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Naturschutz und Tourismus
Seychellen - Arbeiten im Paradies

Seit der Unabhängigkeit steht der Naturschutz auf den Seychellen in der Verfassung. Zur Renaturierung der fünftgrößten Insel der Seychellen, Curieuse, trägt eine Aufzuchtstation für Riesenschildkröten bei. Die Ranger dort wissen: Der Anblick der urzeitlichen Reptilien beruhigt gestresste Gemüter.

Von Christiane Zwick | 23.12.2018
    Seychellen - Ranger mit Aldabra-Riesenschildkröten auf Curieuse Island
    Seychellen: Ein Ranger mit Aldabra-Riesenschildkröten auf Curieuse Island (deutschlandradio / Christiane Zwick)
    Die Gischt spritzt. Das Boot prescht durch türkisblaues Meer auf eine hügelige Insel zu: Curieuse Island. Sie soll zu den schönsten der Seychellen gehören. Wobei - fast alle 115 Inseln des Archipels wurden schon einmal "Paradies" genannt. Obwohl ihre Natur weder unberührt noch ursprünglich ist. Im Gegenteil: Am Paradies wird hart gearbeitet. Zum Beispiel daran, dass Riesenschildkröten hier wieder leben können und sich auch vermehren. Ranger Eldon Derjacques trifft auf ein besonders schönes Exemplar:
    "Das ist ein großes Männchen. Es entspannt. Es kann 75, 80 Jahre alt sein. Wir gehen etwas weiter in den Wald. Wenn du ein komisches Geräusch hörst, so ein: 'Uh-uh-uh', dann paaren sie sich. Das Männchen macht den Krach, nicht das Weibchen. Die meiste Zeit liegen sie faul herum. Sie bewegen sich nur, um zu fressen oder sich zu paaren. Sonst relaxen sie. Kein Stress. Die ist echt schwer."
    Und weil sie so schwer sind, haben Riesenschildkröten ihren eigenen Rhythmus. Bedächtig setzt das Tier einen Fuß vor den anderen. Der bucklige Schild knarzt. Darunter blitzen wache ET-Augen hervor. Eldon Derjacques hockt sich hin und ist jetzt auf Augenhöhe mit dem Tier. Er grinst. Das hier ist für die Seychellen ein Traumjob: drei Wochen Naturschutz, eine Woche zuhause bei der Familie. Dem Ranger reckt sich ganz langsam ein faltiger Hals entgegen.
    "Sie mögen es, wenn ich sie am Hals kraule."
    Weich und trocken fühlt sich die graue Schildkrötenhaut an. Aldabra-Schildkröten sind ziemlich menschenfreundlich. Dass sie können nicht schwimmen, wurde ihnen zum Verhängnis. Französische Siedler fackelten vor 250 Jahren den Wald ab, um Plantagen anzupflanzen. Was die Tierwelt auf Curieuse beinahe auslöschte.
    Überall Riesenschildkröten auf Curieuse
    Seit der Unabhängigkeit steht der Naturschutz in der Verfassung. Und die Regierung hat diese fünftgrößte Insel der Seychellen gekauft. Zur Renaturierung soll eine Aufzuchtstation für die Riesenschildkröten beitragen. Gehege unter einem Holzdach, in denen die Tiere nach Größe geordnet sind. Eldon Derjaques füttert sie.
    "Die hier sind so groß wie ein Tennisball. Sie fangen als Golfball an. Die hier hat schon Volleyballgröße, mit zwei Jahren. Und die haben 5, 6 Jahre, aber ihr Geschlecht erkennt man noch nicht. Erst wenn sie 7,8 Jahre alt sind, kann man es bestimmen."
    Unter dem Holzdach vernaschen die Kleinen Blätter, die größer sind als sie selbst.
    Inzwischen begegnet der Ranger seinen erwachsenen Schützlingen überall auf Curieuse. Zwischen den hellen Granitfelsen, in den Mangroven und an den Stränden mit dem feinen, weißen Sand. Auf den ersten Blick trübt hier nichts mehr das paradiesische Bild. Was sehr im Sinne von Didier Dogley ist, dem ehemaligen Umweltminister, jetzt Minister für Tourismus. Eine gute Bootsstunde entfernt hat er seinen Amtssitz, auf Mahé, in der Hauptstadt Victoria.
    Didier Dogley weiß:
    "Die Hauptindustrien, die wir haben, sind Tourismus und Fischerei. Beide Zweige brauchen eine Natur, die gesund ist und was eigentlich Leute anlockt. Keiner wird zu den Seychellen kommen, als Tourist, wenn die Seychellen nicht dieses Paradies, was es heute ist. So für uns ist es sehr wichtig, dass dieses paradiesische Bild bleibt."
    Der Minister hat in der DDR Landschaftsarchitektur studiert, an der Fachhochschule Erfurt, deswegen spricht er deutsch. In seinem Büro hängt ein Poster mit Fischen des Indischen Ozeans, im Regal steht ein Bildband über Korallenriffe, betitelt mit "Lost World", verlorene Welt. Auch die Seychellen haben gerade wieder eine Korallenbleiche erlebt. Dass der Mann in dem grauen Anzug sich Sorgen macht, ist deutlich. Bedrohungen für Natur und Tourismus sieht er überall, schon beim Joggen am Morgen.
    "Früh um sechs bin ich am Strand in Beau Vallon und ich mache 30 Minuten Lauf zur Vorbereitung auf den Tag. Ich habe Zeit zu denken, ohne dass mich wer stört oder das Telefon klingelt. Und da war immer ein Haufen Dreck am Strand und da dachte ich: Wir müssen was machen und wir müssen schnell was machen. Weil die Plaste war nicht nur am Strand, sie war im Wasser, war überall."
    Ein süßer Zimtduft
    Deswegen hat Didier Dogley den Gebrauch von Einmal-Plastik verboten. Die Styropor-Boxen der Imbisse, die Plastiktüten in den Geschäften. Der Plastikbann funktioniert noch nicht perfekt, aber inzwischen haben fast alle die roten oder blauen Stoffbeutel dabei. Demnächst sind die Plastikstrohhalme dran. Der größte Schaden, erklärt Didier Dogley, sei den Inseln allerdings in der Kolonialzeit entstanden. Denn nicht nur auf Curieuse wurden Plantagen angelegt.
    "Kokosnuss und Zimt wurde überall gepflanzt. Bis zu den Bergen über 400 Meter Und es hat sich total selber verbreitet. Und deshalb haben wir nur noch sehr wenige Orte in den Bergen, wo du einheimischen Pflanzen sehen kannst, in größeren Mengen. So eigentlich, der Kolonialismus, die Aktivitäten, die damals betrieben, prägt die Seychellen überall."
    An den roten Trieben sind sie zu erkennen, die Zimtbäume. Ebenso wie die Rinde duften ihre glatten Blätter, wenn man sie zwischen den Fingern zerreibt: süß und ein bisschen nach Weihnachten. Zwanzig Kilometer südlich von Victoria, am anderen Ende der Hauptinsel Mahé liegt eine der ehemaligen Plantagen. Hier steht der Zimt dicht an dicht, überall treiben neue Schösslinge aus dem feuchten Boden.
    Unterhalb des Waldes liegt der "Jardin du roi", ein Schaugarten. Micheline Georges, die Besitzerin, zeigt ihren Besuchern gerade Vanilleranken, Pfeffersträucher und Muskatnüsse. Hier wächst alles, was einst für den Gewürzhandel angebaut wurde. Den Zimt allerdings muss sie regelmäßig ausreißen lassen.
    "Zimt war damals eine große Industrie. Wir hatten damals sogar eine Destillerie, in der die Zimtblätter zu Zimtöl verarbeitet wurden. Und wir haben säckeweise Zimt exportiert. Deshalb ging es hier geschäftig zu. Im Garten lag Zimt zum Trocknen aus, Nelken trockneten, Vanille wurde zubereitet. Deshalb war hier ganz schön was los. Wir hatten 30 Arbeiter, um all die Arbeit zu tun."
    Seychellois sind stolz auf die neue Geschichte
    Bleistiftkurze, weiße Haare, blaue Caprihose, energische Gesten, die 84-Jährige wirkt nicht so, als wolle sie sich bald zur Ruhe zu setzen. Sie hat viel zu erzählen und sie kennt sich gut aus in der Geschichte der Seychellen. Immerhin gehörte ihre Familie zu den Wohlhabenden während der französischen Kolonialzeit. Dann kamen die Engländer. Und denen gönnte man gar nichts, im Fall des Sieges. Nicht mal einen Baum aus dem Garten des Königs.
    "Mister de Romainville, der französische Verwalter zu der Zeit, befahl den Franzosen: 'Wenn die Briten kommen, verbrennt den Garten.' An einem schicksalhaften Tag lief ein Schiff in den wunderhübschen Hafen von Anse Royale ein und es hatte eine britische Fahne gehisst. Der Garten wurde in Brand gesetzt. Also war es vorbei mit dem Jardin du Roi. Viel später, als wir unser Land der Öffentlichkeit zugänglich machen wollten, dachten wir: ‚Warum dem Jardin Royal nicht eine historische Wiedergeburt geben?'"
    So entstand eins der wenigen Kulturdenkmäler neu. Für die gut 90.000 Bewohner der Seychellen auch eine Erinnerung an eine nach Rassen und Klassen getrennte Gesellschaft.
    Die meisten Seychellois sind Kreolen, sie stammen von afrikanischen Sklaven und europäischen Siedlern ab. Stolz sind sie weniger auf die alte als auf die neue Geschichte - und auf die Natur ihres Landes. Die zu bewahren, mahnt sogar die Nationalhymne. David André hat sie mit verfasst. Auf Kreolisch.
    "Sesel ou menm nou sel patri
    Kot nou viv dan larmoni
    Lazwa, lanmour ek lape
    Nou remersye Bondye
    Preserv labote nou pei
    Larises nou losean
    En leritaz byen presye
    Pour boner nou zanfan"
    "Erhalten wir die Schönheit unseres Landes, den Reichtum unseres Ozeans", diese Botschaft gewann 1996 den Wettbewerb um die neue Nationalhymne. Auch von Freude und Harmonie ist die Rede. Dahinter stehe als Idee das Ideal des Kreolischen, erklärt der weißhaarige Liedermacher. In kurzärmeligem Hemd und Bügelfaltenhose sitzt er auf einem der alten Polstersessel, die sich auf der Veranda seines Hauses aneinander reihen.
    "Reste touzour dan linite
    Fer monte nou paviyon
    Ansanm pou tou leternite
    Koste Seselwa!"
    "Es geht um Einfachheit. Ein seychellischer Kreole interessiert sich normalerweise nicht für ein dickes Auto oder ein großes Haus oder die neueste Mode. Gut, einige tun’s, wir leben schließlich im 21. Jahrhundert. Aber ein echter Kreole findet sein Glück im Einfachen und Wesentlichen. Wir sitzen hier draußen, schauen in die Sterne und ich mache mir nichts aus feinem Zeug oder so"
    Der Blues der Seychellen
    Es duftet nach reifen Mangos, der Lieblingsspeise der Flughunde, die in der Dämmerung durch die Bäume flattern. David André nimmt sich noch ein paar Minuten ihnen zuzuschauen. Dann ruft die Arbeit. Durch einen politischen Frühling wurde der Liedermacher zum Bürgermeister der Hauptstadt. Mehr als 40 Jahre lang hatte nur eine Partei regiert, die sozialistische Parti Lepep. 2016 schaffte es die Opposition das erste Mal ins Parlament.
    "Wir hatten eine schwierige Zeit, in der die Leute Angst hatten etwas zu sagen. Man musste sich anpassen, weil es ein Ein-Parteien-Staat war. Ich wage zu sagen, dass es eine Diktatur war. Nun ja, wir haben es hinter uns. Ich habe nie davon geträumt, Bürgermeister zu werden, ich bin ein Künstler, ein Musiker und Musiklehrer, aber ich habe mich sehr für eine Demokratie mit mehreren Parteien eingesetzt und mit Oppositionellen zusammengearbeitet, für den Wechsel und die Meinungsfreiheit. "
    Und die ist noch ziemlich neu. Arbeitern und Sklaven blieb jahrhundertelang als Ventil für ihr Elend nur der Blues der Seychellen. Die Moutia wurde am Strand gesungen. Der ist noch heute Treffpunkt für Familie und Freunde.
    David André singt eine Moutia.
    Die Seychellois haben sich aus der Armut herausgearbeitet. Ihr Pro-Kopf-Einkommen hat für Afrika einen Spitzenwert erreicht. Durchschnittlich liegt es bei umgerechnet rund 14.000 Euro. Auch Murcianne Ah-Kong verdient mit, am Bild vom Paradies. Die 25-Jährige trägt an den Spitzen blau gefärbte Rastazöpfe. Sie will zurück nach La Digue. Die Fähre ist voll mit Urlaubern aus aller Welt. Der Einkommensquelle, die nicht versiegen darf.
    "Fast alle Berufe haben mit Tourismus zu tun. Meine Mutter hatte schon eine Pension. Also habe ich ein bisschen dafür studiert und arbeite jetzt bei ihr. Das war nicht mein Traum. Ich wollte eigentlich gerne Stewardess werden, in der Luftfahrt."
    Bevor die neuen Gäste kommen, geht Murcianne Ah-Kong noch schnell in die Bibliothek, um ein Buch für ihre Tochter zu holen und in die Zeitung zu schauen. An den Tischen sitzen Kinder in rosa Schuluniformen und machen Hausaufgaben.
    Die "Nation", die Tageszeitung, kündigt auf der Titelseite eine Konferenz zu nachhaltiger Fischerei an. Die Rubriken bilden die Prioritäten ab: Nationales, Umwelt und Sport. Die junge Frau vermisst vor allem eines:
    "Auf La Digue fehlt etwas für die Jugend. Nach der Schule gibt es wenig, was man machen kann. Die Jüngeren können in die Bibliothek gehen, aber für die Jugendlichen gibt es nichts. Wir haben den Strand, aber da kann man nicht jeden Tag hin."
    Selbst wenn es der berühmteste Strand der Seychellen ist. Zur Anse Source d’Argent braucht man mit dem Fahrrad nur zehn Minuten. Werbefilme für Rum und weiße Schokolade wurden hier gedreht. Heute knipsen hunderte von Tagesgästen die Bilder nach, um sie gleich mit dem Handy ins Netz zu laden: Palmen zwischen glatt geschliffenen Felsen, die bis ins flache, klare Wasser reichen. Die meisten geben sich Mühe, Badetücher und Mittouristen nicht mit drauf zu bekommen.
    Weniger Stress durch Reptilien
    Einer der begeistert fotografierenden Touristen: "Kein Strand ist privat. Man kann überall ran und sie sind nicht durch Liegestühle, Buden oder Cocktailbars besiedelt. Man sieht zwar manchmal integriert in die Landschaft Wohngebäude, ansonsten relativ unberührt alles und das ist schon schön. Das will man.
    Die scheinbar ursprüngliche Schönheit lässt die Menschen träumen. Und wenn sie ganz in ihrem Paradiesfilm sind, dann ist es an Rangern wie Eldon Derjacques sie wieder aufzuwecken. Um der Pflanzen und Tiere willen.
    "Manche Leute setzen sich auf die Riesenschildkröten. Die leiden dann stumm. Der Druck auf ihren Schild tut ihnen weh. Früher habe ich das auch nicht gewusst. Die Schildplatten werden gequetscht, deswegen laufen sie los."
    Wo sie gerettet wird, hat die Natur auf den Seychellen viel zurückzugeben. Ökologisch, ökonomisch. Eldon Derjacques erlebt auf Curieuse aber noch einen anderen Effekt. Der Anblick der urzeitlichen Reptilien beruhigt gestresste Gemüter. Wenn sie sich darauf einlassen.
    "Wir rennen so schnell durchs Leben, vor allem Europäer hetzen immer. Hier die Schildkröten: Sie essen, sie schlafen. Langsam. Sie trinken, schwimmen etwas, tauchen für ein paar Minuten. Für sie ist das Leben einfach."