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Netflix-Serie „Messiah“
Im Anfang war der Zweifel

Was wäre, wenn Jesus heute wiederkommen würde? Diese Frage stellt die Netflix-Serie "Messiah". Ein Wundertäter schart die Menschen um sich und zieht zugleich die Zweifel auf sich. Ist er wirklich der Erlöser, oder will er Chaos stiften? Das Publikum muss mitzweifeln.

Von Christian Röther | 23.01.2020
Eine Filmszene aus der Netflix Serie "Messiah" zeigt selbigen in gelbem Hemd, langer Mähne und Bart.
Ist er es oder ist er es nicht? Der Netflix-Messias (Netflix / Hiba Judeh)
Der Messias spricht – und zwar Arabisch. Keine Geschichte wurde wohl so oft erzählt wie die des Jesus von Nazareth – doch gleich zu Beginn überrascht die Netflix-Serie "Messiah": denn dass der Erlöser heute ausgerechnet in Syrien erscheint, das hätten wohl die wenigsten erwartet - zumindest im westlichen Publikum.
Und der Heilsbringer legt auch gleich richtig los: Er scheint den Islamischen Staat im Alleingang zu besiegen – mit einem Sandsturm.
Die Massen jubeln, nennen ihn "al-Masih", das arabische Wort für Messias, und er führt sie in die Wüste. Und dann zum heiligen Land, nach Israel. Eine wahre Sintflut biblischer Bilder und Anspielungen. Die Serie trägt richtig dick auf, aber das weiß sie auch selbst, spielt damit:
"Wandelt auf diesem scheiß Wasser." / "Ist ein bisschen klischeehaft." / "Schon, aber hat uns trotzdem alle ziemlich überrascht."
Wunder oder Zaubertricks?
Und der Messias sieht natürlich nicht nur so aus, wie Jesus eben meistens aussieht - nahöstlicher Typ Anfang 30, lange Haare, Vollbart. Er redet auch wie Jesus in der Bibel, nennt sich selbst "das Wort" oder "die Botschaft", und seinen Vater nennt er Gott.
"Wenn er wirklich Gott wäre, brauchte er keine Zaubertricks." / "Jesus hat doch genauso gehandelt, oder? Er lief rum und zeigte Tricks. So findet man Fans."
Der Serien-Jesus wird ausgerechnet von einer Jüdin verfolgt, einer Agentin der CIA.
"I'm what you might call a follower of yours. As in, I have been following you: Syria, Jordan, Israel, Mexico." / "You are CIA."
Antijüdische Stereotype?
Eine Jüdin gegen Jesus: eine Anspielung auf den innerjüdischen Widerstand gegen Jesus im Neuen Testament – und nah dran an antijüdischen Stereotypen: die "verstockten Juden", die nicht an den Heiland glauben. Doch auch das wissen die Serienmacher offenbar selbst:
"Was war Jesus letztlich? Bloß ein populistischer Politiker, der ein Ding mit dem Römischen Reich laufen hatte." / "Wow. Gesprochen wie eine echte Jüdin."
Aber die Serie spielt eben nicht nur mit dem Jesus des Christentums und mit dem Messias des Judentums. Sondern auch mit dem Islam, und das ist eine der großen Stärken von "Messiah": ein interreligiöser Coup, der die ganze Handlung trägt. Denn auch im Islam gibt es die Vorstellung, dass Jesus am Ende der Zeit zurückkehren wird. Auf Arabisch heißt er "Isa", oder eben "Al-Masih".
Der Messias weckt neue Hoffnungen
Der spricht in der Serie nicht nur Arabisch. Er spricht auch Hebräisch und Englisch – oder Deutsch, wenn man die Tonspur umstellt. Und auf einmal ist er in Texas und betet in einer Baptistenkirche.
"Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war." / "Und der da kommt."
Die Menschen wissen nicht, wo al-Masih herkommt und was er vorhat. Doch sie folgen ihm: Christinnen, Muslime, Jüdinnen, Atheisten. Al-Masih überwindet Grenzen, und er weckt neue Hoffnungen.
"Es ist nicht wichtig, ob er echt ist. Er ist gut."
"Er ist nicht der scheiß Messias"
Aber er spaltet die Menschen auch, wie es auch Jesus getan hat – und wie es wohl das Los aller charismatischen religiösen Persönlichkeiten ist. Sie spalten – in Anhänger und Gegnerinnen.
"Ich weiß nicht, wer er ist oder was er will. Aber eines weiß ich mit Sicherheit: Er ist nicht der scheiß Messias."
Und dann sind da noch die Zweifelnden – vom Flüchtling bis zum Präsidenten. Die ganze Serie ist voller Zweifel, das ist vielleicht ihr eigentliches Thema. Menschen werden von Ungläubigen zu Al-Masih-Anhängern. Andere fallen vom neuen Glauben schon bald wieder ab. Ihre Hoffnungen werden enttäuscht, sie verzweifeln.
Und die Serie sät den Zweifel nicht nur in den Figuren. Auch mit Worten und Bildern: Sind die Wunder "echt", oder bloß Zufälle und Tricks?
Ode an den Zweifel
"Al-Masih", das kann im Islam auch bedeuten: der "falsche Messias", "al-Masih ad-daddschal". Der soll vor dem echten Messias kommen, um die Menschen zu verführen. Ähnlich wie der Antichrist im Christentum, oder Armilus im Judentum. Ist der Serien-Messias als der Auserwählte oder ein Betrüger? Oder ist er psychisch krank? Oder eine neue Art von Terrorist?
"Gibt es einen besseren Erfüllungsgehilfen des Chaos als einen neuen Messias?"
Als Zuschauer zweifelt man mit. Und man grübelt über die Messias-Figur im Allgemeinen. Wie entstehen Propheten, Heilsbringer, Religionsstifter? Manche würden sagen: Gott schickt sie.
Aber entscheiden nicht letztlich die Menschen über Erfolg oder Misserfolg eines möglichen Messias? Durch ihren Glauben oder ihren Unglauben.
Wer Messias sein will, der muss ausreichend Menschen von sich überzeugen. Sein wahrer Gegner ist der Zweifel. Und "Messiah" lobpreist genau diesen Zweifel.