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Netanjahu "hat die richtigen Worte von Obama bekommen"

Avi Primor, Leiter Zentrum für europäische Studien an der Universität Herzliya und ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, glaubt, dass der US-Präsident erreicht hat, was er wollte: kein israelischer Angriff des Irans vor den US-Wahlen.

Avi Primor im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.03.2012
    Christiane Kaess: Die "New York Times" brachte es heute auf den Punkt. Einigkeit herrsche zwischen Israel und den USA lediglich in der grundsätzlichen Frage, dass weder Israel noch die USA einen Iran mit Atomwaffen zulassen wollten.

    In einer anschließenden Rede vor der israelfreundlichen Lobbyorganisation AIPAC in Washington wurde Netanjahu dann deutlicher. Dort machte Netanjahu keinen Hehl mehr daraus, dass er nicht mehr an eine diplomatische Lösung glaube. Als Ministerpräsident Israels werde er sein Volk nicht im Schatten der Vernichtung leben lassen, so Netanjahu. Und er zog einen Vergleich, in dem er auf den Holocaust einging. 1944 hätten die USA Bitten der jüdischen Lobby abgelehnt, das Vernichtungslager Auschwitz zu bombardieren, aber 2012, so Netanjahu, sei nicht 1944. Die heutige amerikanische Regierung sei anders, und weiter:

    O-Ton Benjamin Netanjahu:

    Kaess: Jetzt also, so Netanjahu, habe man einen eigenen Staat, der eigens zur Verteidigung jüdischen Lebens geschaffen worden sei. Niemals werde man wieder so machtlos sein.

    – Am Telefon ist Avi Primor, er ist Leiter des Zentrums für europäische Studien an der Universität Herzliya und ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland. Guten Tag, Herr Primor.

    Avi Primor: Guten Tag, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Primor, ist dieser historische Vergleich, den Netanjahu da gezogen hat, angebracht?

    Primor: Also, erstens ist es für dieses Publikum angebracht, weil diese jüdischen Aktivisten, die auch zahlreich sind – 13.000 waren anwesend -, hören gerne solche Argumente. Sie sind heute für jüdische Organisationen tätig, den Antisemitismus zu bekämpfen und um einen Holocaust zu verhindern. Und haben ein schlechtes Gewissen, weil sie während des Krieges für die Juden in Europa kaum etwas getan haben. Also, da passt es irgendwie rein.

    Aber er sprach ja von der amerikanischen Regierung. Die amerikanische Regierung hat damals den Juden nicht Hilfe geleistet; heute ist sie bereit, Hilfe zu leisten. Und das genau hat Obama von ihm erwartet. Diese ganze Geschichte ist eine Unterstützung Obamas, das ist nicht, was Netanjahu im Sinn hatte, aber da hat, glaube ich, Obama viel schlauer gespielt und hat sein Ziel erreicht.

    Kaess: Schauen wir auf dieses Problem der unterschiedlichen Sichten auf den Iran von Seiten der USA und von Seiten Israels. Wer treibt hier wen?

    Primor: Was wollte Obama? Das müssen wir zuerst mal verstehen. Erstens wollte er nicht, dass Israel jetzt angreift, auf jeden Fall nicht vor den Wahlen. Das wäre für ihn katastrophal.

    Kaess: Und das hat er erreicht?

    Primor: Das hat er erreicht, vollkommen hat er das erreicht. Netanjahu hat es versprochen, er wird nicht ohne Koordinierung mit Amerika angreifen. Ich glaube auch nicht, dass er kann. Ich glaube auch nicht, ehrlich gesagt, dass er ohne amerikanische Unterstützung angreifen kann, technisch auch nicht. Aber gut, er hat damit gedroht und Obama konnte nicht wissen, ob Netanjahu vielleicht ein bisschen verrückt wäre und doch alleine gegangen wäre. Also, das hat er jetzt erreicht, Netanjahu hat versprochen, er greift nicht an, nicht vor den Wahlen. Er hat jetzt kein Datum für den Angriff und wird das mit den Amerikanern koordinieren. Also, bis zu den Wahlen ist alles garantiert. Und das ist jetzt für Obama das Allerwichtigste, weil ein Angriff im Iran würde für die amerikanische Wirtschaft katastrophal sein. Die Erdölpreise würden sofort steigen und die Erholung der amerikanischen Wirtschaft würde dann infrage gestellt. Und das ist die Hauptfrage für die Wahlen. Um die Wahlen zu gewinnen, braucht er die Erholung der amerikanischen Wirtschaft, das heißt keinen Krieg im Iran. Und das hat er erzielt.
    Nur das, was er noch erzielt hat, ist eine vollkommene Unterstützung, sowohl des israelischen Präsidenten Peres, den er am Tag zuvor gesehen hat und der auch vor dieser AIPAC-Lobby gesprochen hat, als auch von Netanjahu. Und das ist nicht, was Netanjahu im Sinne hatte. Er wollte eher die Republikaner haben, aber da wurde er sehr gut von Obama manövriert.

    Kaess: Aber, Herr Primor, da noch mal nachgefragt: Geht Netanjahu zumindest nicht auch davon aus, dass er Obama zum Mitmachen zwingen kann, wenn er den ersten Schritt jetzt zu einem militärischen Eingreifen gehen würde. Oder in absehbarer Zukunft?

    Primor: Das verspricht er sich, das verspricht er seinem Publikum in Israel, das so etwas hören will, aber letzten Endes dürfen wir nicht vergessen, wer der kleine Staat ist und wer die Großmacht ist. Und wenn die Großmacht es anders entscheidet, wird es eben so sein. Wir können die Amerikaner nicht zwingen. Ja, er hat heute die richtigen Worte von Obama bekommen. Und das ist für ihn besonders in der Innenpolitik in Israel sehr günstig. Aber was wirklich geschehen wird, werden die Amerikaner entscheiden, nicht wir.

    Kaess: Und letztendlich gehen Sie davon aus, dass Israel den Schritt, alleine gegen den Iran militärisch vorzugehen, nicht machen würde, weil es sich bewusst ist, dass es militärisch dazu nicht in der Lage ist. Oder dieses Problem eben sich auch darauf konzentriert, dass die Atomanlagen im Iran unterirdisch liegen?

    Primor: Im besten Fall – und das sagen die Experten bei uns -, im allerbesten Fall würde ein erfolgreicher Angriff das Atomprogramm das Irans ein wenig hinauszögern. Vielleicht gewinnen wir zwei Jahre, aber das wird es bestimmt nicht verhindern können – nicht, wenn wir es alleine machen. Aber die Rückschläge, die wir bekommen werden, das bekommen wir auf jeden Fall und die Weltwirtschaft auch und Amerika auch. Also infolgedessen glaube ich nicht, dass wir uns so etwas leisten können. Wir sind von Amerika total, aber total abhängig.

    Die Gefahr liegt anderswo. Manches Mal rutscht man in einen Krieg, den man gar nicht haben will. Wir sprechen zu laut und die Iraner sprechen jetzt zu laut und bedrohen zu laut, manches Mal ist man dann Gefangener der eigenen Parolen. Das ist die Gefahr. Ich glaube nicht, dass jemand das entfesseln wird.

    Kaess: Wird denn von israelischer Seite überhaupt noch in Betracht gezogen, dass der Iran eventuell gar nicht auf den Bau einer Atombombe aus sein könnte?

    Primor: Nein. Also, man geht fest davon aus, dass der Iran die Atombombe haben will. Und nicht nur das Regime im Iran, nicht nur die Ayatollahs, sondern die allgemeine Bevölkerung wünscht sich das. Auch die Mehrheit der iranischen Bevölkerung, die das Regime wirklich hasst und es stürzen möchte, aber die Atombombe wollen sie haben – aus nationalen Gründen oder nationalem Stolz, oder wie auch immer man das nennen kann. Und das, meine ich, wird man sowieso nicht verhindern können.

    Kaess: Wir haben jetzt über die politische Sicht in Israel auf die Dinge gesprochen. Wie sieht denn die Bevölkerung das Problem? Ist man da gespalten?

    Primor: Nein, man ist nicht gespalten. Die Bevölkerung fürchtet den Iran ernsthaft. Der Iran bedroht uns immer wieder – nicht bedroht, verspricht uns die Vernichtung. Ahmadinedschad hat das fast jede Woche gemacht, letztens hat das auch der echte Herrscher des Irans, der Ayatollah Khamenei, die echte Macht in diesem Land, der auch eine Rede gehalten hat und gesagt hat, nicht nur verspricht er sich eine Vernichtung Israels, sondern darüber hinaus unterstützt er auch terroristische Organisationen, fundamentalistische Organisationen weltweit, die Israel bekämpfen. Also fürchtet man in Israel, dass diese unbekannten Organisationen auch Atomwaffen bekommen würden. Das sieht für Israel sehr gefährlich aus und Israel, sagen wir die Mehrheit der Bevölkerung, meint schon, dass wir uns sehr ernsthaft gegen Atomwaffen im Iran verteidigen müssen, einschließlich einem Angriff, bevor es zu spät ist.

    Kaess: Avi Primor, Präsident der israelischen Gesellschaft für auswärtige Politik und ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.