Donnerstag, 25. April 2024


Neoliberalismus

Natürlich! - und: Wir haben es doch schon immer gesagt!, erklären fast triumphierend die Protagonisten der Linken. Für Gregor Gysi begann das zügellose Geschäftemachen mit Zins und Zinseszins im Mittelalter:

Von Jacqueline Boysen | 16.10.2008
    "Irgendwann hat halt die katholische Kirche aufgegeben, Christen zu untersagen, Zinsen zu nehmen und damit war dann sozusagen eine Blüteentwicklung des Kapitalismus gegeben."

    Pofalla: "Mehr Freiheit bedeutet auch weniger Staat. Hier sehe ich einen der entscheidenden Unterschiede, wir bekennen uns dazu, dass wir weniger Staat wollen, die Sozialdemokraten rufen permanent nach dem Staat."

    Ronald Pofalla, CDU-Generalsekretär, mag in Wahlkampfreden das Fähnlein der Deregulierung hochhalten - angesichts der Finanzkrise verwischen die Grenzen zwischen den grundsätzlich libertäreren Vorstellungen der Union und der traditionell eher zum staatlichen Eingriff neigenden SPD. Die freilich musste sich einst von ihrem eigenen Kanzler vorhalten lassen, dass der Staat künftig nicht alles werde richten können.

    "Entweder wir modernisieren und zwar als soziale Marktwirtschaft oder wir werden modernisiert und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen würden."

    Gerhard Schröders Appell an mehr Eigenverantwortung rief die Kritiker auf den Plan, die ihn des Neoliberalismus' bezichtigten. Das zum polemischen Kampfbegriff mutierte Schlagwort entstammt ursprünglich den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es beschreibt die Balance von staatlicher Regel und wirtschaftlicher Freiheit - eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft, die sich vom kompletten Laissez-faire unterscheidet, so der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther.

    Unregulierte Märkte könnten also für die Finanzkrise folglich nicht verantwortlich sein:

    "Es ist nicht der große Vorwurf, sondern es ist ein konkreter Defekt an mehreren Stellen, in der Kreditvergabe, wie auch immer, aber das wird intoniert, als stünde das System der marktwirtschaftlichen Ordnung, das auch immer ein System der freiheitlichen Gesellschaft ist, zur Disposition. Meistens legen manche nahe, als hätten sie den Himmel auf Erden im Angebot. Wir haben aber immer nur die Erde auch Erden, das heißt wir müssen also realistisch versuchen zu organisieren, zur ordnen, Freiheit und Verantwortung möglich zu machen."

    Hier beginnt der Expertenstreit: denn weniger marktfixierte Ökonomen sehen den Staat stärker in der Pflicht - auf eine Katharsis und selbstheilende Kräfte könne man nicht setzen, so der Wirtschaftwissenschaftler Rudolf Hickel:

    "Es ist so, dass wir gegen den Börsenabsturz, den wir heute weltweit erlebt haben, dass wir da momentan überhaupt kein Rezept haben. Wir müssen vor allem im Keim ersticken dieses massive Missmanagement im Bankenbereich, auch die Erfindung von spekulativen Finanzprodukten, die zu dieser Krise geführt haben und da kann der Staat etwas tun und bestimmte Produkte, die besonders die Spekulation nach oben und nach unten antreiben, müssen verboten werden."