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Neos und FDP im Europawahlkampf
Österreichs junge Wilde fürs EU-Parlament

Auch wenn sich die liberale ALDE-Fraktion im EU-Parlament gerne als eine Partei versteht: Die Differenzen ihrer Mitgliedsparteien sind offenkundig. Das merkt man, wenn man zwei Kandidatinnen der österreichischen Neos und der deutschen FDP im Wahlkampf begleitet.

Von Benjamin Dierks | 15.02.2019
    ABD0133_20190126 - WIEN - ÖSTERREICH: Spitzenkandidatin der NEOS für die EU-Wahl, Claudia Gamon am Samstag, 26. Jänner 2019, im Rahmen einer NEOS Mitgliederversammlung mit "Wahl der Kandidaten für die EU-Wahl" in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH |
    Die Europa-Spitzenkandidatin der österreichischen Neos, Claudia Gamon, will in 20 Jahren in den Vereinigten Staaten von Europa leben (picture alliance /dpa / picturedesk / Georg Hochmuth)
    Nicola Beer bahnt sich ihren Weg durch den Schneematsch. Das Europaparlament ragt auf der einen Seite empor, auf der anderen liegt der Place du Luxembourg.
    "Wo hast du jetzt den nächsten Termin?"
    "Da, hier auf dem Platz, auf der anderen Seite."
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Leeres Label? Liberale Parteien in Europa.
    Die FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl folgt ihrem Mitarbeiter, der ihre Termine in Brüssel koordiniert. Sie steuern ein Café an, in dem sich Abgeordnete gern treffen.
    "Ich bin jetzt schon wieder dabei, die Kontakte etwas enger zu haben, einfach auch um die Arbeit nach der Wahl vorzubereiten."
    Nicola Beer, Generalsekretärin der deutschen FDP und Spitzenkandidatin für die Europawahl
    Nicola Beers Partei FDP gehen einige Ideen der Neos, von En Marche und anderen zur europäischen Integration zu weit (Deutschlandradio / Benjamin Dierks)
    Der VVD des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte steht Beer nahe, auch der spanischen Partei Ciudadanos, die hofft, bei dieser Wahl deutlich mehr als den einen Abgeordneten schicken zu können, der bislang für sie im Parlament sitzt.
    FDP geht mit EU-Neulingen ins Rennen
    Kontakte wird Beer gut gebrauchen können, denn die FDP schickt nur Parlamentsneulinge ins Rennen. Nadja Hirsch, die einzige FDP-Europaabgeordnete, die sich erneut beworben hatte, erhielt keinen aussichtsreichen Listenplatz. Dazu trug möglicherweise ihre Kritik an Beer bei. Hirsch hatte Zweifel an Beers Haltung zu Ungarns Regierungschef Viktor Orbán geäußert. Beer weist die zurück:
    "Das wird mir insofern nicht gerecht, dass ich nicht eine Sympathie für die ungarische Regierung, aber eine Sympathie für die Ungarn oder überhaupt für die Menschen in Mittelosteuropa habe."
    Nicola Beer setzt stets ein Lächeln auf, sobald sie einen Satz beendet hat. Ihre Partei hat sie mit ihrem Bekenntnis gegen Orbán und für die ungarische Bevölkerung zufrieden stellen können.
    Es wäre verheerend für die Liberalen in Europa, wenn der Eindruck entstünde, ihre Gegnerschaft zu Orbán sei nicht eindeutig. Immerhin kritisieren sie die konservative EVP scharf dafür, dass sie Orbáns Partei Fidesz in ihren Reihen duldet.
    Christ- und sozialdemokratische "Verkrustung"
    Und vor allem den Konservativen wollen die Liberalen ihre Macht in Europa streitig machen – und kalkulieren dafür mit kräftigem Stimmenzuwachs.
    "Dann kann es uns gelingen, sogar zweitstärkste Kraft im Europaparlament zu werden. Und das zusammengenommen mit den acht Premierministern im Rat, mit einer starken Truppe an Kommissarinnen und Kommissaren von den Liberalen, das ist dann genau die Gewichtsverteilung, die es möglich macht, diese Verkrustung aufzubrechen."
    Als Verkrustung bezeichnet Beer die ihrer Ansicht nach zu unentschiedene Politik in Europa, die sie vor allem Christ- und Sozialdemokraten zuschreibt. Nach bisherigen Prognosen läuft es allerdings auf den dritten Platz hinaus, selbst wenn ALDE nach der Wahl mit La République en Marche von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zusammengeht – mit der die Verhandlungen zäher laufen als erhofft.
    "Das geht schon voran. Wird augenblicklich noch ein bisschen gebremst halt auch durch die innenpolitische Situation in Frankreich, aber die Grundzüge stehen."
    "Vorstellung von den Vereinigten Staaten von Europa"
    ALDE verkauft sich als die einzige konsequente Europapartei. Aber auch sie kann sich nicht freimachen von den nationalen Interessen ihrer Mitglieder. Das bekommen auch die jungen Verbündeten der FDP in Österreich zu spüren – die Partei Neos. Dort bereitet sich die Spitzenkandidatin Claudia Gamon auf ihren Wahlkampf vor.
    "So, bitte Platz zu nehmen. Willkommen zum ersten Meeting für das Team der Spitzenkandidatin Claudia."
    Nick Donig, der Generalsekretär der Neos, begrüßt seine Kollegen im Büro der österreichischen liberalen Partei in der Wiener Hofburg. Hier gastiert der österreichische Nationalrat, solange dessen Gebäude saniert wird. Claudia Gamon sitzt bislang im Parlament in Wien und wird, so lassen es die Prognosen erwarten, als einzige Neos-Abgeordnete ins Europaparlament gehen. Ihre Forderungen haben in Österreich für Aufsehen gesorgt.
    "Wie kann man das EU-Budget anders denken? Indem man einen kleinen Teil europäischer Steuern einführt, um die dann die Mitgliedsbeiträge der Länder reduziert werden sollen. Und auch die Vision einer europäischen Armee. Das ist sehr weit gedacht, aber man kann ja auch darüber reden, wie Europa aussehen sollte in 20 Jahren. Wir haben eine ziemlich radikale Antwort darauf mit unserer Vorstellung von den Vereinigten Staaten von Europa."
    "Umgang mit Rechtsnationalen muss streng sein"
    Bei der Armee geht die FDP noch mit, bei vielen Budgetideen und dem von den Neos, En Marche und anderen ebenfalls geforderten EU-Finanzminister winken die Freien Demokraten ab, wie auch bei Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik. Das führt nach Vorstellung der FDP in eine Transferunion, in der Deutschland zahlt. Die Vorstellung von den Vereinigten Staaten von Europa belächelte Nicola Beer vor einiger Zeit noch als "eine pathetische Europa-Idee".
    "Jetzt machen wir eine kleine Reise durch die Geheimgänge der Hofburg."
    Claudia Gamon macht sich auf den Weg zum Plenarsaal. Sie hat eine Europastunde im Parlament angesetzt. Den anderen Parteien in Österreich wirft sie vor, dass sie sich nicht klar zur EU bekennen.
    "Man hört es zwar von der FPÖ, die stellen sich eine ganz andere EU vor, die wollen die Europäische Union zurückbauen. Das ist nicht die Antwort, die ich gerne hätte, aber immerhin eine Antwort. Die anderen murksen sich herum, ja, tun wir ein bisschen hier und ein bisschen da, und das ist mir einfach zu wenig."
    Dabei sei vor allem gegenüber Nationalisten – im eigenen Land wie in Europa – eine klare Haltung nötig, kein Einlenken.
    "Der Umgang mit rechtsnationalen Parteien muss ein strenger sein, was liberale Grundrechte, Menschenrechte und Demokratie betrifft."
    Sich nicht von älteren Herren die Welt erklären lassen
    Nach Brüssel wolle sie, sagt die 30 Jahre alte Vorarlbergerin, weil sich ihre Generation nicht mehr von älteren Herren erzählen lassen wolle, was geht und was nicht.
    "Schauen Sie sich meine Gegner an, die fallen alle in diese Kategorie."
    Am Europaparlament schätzt sie, dass die Parteien auch über ihre Grenzen hinweg an sachlichen Lösungen arbeiteten. Das habe ihr im österreichischen Nationalrat stets gefehlt.