch sehr wenig von dem ist, was geleistet hätte werden können, und auch sehr zaghaft, und, ich wage mal zu prognostizieren, in der Wirkung völlig überschätzt. Das wird sich aber erst herausstellen im Laufe des nächsten Jahres.
    Dann gibt es das Einsparvolumen im Bereich der Krankenhäuser. Hier will man 500 Millionen Euro einsparen. Ich selber bin ja auch im Krankenhaus tätig, weiß, wie die Probleme der Finanzierung sich für viele Häuser darstellen. Nach den Tariferhöhungen kann ich mir nicht vorstellen, wie das realisiert werden soll, außer dass wir tatsächlich eben Leistungen nicht mehr gewähren. Das ist aber rechtlich schwierig, wenn die Bundesregierung auf der anderen Seite sagt, Leistungen werden nicht gekürzt. Also man sieht, dass die Alltagsprobleme, die Patienten, die Leute, die im Gesundheitswesen tätig sind, haben, überhaupt mit dieser Reform nicht wirklich angegangen worden sind, und insofern wird die Diskussion auf dem gleichen Niveau weitergehen, auf dem wir sie bisher geführt haben.

    Schulz: Wenn wir noch mal bei der Pharmaindustrie bleiben. Wir sprechen da über 3,5 Milliarden, ein Beitrag, der eben aus dem schon vereinbarten Sparpaket kommt. Wo wären denn noch weitere Einsparpotenziale bei der Pharmaindustrie gewesen?

    Nagel: Hier geht es ja insbesondere um die Frage, ob die Arzneimittelausgaben, die ja regelmäßig in jedem Jahr steigen – und das auch aus gutem Grund, denn es gibt Fortschritte immer wieder zu vermelden -, in den Bereichen, wo es keinen Fortschritt gibt, nicht reduziert werden könnten. Wir müssen feststellen, dass in der Bundesrepublik deutlich höhere Arzneimittelpreise gezahlt werden, auch für etablierte Medikamente, als in anderen, zum Beispiel europäischen Ländern. Hier, meine ich, hätte man über stärkere Festpreisregelungen und eine Intensivierung von Rabattverträgen sicherlich noch eine Reduktion schaffen können. Und – das ist mir auch nicht ganz einleuchtend – wir haben, auch Herr Seehofer mal, als er Gesundheitsminister war, über Positivlisten diskutiert, das heißt eine Eingrenzung der Medikamente auf die wirklich notwendigen Dinge. Auch das ist eine Diskussion, die man hätte anstoßen können und die sicherlich nochmals eine Reduktion der Kosten in diesem Bereich erheblichen Ausmaßes bringen würde.

    Schulz: Wir haben gestern darüber gehört, dass die Apotheker weitestgehend verschont bleiben sollen. Was ist Ihre Analyse, warum gibt es Beteiligte, die offenbar in dieser Diskussion weitgehend immun zu sein scheinen gegenüber Belastungen oder stärkeren Belastungen?

    Nagel: Man muss feststellen, dass natürlich die Regulierungen im Gesundheitswesen, auch was die Finanzierung angeht, höchst komplex und kompliziert sind. Wer am Ende tatsächlich profitiert, wer verschont wird, das weiß man in aller Regel erst, wenn der Gesetzestext vorliegt und verabschiedet worden ist. Viele Reformen haben dementsprechend auch nicht das erzielt, was sie eigentlich erzielen wollten, weil auch manchmal für Politik schon gar nicht mehr durchschaubar ist, wie die Finanzierungsströme laufen. Da gibt es eben einige Gruppen, die da besonders erfolgreich sind, sich zu verteidigen im Hinblick auf ihre eigenen – ich sage das mal ganz provokativ – Pfründe. Wenn es uns nicht gelingt, dass diejenigen, die dort im Gesundheitswesen partizipieren umdenken und erkennen, im Gesundheitswesen kann man keinen optimalen Gewinn machen, sondern im Gesundheitswesen muss man beitragen für die Gesellschaft, dass eben Gesundheit auf hohem Niveau erhalten bleibt, bei einer vernünftigen Relation dessen, was dort überbleibt. Solange wir da keinen Konsens haben – und den sehe ich in keiner der Berufsgruppen im Moment -, werden wir auch die Preisspirale nach oben nicht wirklich dämpfen können.

    Schulz: Professor Eckhard Nagel, Direktor des Instituts für Medizinmanagement der Universität in Bayreuth, heute in den "Informationen am Mittag". Haben Sie herzlichen Dank.

    Nagel: Bitte schön, Frau Schulz.