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Netz ohne Zentrum

Ein Öltanker bricht auseinander. Schlimme Sache. Eine Biografie zerbricht. Auch nicht schön. Aber wenn man's geschickt montiert, kann ein cooles Stück Literatur daraus werden. So funktioniert der erste Roman der dreißigjährigen Autorin Julia Schoch, deren Erzähldebüt, der Prosaband "Der

Von Julia Schröder | 13.07.2004
    Körper des Salamanders", vor drei Jahren von der Kritik mit viel Wohlwollen aufgenommen wurde, weil er so fein die Perspektive des jungen Mädchens mit der des Ostens verband.

    Im neuen Buch muss Claire Elling, eine vermutlich junge Frau, gegen Ende ihres Aufenthalts in einem Kurbad an der Ostseeküste nahe der polnischen Grenze erfahren, dass es für das Pilzekzem an ihrer rechten Hand keine Heilung zu geben scheint. Das ist fatal, denn Claire ist aparterweise
    Taschentrickkünstlerin, und Taschentricks machen sich mit einer geschwollenen Hand im weißen Schutzhandschuh nicht gut.

    Während sie ihren Aufbruch vorbereitet, trifft sie einen rätselhaften Mann namens Mattok, aber was heißt schon "trifft"? Der Mann, den sie beobachtet hatte, wie er am schlickbedeckten Strand mit einem Satz ein verblüfftes Kind gepackt und hochgehoben und ebenso unvermittelt wieder fallen gelassen hatte, um dann aufs Meer zu starren, dieser Mann betritt ein Promenadenlokal, verlangt "mit nur einem Satz" eine Karte der Region und ruft in den Raum, er sei dienstlich hier. Und während Claire feststellt, sein Mantel sei aus Igelit, macht er einen Ausfallschritt in ihre Richtung und fordert sie auf mitzukommen. "Jedenfalls", heißt es, "rieb er sich das Kinn, so dass Claire wie bei einem verabredeten Zeichen sofort aufstand."

    Ja, die Zeichen, dies schillernde Zeug, mit dessen Durchdringung die Theoretiker des zwanzigsten Jahrhunderts die Wissenden erbaut haben - sind sie nicht viel schicker als das spießige Gequassel, das man gemeinhin Dialog nennt? Zumal wenn sie eben nicht verbal, sondern als Schrift des Körpers daherkommen, als Tanz der Signifikanten und was man sonst so auf der Pfanne hat, wenn man nur lang genug an romanistischen Uni-Instituten ein und aus gegangen ist - wie Julia Schoch, die an der Universität Potsdam als Dozentin für französische Literatur arbeitet.

    Mattok hat Dreck am Stecken, soviel ist klar, er will mit einer Tasche voller Münzgeld nach Polen abhauen, Claire soll mitkommen, bedeutet er ihr.Sie liest in der Zeitung etwas von einem Bankraub, bei dem die Täter lediglich mit den erbeuteten Scheinen gefasst worden seien. Derweil kommt
    der Ölteppich an der Küste an, zugleich Scharen von Helfern in gelbem Ölzeug, deren eifrigem Treiben Claire und Mattok ebenso verständislos gegenüberstehen wie den Morgenrockritualen der
    Kurgäste und den Gemeinplätzen der Küstenbewohner. Während Claire sich überlegt, dass sie mit den dauernden Veränderungen ihrer Lebenswelt nicht mehr klar kommt, gibt Mattok sich bei der Eröffnung einer Skulpturenschau dreist als der Künstler aus.

    Die Skulpturen sind aus Schrott zusammengeschweißte überdimensionale Insekten. Überhaupt wird immer wieder vom Übergang des Anorganischen ins Organische erzählt; Claire empfindet ihr Gesicht als abnehmbare Maske, Mattok spricht gelegentlich mit der Stimme eines Automaten. Auch Tiere spielen eine bedeutende Rolle, nicht nur die Kadaver der verendeten Seevögel oder das Gschwerl der lebenden; Claire zum Beispiel kommt sich gelegentlich vor wie eine "verschlagene Kreatur" oder möchte sich einrollen wie ein Tier, um von den sich immer wieder neu zusammensetzenden Dingen nicht mehr berührt zu werden.

    Mit Sicherheit hat dies etwas zu bedeuten - wie all die anderen ordentlichüber den Text verteilten Symptome, Hinweise und Anzeichen. Aber was dassein könnte, ist einem irgendwann egal. Das muss mit den beiden Hauptfiguren zu tun haben. Deren Verabredungen beziehungsweise flattrige Begegegnungen sind, bei aller Rätselhaftigkeit oder vielleicht gerade deshalb, fast vollkommen frei von so etwas wie Spannung. Sie machen dauernd Sachen wie einander zusammen in einen Mantel knöpfen oder rückwärts mit einem vermutlich geklauten Auto fahren oder arhythmisch nebeneinander herlaufen, aber so richtig interessant werden sie einem dabei nicht. Ihre ziellose Schnitzeljagd zwischen Hotel und Strandlokal, an der Küste entlang, über die Grenze und wieder zurück, macht man irgendwann nur noch widerwillig mit, und als Claire schließlich einen irgendwie bedrohlich werdenden Ölbeseitigungskameraden umbringt, indem sie ihn von der Seebrücke unter den Ölteppich schubst, ist einem das der sprichwörtliche Sack Reis in China.

    Zumal in dem ohnedies mit 130 Seiten schon sehr dünnen Roman relativ schnell klar ist, worauf der ganze poststrukturalistische Aufwand hinaus will: Claire, wie die Autorin in der DDR geboren und aufgewachsen, hat sich einmal zu oft den veränderten Verhältnissen anpassen müssen, jetzt
    ist ihr der koordinierte Zugriff auf die Wirklichkeit - man denke an das Handekzem! - nicht mehr recht möglich. Das Meer verschwindet unter der dicken Ölschicht wie das wirkliche Leben unter den klebrigen Verheißungen des Konsums. Und so weiter. Leerstellen über Leerstellen, zierlich
    hintereinander arrangiert und selbstverständlich auch in randomisierter Reihenfolge zu lesen, die sich zu einem Netz ohne Zentrum zusammenschließen sollen, zum Erzählrhizom rund ums Hautpilzgeflecht. Julia Schoch führt ihre akademisch inspirierten Taschentricks ganz gekonnt aus. Richtig fesseln aber kann sie damit nicht.

    Julia Schoch
    Verabredungen mit Mattok
    Piper, 132 S., EUR 14,90