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Biologie. - Mehr als ein Drittel der durch die Weltnaturschutzunion IUCN beobachteten Arten stehen in diesem Jahr auf der Roten Liste, sind also vom Aussterben bedroht. Von den Säugetieren sind es auch mindestens ein Viertel, möglicherweise sogar mehr als ein Drittel. In der aktuellen "Science" bilanziert die IUCN die Situation.

Von Dagmar Röhrlich | 10.10.2008
    Fünf Jahre dauerte die Fleißarbeit, dann war die globale Inventur der Land- und Meeressäugetiere geschafft. Das Resultat der Arbeit von 1700 Wissenschaftlern stimmt pessimistisch: Bei der Hälfte der beobachteten 5482 Säugetierarten geht der Bestand klar zurück, mindestens ein Viertel ist sogar vom Aussterben bedroht:

    "Noch schlimmer ist, dass wir weitere 15 Prozent nur deshalb nicht als gefährdet einstufen können, weil wir zu wenig über sie wissen. Es könnte also durchaus 36 Prozent bedroht sein","

    erklärt Jan Schipper, Artenschutzexperte der Weltnaturschutzunion IUCN. Womit die Experten nicht gerechnet hatten, so Schippers:

    ""Für viele von uns war die grösste Überraschung, dass wir längst nicht so viel über Säugetiere wissen, wie wir gedacht haben. Denn während wir die großen Säugetieren wie Elefanten recht gut im Blick haben, sind viele kleine Tiere kaum erforscht. Besonders wenig wissen wir über die vom Menschen ungeliebten Nager und Fledermäuse. Dabei sind sie in den Ökosystemen immens wichtig und machen 70 Prozent aller Säugetiere aus."

    Früher traf das Aussterben vor allem Tiere, die beispielsweise nur auf einer einzigen Insel vorkamen. Da reichte schon eine auf der Insel entlaufene Katze, um ihnen den Garaus zu machen. Heute schafft der Mensch durch die Zerstörung von Lebensräumen so etwas wie künstliche Inseln, etwa Waldreste rund um einen Nationalpark. Darin können sich die Tiere dann nicht halten, der Druck der Menschen ist zu groß. Bei den Landsäugetieren ist Lebensraumzerstörung der wichtigste Grund, warum sie verschwinden. Jan Schipper:

    "Sehr viele Arten verschwinden aufgrund der Lebensraumzerstörung, weil wir Plantagen anlegen, Monokulturen, Straßen, Gewerbe- oder Wohngebiete. In Südostasien, Zentralafrika oder Zentral- und Südamerika bringen wir Arten durch die Tropenholzproduktion oder den Anbau von Energiepflanzen oder bestimmter Pflanzen wie der Afrikanischen Ölpalme zum Aussterben. Das geschieht für den globalen Markt und so tragen wir alle zum Artensterben bei. "

    Auf Platz 2 der Gründe fürs Aussterben steht die Überjagung, gefolgt von der Verdrängung einheimischer Arten durch aggressive Fremde, die ihre Lebensräume besetzen - und durch neue Krankheiten. Schipper:

    "Das Ebola-Virus hat zum Beispiel schlimme Folgen für die Gorilla-Populationen, auch die Tasmanischen Teufel könnten durch eine neue Viruserkrankung aussterben. In wieweit der Klimawandel beim Artensterben eine Rolle spielt, können wir noch nicht beurteilen. Einige Säugetierarten wie der Eisbär sind sicherlich betroffen, aber darüber hinaus müssen wir warten, bis die Folgen des Klimawandels deutlicher werden, um die Auswirkungen abschätzen zu können."

    Das Aussterben betrifft inzwischen auch Arten, die häufig vorkommen, deren Population also stabil schien. Beispiel: die Fischkatze. Früher war sie in Südostasien häufig, jetzt steht sie auf der Roten Liste - weil die Feuchtgebiete trockengelegt werden, auf die die Fischkatze angewiesen ist. Für den Menschen könnte das Verschwinden der Säugetiere unerwartete Konsequenzen haben, so Schipper:

    "Sie spielen eine zentrale Rolle in den Ökosystemen, beispielsweise als wichtige Nahrungsquellen, auch für uns Menschen. Wir Menschen ziehen auch anderweitig Nutzen aus ihnen. So gibt es etliche Fledermausarten, die wichtige Bestäuber für Zuckerrohr sind. Sterben sie aus, bekommen die Zuckerrohrbauern große Probleme. Fledermäuse bestäuben auch die Agaven, die für die Tequila-Produktion gebraucht werden. Je mehr wir über solche Beziehungen lernen, um so mehr erkennen wir, dass das Artensterben auch unser eigenes Leben beeinträchtigt. Daran sollten wir bei der Tasse Kaffee morgen früh einmal denken."

    Trotz allem gibt es Grund zur Hoffnung. Bei fünf Prozent der Säugetierarten erholen sich die Bestände wieder. Etwa beim Schwarzfuß-Iltis, der in den Prärien Nordamerikas zu Hause ist. 1966 galt er als in freier Wildbahn ausgestorben, aber intensive Rettungsbemühungen haben geholfen: Die Tiere wurden in Gefangenschaft aufgezogen und anschließend ausgewildert. So etwas ist aber schon aus Kostengründen nur bei einzelnen Leuchtturmarten möglich, urteilt Jan Schipper. Es sei viel sinnvoller, von vornherein Lebensräume zu schützen und zu verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.