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"Net Mundial" Brasilien
Uneinig über die Zukunft des Internets

An der zweitägigen Konferenz "Net Mundial" beteiligten sich Internet-Experten und Datenschützer aus mehr als 80 Ländern. In dem Abschlussdokument wird die Spionage im weltweiten Datennetz verurteilt. Aber nicht alle Konferenz-Teilnehmer stehen hinter der Erklärung.

IT-Journalist Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 26.04.2014
    Manfred Kloiber: Zwei Tage lang haben auf der Net Mundial im brasilianischen Sao Paulo 900 Regierungsvertreter, Delegierte zivilgesellschaftlicher Gruppen, Wissenschaftler und Unternehmer über die künftige Internetverwaltung und die Zukunft des Netzes diskutiert. Über das Abschlussdokument gab es Streit, warum, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Weil sich zwei Gruppen nicht gut genug mit ihren Interessen vertreten sehen. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln, dass die Themen Netzneutralität und Überwachung nicht oder nicht ausreichend im Abschlussdokument vertreten sind. Das ist die eine Gruppe. Die andere Gruppe besteht aus den Vertretern Chinas, Russlands, Irans, Saudi-Arabiens und Kubas. Die stehen nicht hinter dem Abschlussdokument, weil das eine sehr weitgehende Beteiligung der Zivilgesellschaft an der weiteren Entwicklung des Netzes und auch in der Frage der künftigen Oberaufsicht über die Netzverwaltung Icann vorsieht.
    Kloiber: Wenn diese Staaten die zivilgesellschaftlichen Gruppen draußen haben wollen, wer soll denn nach den Vorstellungen der Regierungen Russlands, Chinas oder Irans das Sagen im Netz haben?
    Welchering: Na, am besten die Regierungen Chinas, Russlands, Irans, Saudi-Arabiens usw. Diese Staaten haben sich ja auf den Icann-Treffen Ende März in Singapur für eine weitgehende einzelstaatlich geregelte Netzverwaltung stark gemacht. Diese Position haben sie in Sao Paul revidiert. Hintergrund: ein Deal mit der Internationalen Fernmeldevereinigung. Die ITU will ja seit gut 15 Jahren die Oberhoheit über das Netz, wirbt damit, dass sie als UN-Unterorganisation für die von vielen gewollte Internationalisierung der Netzverwaltung steht. Die USA sind gegen die ITU, haben das bisher auch immer verhindert. Auf den Icann-Treffen hatten sie da indirekt die Unterstützung von Russland, China und den anderen Staaten, die eine einzelstaatliche Regulierung des Netzes wollten. Aber Russland, China, Iran und Co. haben gesehen, dass sie sich mit ihrem einzelstaatlichen Modell nicht durchsetzen können. Also haben sie mit der ITU verabredet: Wir treten für eine internationale Netzverwaltung durch die ITU ein, aber im Gegenzug trittst Du, ITU, für weitgehende Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten des Netzes durch einzelne Staaten ein. Und dieser Deal ist in Sao Paulo eben nicht aufgegangen.
    Kloiber: Haben die Net-Mundial-Teilnehmer sich denn auf eine Lösung für die künftige Oberaufsicht über die Icann verständigen können?
    Welchering: Es gibt eine Lösungstendenz, aber keine wirkliche Lösung, noch kein Konsens. Lösungstendenz: Stärkung des Internet Government Forums. Damit verbunden ein Umbau von einer Veranstaltung der Vereinten Nationen zu einem "Netzparlament", also Herauslösung aus UN. Wie das gemacht werden soll, steht noch völlig in den Sternen. Das wird auf dem nächsten Internet Government Forum Anfang September in Istanbul besprochen werden. Und hier erwarten eigentlich alle, dass UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bis zum IGF-Treffen die Initiative ergreift. Diese Erwartung hat allerdings Wu Hongbo von der Wirtschafts- und Sozialabteilung der UN schon ein wenig gedämpft. Er hat darauf hingewiesen, dass erst einmal generell über die Fortführung der IGF über 2015 hinaus diskutiert werden müsse.
    Kloiber: Es gab ja sehr eindringlich formulierte Anträge zu den Themen Netzneutralität und Massenüberwachung auf der Net Mundial. Wieso haben die ihren Weg in das Abschlussdokument nicht gefunden?
    Welchering: Massenüberwachung haben die USA abgeschwächt. Netzneutralität wollten die Wirtschaftsvertreter nicht drin haben.