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Netzwerke
Dunkle Seiten der Cliquenwirtschaft

Netzwerke dienen der Pflege von persönlichen und beruflichen Kontakten. Dabei geht es um gegenseitige Unterstützung und Kooperation - oder um Seilschaften und Klüngeln. Der Schritt zur Vetternwirtschaft oder gar kriminellen Machenschaften scheint da nicht allzu groß. Die Ökonomin Gisela Schmalz hat sich mit der Macht von Netzwerken auseinandergesetzt.

Von Georg Ehring | 29.12.2014
    Mehrere männliche und ein weibliches Vorstandsmitglied stehen auf einer Hauptversammlung zusammen auf dem Podium.
    Kleingruppen sind mitunter entscheidend für Erfolg und Misserfolg von Unternehmen. (dpa / Oliver Berg)
    Was haben das Bankhaus Goldman Sachs, die Katholische Kirche, Google und die Mafia gemeinsam? An der Spitze steht jeweils eine kleine Clique eng miteinander verbundener Personen, und das ist kein Zufall - solche Kleingruppen sind sogar entscheidend für Erfolg oder Misserfolg von Firmen, Vereinen und sogar Weltkonzernen. Zu diesem Ergebnis ist die Kölner Wirtschaftsprofessorin Gisela Schmalz gekommen. Herrschaftsstrukturen, die seit Jahrhunderten funktionieren, bestimmen ihrer Ansicht nach auch heute unsere Welt. Doch nicht nur das: Oft wirtschaften kleine Cliquen vorbei an Recht, Gesetz sowie am eigentlichen Zweck der Organisation in die eigene Tasche. Wie funktionieren solche Gruppen? Wem nutzen und wem schaden sie? Wie kann der Leser sie durchschauen und für sich nutzen? Und nicht zuletzt: Wie bilde ich meine eigene Clique? Um solche Fragen geht es in dem Buch. Ohne Definitionen geht es freilich nicht:
    "Cliquenwirtschaft ist die mehr oder weniger gezielte Nutzung von Freundschaften und Bekanntschaften zu bestimmten Zwecken. Sie entsteht, sobald Menschen einen Rat, Arbeit, Geld, Ruhm, Einfluss oder etwas anderes haben wollen und sich daher an einen überschaubaren Kreis von vertrauten Personen wenden, denen sie im Gegenzug etwas zurückgeben."
    Die optimale Clique hat genau sechs Mitglieder - das hat der Internet-Konzern Google ausgerechnet. Gisela Schmalz hat diese Zahl nicht überrascht.
    "Weil wir Familienstrukturen alle kennen, neigen wir dazu, uns so was wieder im Freundeskreis zu suchen und vielleicht eben auch im Arbeitskontext. Das können wir gerade noch so bewältigen. Wir fühlen uns da geborgen und gleichzeitig auch motiviert und deswegen ist das eine ganz gute Größe."
    Mit dem Blick einer Ökonomin
    Schmalz nähert sich ihrem Thema mit dem Blick einer Ökonomin und sie fragt: Wie zahlt sich Cliquenwirtschaft in Euro und Cent aus? Dazu nimmt sie vier Bereiche unter die Lupe und präsentiert viele Beispiele und Geschichten aus der mehr oder weniger verschwiegenen Welt der Cliquen und Netzwerke.
    "Das Gemeinsame ist, das alle vier Organisationen, die ich untersucht habe, Kirche, Goldman Sachs, Google und Mafia, Weltorganisationen sind oder sogenannte Transnationale Organisationen, die teilweise schon sehr lange existieren. Und wieso existieren die so lange? Weil sie sich gut organisiert haben. Und so ein Riesenschiff, wie die Kirche oder wie Google, lässt sich am besten eben durch einen Führungsstab, da hat man schon Cliquierungen, oder eben durch kleine Teams und Untergruppen, Gemeinden, oder eben auch Teams bei Google organisieren und erhalten. Also insofern ist das ähnlich."
    Cliquenwirtschaft hat auch eine dunkle Seite und ihr widmet sich die Autorin mit besonderer Hingabe. Bei der Mafia als Organisation, die vom Verbrechen lebt, ist sie sozusagen der Vereinszweck. Spannender ist hier der Blick auf Goldman Sachs oder in die katholische Kirche. Gerade hier haben verschwiegene Gruppen nach den Recherchen von Gisela Schmalz gewaltige Summen auf zweifelhafte Weise verdient. Die herrschenden Strukturen förderten dies bis in die Gegenwart und verhinderten Strafverfolgung auch in anderen Bereichen:
    "Nicht einmal Kinderschänder wurden belangt. Fehler wurden aus dem System Kirche nicht ausgemerzt, sondern uminterpretiert und vertuscht. So konnten sich Filz, Machtkämpfe, Vorteilsnahme, Misswirtschaft, Korruption und Erpressung zu dauerhaft belastenden Phänomenen im inneren Führungszirkel der Kirche auswachsen. Die Strukturen verkrusteten. Überholte Regeln, eingeschliffene Abläufe und Kuriencliquenwirtschaft machen es schwer, hier reformierend einzugreifen."
    Schmalz beschreibt die Zusammenhänge im Detail. Ihre Belege über anrüchige bis kriminelle Vorgänge aus der verschwiegenen Welt der Cliquenwirtschaft sind allerdings oft dünn. Die Autorin muss sich an vielen Stellen auf Mutmaßungen beschränken oder sie gibt Gerüchte und Berichte aus zweiter Hand wieder. Das ist unbefriedigend - doch andererseits kann der Quellenmangel auch nicht wirklich überraschen.
    Google betreibt gezielt Cliquenbildung
    Besonders lesenswert ist das Kapitel über Google - ein Unternehmen, das die Cliquenbildung fördert wie die anderen großen Organisationen auch - aber doch ein bisschen anders. Google betreibt Cliquenbildung ganz gezielt, um mehr Leistung aus den Beschäftigten heraus zu holen und sie an das Unternehmen zu binden. Der Internet-Riese aus Kalifornien gehe vergleichsweise offen mit den eigenen Strukturen um, und Gisela Schmalz zeigt sich beeindruckt:
    "Google möchte, dass die Mitarbeitenden im Konzern bleiben, auch nach der offiziellen Arbeitszeit. Google möchte, dass die Leute, die dort arbeiten, auch Freunde sind: Freundschaften zu Seilschaften, das ist Cliquenwirtschaft. Und: Wenn Mitarbeitende sich eben in Schwulen- und Lesbengruppen, Fotografiergruppen, Hundefreundegruppen und so weiter zusammentun, dann haben die was Gemeinsames wie eine Clique neben ihrem Job und tragen das hoffentlich auch noch in ihr Privatleben."
    Damit wären die Beschäftigten auch in der Freizeit irgendwie bei der Arbeit - und das sogar freiwillig. Das Schlusskapitel schildert Essenzen gelungener Cliquenwirtschaft - eine Synthese aus allen vier untersuchten Beispielen. Was also macht kleine Gruppen erfolgreich? Es ist unter anderem der Größenwahn:
    "Zur Umsetzung hoher Ziele müssen Cliquen bereit sein, Grenzen zu sprengen. Die Vorstellung, weiter als andere zu gehen und dabei Tabus zu brechen, erweckt den Abenteurer im Cliquenwirtschaftler. Grenzensuchende und Grenzenüberwinder kennen keine Furcht vor neuen Aufgaben, Situationen, Personen, Territorien oder Kulturen."
    Das Buch verspricht auch eine Gebrauchsanleitung zum Nachmachen, doch die bietet es allenfalls in Ansätzen. Spannend zu lesen sind vor allem die Erkenntnisse über die dunklen Seiten verschwiegener Kleingruppen. Wer das Werk am Ende zugeklappt hat, wird skeptisch reagieren auf alle Zirkel, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Allein das ist ein Verdienst - und die Autorin lenkt in Zeiten großer Netzwerke und einer nur scheinbar offenen Gesellschaft den Blick auf Welten, die sich auch heute noch abschotten und gerade deshalb ihren Einfluss wahren - wie seit Jahrhunderten. Besonders erfolgreich sind sie vielleicht dann, wenn sie, wie der Internetriese Google, trotzdem im modernen Gewand daher kommen.
    Gisela Schmalz: "Cliquenwirtschaft. Die Macht der Netzwerke: Goldman Sachs, Kirche, Google, Mafia & Co."
    Kösel Verlag, 336 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-466-34595-3.