Freitag, 19. April 2024

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"Neon Delight"
Die Kunst der Edelgase

Neonfarbig - ein Sammelbegriff für alles mit starker Farbe, vom Radiergummi bis zur Leuchtstoffröhre. In den 1920er beginnt die Kulturgeschichte von Neon und anderer Edelgase mit den ersten Leuchtreklamen. Heute gilt anachronistische Leuchtstoffröhren-Technik manchen als hip.

Von Peter Backof | 16.03.2020
Teilstück eines Kunstwerks, leuchtende blaue Röhre
Neon leuchtet rot, Argon blau - Teilstück eines Kunstwerks von Giny Vos (Peter Backof )
Die 1980er brachten den endgültigen popkulturellen Durchbruch: Vom Flummi im Schulranzen bis zur Stroboskop-Beleuchtung in der Disco, alles war plötzlich neon-farbig. Auch in der "Matts Rad Show", ein aktuelles Video-Tutorial aus Minneapolis, über Neon und was man daraus machen kann, geht es zurück in die Zukunft der Achtziger. Die Show-Werkstatt leuchtet, als wäre sie radioaktiv aufgeladen. Indes, John Jaspers:
"Der Begriff wird sehr oft falsch genutzt. 'Guck da, was für ein schönes Neon!' - aber dann ist es Leuchttstoffröhre, einfach eine Lampe, die gemacht wird in einer Fabrik. Neon leuchtet natürlich rot."
Steam-punkig, retro-futuristisch
Weiß John Jaspers vom Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna. Während Argon zum Beispiel blau leuchtet. Trotzdem ist es nicht grundverkehrt, sämtliche leuchtenden Edelgase "Neon" zu nennen; ein Verhältnis wie "Rama" und Margarine. Beides ginge. Echtes Neon in einer Glasröhre unter Strom sieht dabei gar nicht so neonfarbig aus. Eher sanft glimmend wie Grillkohle. Entdeckt wurde es 1898 beim Destillieren von flüssiger Luft. Und auch Tutorials wie die "MattsRadShow" wirken wie reinszenierte alte Physik-Labore, von Edison, Tesla - oder Daniel Düsentrieb. Steam-punkig, retro-futuristisch. "Ich glaube, dass Neon momentan ein bisschen hip ist, ein bisschen retro, und die Leute erinnert an andere Zeiten, wo alles ein bisschen unschuldiger war und einfacher als in der jetzigen Zeit."
Eine Revolte gegen die Massenproduktion und das Digitale
Eine Theorie. Es hat auch etwas mit Empowerment zu tun und ist sehr befriedigend, mithilfe uralter Glasbläsertechnik, mit den Händen und eigener Puste leuchtende Artefakte herzustellen. Eine Revolte gegen die Massenproduktion einerseits, meint John Jaspers, und auch gegen das Digitale. Denn John Jaspers: "Jetzt ist es so: Neon ist ersetzt worden von Bildschirmen und Handys."
Die Neonfarbigkeit, das Leuchtende, ist allüberall. Schöner ist es, wenn man es selber macht, ganz analog. Klingt plausibel. Zurück in die Neon-Geschichte. Die erste Lampe entstand 1910, die erste Reklame 1912, ein Friseursalon in Paris. Las Vegas war Pionierstadt. Das sieht man sehr schön an historischen Fotos. "Neon"-Licht in allen Farben stand in seiner Frühzeit aber für das Billige, Schnelle und fürs Rotlichtmilieu, weiß John Jaspers, und es wundert ihn nicht, dass Künstlerinnen und Künstler bis in die Sechziger mit Edelgasen in Leuchtstoffröhren gar nichts anfangen konnten. Bis gesellschaftliche Prozesse sie kunstfähig machten.
Ausgesprochene Museumskunst
John Jaspers: "Denken Sie an Flower Power, Hippies, Pop Art, gesellschaftliche Neuerungen, große Proteste: Dass Künstler dann nach einem Material gesucht haben, das noch nie in der Kunst verwendet wurde, was noch keine kulturhistorischen Bezüge hatte."
Bruce Nauman, der zwei Strichmännchen sich gegenseitig abwatschen lässt; ein Anti-Gewalt-Logo, aus Licht gemalt oder Tracey Emin, die ihre eigene Handschrift in Leuchtstoffröhren übersetzt hat. Bis hin zu einem "letzten Horizont" von der Niederländerin Giny Vos. Ausgesprochene Museumskunst, die für John Jaspers mit der Bastelkunst in Video-Tutorials etwas zu tun hat. Gerade jetzt, da Leuchtstoffröhren allmählich aus dem Alltag verschwinden, erobert "Neon" die Labore und Ateliers.