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Naturschutz
Die Haltung zu Nationalparks wandelt sich

Soll man große Regionen wie das Wattenmeer oder die Eifel zum Nationalpark erklären? Das sei nicht mehr zeitgemäß, sagen Kritiker und fordern sogar, den Status bereits bestehender Nationalparks zu überprüfen. Doch Umweltschützer warnen: Naturschutz dürfe nicht nur wirtschaftlich beurteilt werden.

Von Susanne Lettenbauer | 03.11.2017
    Aufahme auf ein Stück Wald vom Wasser aus, Impressionen vom Paddeln im Müritz-Nationalpark
    Müritz-Nationalpark, der größte Festland-Nationalpark in Deutschland. Der Tourismus floriere, sagt Infrastrukturminister Christian Pegel (SPD). (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
    Das Image von Nationalparks hat gelitten. Uneingeschränkte Begeisterung herrscht heute höchstens noch bei Wissenschaftlern und Naturschützern, wenn Politiker einen neuen Nationalpark wie in Bayern, im Tessin oder wie vor fast zehn Jahren im rheinischen Siebengebirge planen. Proteste sind heute vorhersehbar. Der ethisch-moralische Anspruch, unberührte Natur zu erhalten, ziehe nicht mehr, sagt der Botaniker Christian Körner von der Universität Basel:

    "Man muss letztlich ökonomische Werte ins Spiel bringen und die auch glaubwürdig machen können. Also es muss jemand etwas davon haben, der Altruismus geht nicht soweit, dass man sagt: Ja, ja, wir tun jetzt was für die nächsten Generationen. Da kriegen Sie schon einige altruistische Menschen, aber Sie kriegen keine Mehrheiten."
    Im Sommer startete er im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern ein Langzeitmonitoring-Grundsatzprojekt zur Situation der Pflanzen- und Tierwelt oberhalb der Baumgrenze. Im Hochgebirge könne man arktische und gemäßigte Klimazonen auf kleinster Fläche gleichzeitig erforschen. Der Botaniker ist überzeugt:
    "Dass solche Beobachtungen weit über die Bedeutung von Schutzgebieten hinausgehen, weil sie wie so ein Barometer der Gesellschaft mitteilen, was denn jetzt wirklich in der Natur als Antwort kommt auf die großen Veränderungen von Klimaerwärmung, Niederschlagsveränderungen, Schneedeckendauer, Stickstoffeintrag aus der Atmosphäre, CO2-Anstieg."
    Der Sinn von Schutzgebieten werde heute sehr rational überwiegend nach wirtschaftlichen Maßstäben beurteilt, bestätigt die Geografin Annina Michel von der Universität Zürich. Die Ablehnung des geplanten zweiten Nationalparks für die Schweiz durch die Bevölkerung vor knapp einem Jahr habe dies nachdrücklich gezeigt, obwohl die Befürworter mit einer neuen Generation Nationalpark warben.
    "Was ich jetzt sicher gesehen habe, hinsichtlich dem Label Nationalpark, ist, dass es relativ schwierig ist, ein Image, was ein Nationalpark ist, aus den Köpfen der Leute zu bringen, ein Image zu ändern."

    Momentan läuft die Evaluierung, warum die Entscheidung gegen den Nationalpark ausfiel. Daraus will man Lehren ziehen für die im kommenden Jahr anstehende nächste Abstimmung, dann für den geplanten Nationalpark Locarnese im Tessin. Es muss ein Kommunikationsproblem gewesen sein, mutmaßt Annina Michel, auch deshalb wollen die Wissenschaftler bei der Salzburger Tagung die Notwendigkeit von Schutzgebieten vor allem mit Fakten belegen. Die Definition der bisherigen Schutzkategorien müsse künftig durchaus hinterfragt werden, so der Schweizer Norman Backhaus.
    "Ich denke, dass man neue Wege gehen kann in Bezug auf neue Schutzgebiete oder wie man sie dann auch immer nennen möchte. Einerseits ist es wichtig, dass es Vernetzungen gibt, Korridore für bestimmte Spezies, also Hecken können es sein, auf Feldern für Insekten, wo wir jetzt gehört haben, dass die sehr stark zurückgegangen sind. Oder ich denke, dass man urbane Gebiete sehr viel stärker mit einbezieht."
    Bedeutung geschützter Regionen steigt
    Grundsätzlich steige die Bedeutung von geschützten Regionen, betont Carl Beierkuhnlein von der Universität Bayreuth. Das sehe man an Nationalparks wie Caldera de Taburiente auf der spanischen Insel La Palma, gegründet 1954 und bisher vor allem Touristenattraktion. Bei der prognostizierten, zunehmenden Trockenheit wird der Nationalpark eher eine wichtige Bedeutung als Süßwasserreservoir bekommen.
    "Angesichts des Klimawandels ist es wahrscheinlich, dass es sogar noch wichtiger wird, solche Schutzgebiete zu haben, denn sie bringen ja Leistungen für die Gesellschaft. Sie bringen nicht nur eine Erholungsleistung, sie bringen auch eine Leistung als Ausgleich von klimatischen Bedingungen, sie fixieren Kohlenstoff und sie bewerkstelligen, dass wir sauberes Trinkwasser zur Verfügung haben."
    Schutzwürdigkeit regelmäßig überprüfen
    Beierkuhnlein plädiert sogar dafür, einzelne Schutzgebiete nach einer gewissen Zeit auf ihre Schutzwürdigkeit zu untersuchen. In Zeiten des Klimawandels bräuchte man andere geschützte Regionen als noch vor 100 oder 50 Jahren. Auenlandschaften als Überflutungsflächen, Wälder als Erosionsschutz. Böden als natürliche Wasserfilter.
    Der Mensch müsse erkennen, dass Nationalparks, Naturparks oder Biosphärenreservate als Schutz vor Naturkatastrophen helfen können, so Geo-Ökologe Beierkuhnlein. Erst dann haben Abstimmungen über neue Schutzgebiete wieder eine Chance.