Freitag, 19. April 2024

Archiv

Negativzinsen für Sozialkassen
Zinspolitik nagt an der Rentenreserve

Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank belastet laut einem Medienbericht zunehmend die Sozialversicherungen. Kassierten diese früher noch Zinsen, müssen sie jetzt für das angelegte Geld häufig draufzahlen. Das hat natürlich Auswirkungen, andere Probleme sind aber für die Rentenkasse gravierender.

Von Mischa Ehrhardt | 30.07.2018
    Ein Schiff fährt am 06.08.2014 auf dem Main in Frankfurt am milliardenteuren Neubau der Europäischen Zentralbank vorbei.
    Die Niedrigzinspolitik der EZB soll die Preise stabil halten, für Anleger ist sie eine Herausforderung. (Boris Roessler, dpa picture-alliance)
    Nun also auch die Rentenversicherung. 49 Millionen Euro Miese stehen dort in der Bilanz, wo eigentlich ein hübscher positiver Betrag stehen sollte: Nämlich bei den Zinserträgen, also den Zinseinnahmen durch angelegte Rentengelder.
    "Die Leute legen Geld an, auch der Staat legt Geld an, muss Rendite erwirtschaften. Je mehr Rendite er erwirtschaftet, desto weniger Beiträge müssen bezahlt werden. Also: wenn die Sozialkassen Negativzinsen bezahlen müssen, bedeutet das automatisch, dass die Beitragszahler irgendwann einmal mehr Geld zahlen müssen, um das auszugleichen. Also die Rechnung bezahlt dann der Normalkunde", sagt Max Herbst, Experte der FMH Finanzberatung in Frankfurt.
    Banken reichen Einlagezins der EZB weiter
    Dass ein Minus bei Zinszahlungen überhaupt zu Stande kommen kann liegt daran, dass die Europäische Zentralbank nicht nur die Leitzinsen auf null Prozent gesetzt hat. Sie hat auch Strafzinsen eingeführt für Kreditinstitute, die bei der Zentralbank Geld deponieren. So möchte die Notenbank die Banken dazu bringen, das Geld in Form von Krediten auszugeben, statt es zu bunkern. Die Rentenversicherung gibt an, dass die Kreditinstitute in der Tat bei einem Anlagehorizont von bis zu zwölf Monaten überwiegend nur noch negative Verzinsungen anböten.
    Die Rentenversicherung kommt durch diesen Verlust bei den Zinserträgen deswegen aber nicht in eine Schieflage, denn dieser vergleichsweise kleine Verlust von knapp 50 Millionen Euro ist angesichts von Rücklagen von über 34 Milliarden Euro noch verkraftbar, meint Max Herbst: "Das klingt doof, wenn man sagt, 50 Millionen sind Peanuts. Deswegen: Es tut weh, es fehlt Geld, aber der kleine Mann spürt das jetzt nicht, da wird jetzt nicht eine Beitragserhöhung stattfinden, das auf keinen Fall. Aber trotzdem fehlen 50 Millionen, die in dem Moment an die EZB gehen".
    Andere Probleme für die Rentenkasse gravierender
    Derzeit sehen Experten eher andere Probleme, die das Rentensystem meistern muss. Johannes Geyer, Rentenexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: "Sorgen bereiten eher Fragen der langfristigen Stabilität. Das Versorgungsniveau der Rentenversicherung bei vernünftigen Beitragssätzen, das ist die generelle Aufgabe, vor der wir stehen bei der Rentenversicherung. Das ist das Kernproblem der Rentenversicherung im demografischen Wandel. Die aktuelle Zinsphase und überhaupt die Zinsen für die Rentenversicherung sind kein entscheidender Faktor."
    Die Rente ist sicher, hat der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm einmal gesagt. Das ist sie - trotz dieser Probleme und Herausforderungen immer noch. Und zwar deswegen, weil die Zinsen am Kapitalmarkt bei der durch Umlagen finanzierten Rentenversicherung nur eine Nebenrolle spielen, meint Blüm heute: "Das zeigt, dass eine Alterssicherung, die auf Kapital fußt, eine unsichere Sache ist. Stellen Sie sich vor, unsere gute alte Rentenversicherung wäre auf den Leim gegangen, sie soll vom Umlagen-System auf Kapitaldeckung umgestellt werden. Dann würde das, was jetzt im Kleinen passiert zum Zusammenbruch der Rentenversicherung führen. Also der alte Blüm, der gegen diese Kapitalisierung der Rentenversicherung gearbeitet hat, war nicht so dumm, wie die Bild-Zeitung geglaubt hat."