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Netzwerke schaffen zwischen Schulen, Familien, Unternehmen

In Deutschland droht der Fachkräftemangel und gleichzeitig klagen die Unternehmen über schlecht ausgebildete Schüler. Der Übergang von der Schule zum Beruf bereitet nicht nur Hauptschülern Mühe - doch es gibt auch ermutigende Beispiele.

Jürgen König im Gespräch mit Jörg Biesler | 29.03.2011
    Jörg Biesler: Starke Schulen, starke Absolventen, starke Unternehmen. So stark das klingt: Dass sich heute unter diesem Titel in Berlin Unternehmer und Politiker mit Wissenschaftlern und Lehrern getroffen haben, das legt auch nahe, dass der starke Dreisprung offenbar manchmal Wunschdenken bleibt. Es gibt Gesprächsbedarf. Welche Anforderungen stellt die Wirtschaft an Schulabgänger? Das war die zentrale Frage, und die, die mitschwingt, wäre dann: Können die Schüler diese Anforderungen erfüllen? Unser Korrespondent Jürgen König hat die Tagung der Hertie-Stiftung verfolgt. Herr König, gab es denn Grund zur Klage seitens der Wirtschaft?

    Jürgen König: Ja, aber ohne dass ein konkreter Schuldiger benannt wurde. Man habe jahrelang, so hieß es, wechselseitig mit dem Finger aufeinander gezeigt. Eure Schüler können ja nicht mal richtig lesen, schreiben oder rechnen, sagten die Unternehmer, umgekehrt die Schulen so etwa: Ihr Unternehmer kümmert euch selber überhaupt nicht um die Jugendlichen, stellt einfach nur hohe und eben zu hohe Erwartungen. Von dieser Haltung, Herr Biesler, will man jetzt weg, und man muss auch von dieser Haltung weg, denn wie es heute ist: Die Ära des Fachkräftemangels, die beginnt jetzt schon. Jeder junge Mensch ist wichtig, um jeden müssen wir uns kümmern, und dass das geht, das sollte mit dieser Tagung der Hertie-Stiftung gezeigt werden. Die Tagung war also keine kontrovers aufgezogene Diskussion über einzelne Schulmodelle oder über die Vor- und Nachteile des Föderalismus, nein, es ging hier nur darum, positive Beispiele herauszustellen, wie der Übergang von der Schule in berufsfördernde oder auch und besser noch berufsausbildende Maßnahmen gelingen kann.

    Biesler: Aber es gibt offensichtlich eine Problemlage, also Sie sagen der Fachkräftemangel ist da, man braucht mehr qualifiziertes Personal, mehr qualifizierte Berufsanfänger und hat nicht genug, das heißt, es gibt welche, die es nicht schaffen. Und da liegt ein Problem.

    König: Ja, es kommen eigentlich zwei Probleme zusammen. Auf der einen Seite sind die Berufsanforderungen und damit ja auch die Ausbildungsanforderungen sehr viel komplexer geworden und anspruchsvoller, und im Gegenzug bringen die Schülerinnen und Schüler heute nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit die berühmten Sekundärtugenden mit, die man früher noch einfach so voraussetzen konnte. Es fiel heute auf der Tagung der Satz, da sagte jemand, es sei wichtig, dass Eltern ihren Kindern vorlesen. Und dazu meinte ein Schulleiter, er sei ja schon froh, wenn Eltern mit ihren Kindern zusammen fernsehen oder sich mal gemeinsam vor den Computer setzen. Für viele Kinder, sagte dieser Schulleiter, sei die Schule der einzige Ort, an dem es überhaupt noch Strukturen gäbe. Da entstand doch schon ein Moment des Schweigens im Saal. Also soll heißen: Kinder aus bildungsfernen Schichten, aus einem sozial labilen Umfeld, Kinder, die nicht richtig zuhören können, sich nicht artikulieren können, kein solides Selbstbewusstsein mitbringen, die haben es schwer, und mit ihnen haben es natürlich die Unternehmen schwer, die diese Kinder ausbilden sollen. Und deshalb also jetzt diese gemeinsamen Anstrengungen der Schulen, der Unternehmen, der damit befassten staatlichen Einrichtungen oder auch private Institutionen wie zum Beispiel die vielen Stiftungen, die sich um derlei kümmern, diese ganzen Punkte zusammenzubringen.

    Biesler: Jetzt haben Sie gesagt, positive Beispiele seien genannt worden, wie der Übergang besser gestaltet werden kann. Wie sehen denn solche Lösungen aus?

    König: Vielleicht hören wir zu Beginn den Leiter der Hauptschule Coerde in Münster, Reiner von Borzyskowski heißt er, und der hat eigentlich ganz simple Dinge formuliert, die jedoch so selbstverständlich wohl nicht mehr sind, aber grundlegende Wirkung haben:

    Reiner von Borzyskowski: "Das Prinzip ist erstmal, viele vertrauensbildende Maßnahmen mit Schülerinnen und Schülern und mit den Eltern. Wenn man diese Basis gewonnen hat, kann man letztendlich fachlich viel besser und passgenauer auf die Jugendlichen zugehen, entsprechende Qualifikationen und Kompetenzen vermitteln, und die Berufswahlorientierung ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, dass es nicht nur brennpunktspezifisch ist, sondern eigentlich ein Thema unserer Schule ist, was sich im Grunde genommen von der Klasse fünf bis zur Klasse zehn wie ein rotes Band letztendlich durch alle Fächer und durch das ganze Schulleben und den Schulalltag zieht. Und unsere Aufgabe ist es – und das haben wir eigentlich als wichtigsten Punkt in der Schnittstelle Übergang Schule/Beruf uns auf die Fahnen geschrieben, die Schülerinnen und Schüler passgenau zu vermitteln."

    König: Also Reiner von Borzyskowski sagt hier schon früh anfangen mit vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Lehrern, Schülern und Eltern, um dann auf dieser Basis möglichst früh Kontakte aufnehmen zu können zu Unternehmen aus dem regionalen Umfeld. Das passiert an dieser Schule teilweise schon ab der sechsten, ab der siebten Klasse. Die Schüler durchlaufen dann sozusagen eine ganze Schulzeit immer im Verbund mit einzelnen Unternehmen, mit Handwerksbetrieben, was auch immer sich jeweils gerade fügt, sodass sie dann am Ende tatsächlich, wie Herr von Borzyskowski das sagte, passgenau vermittelt werden können. Das ist ein Beispiel. Ich kann Ihnen gerne weitere nennen.

    Biesler: Ich hab jetzt auch hier wieder rausgehört, dass doch im Wesentlichen offenbar das Problem darin liegt, dass die Eltern als orientierende Größe ganz oft ausfallen.

    König: Absolut.

    Biesler: Im Grunde muss ein Netzwerk gebaut werden, was auch die Betreuung, die durch die Eltern früher so traditionell möglich war, ersetzt?

    König: Ganz genauso ist es. Es gilt, jeden Schüler individuell zu fördern und eben all das zu kompensieren, was in sehr, sehr vielen Elternhäusern – da wurde viel geklagt heute – eben so nicht mehr möglich ist. Man müsse wegkommen, hieß es, vom Begriff des schwachen Schülers, weil man damit die Schüler gleich stigmatisiert, nein, man müsse die individuellen Kompetenzen erkennen, die Schüler Verantwortung übernehmen lassen und ihnen dann eben auch etwas anbieten, was sie auch aus diesen familiär nicht hinreichenden Zusammenhängen löst. Also die Zusammenarbeit der Akteure, Netzwerke schaffen zwischen Schulen, Familien, Unternehmen, auch berufsberatenden Stellen, Kurzpraktika wurden sehr empfohlen, in Firmen Eignungspraktika, damit Schüler überhaupt mal in kleine Firmen hineinriechen sozusagen, wo sie denn zum Beispiel auch ganz praktisch lernen können. Auch darüber wurde heute ein sehr schönes Beispiel eines Mathematiklehrers erzählt, der sich immer bemüht hat, den Dreisatz zu vermitteln. Das gelang aber auf der theoretischen Ebene nicht so richtig, bis er dann mal zu einem Malermeister gegangen ist mit seiner Klasse, und der hat ihnen vorgerechnet den Tapetenbedarf einer zu renovierenden Wohnung. Da haben die Schüler denn gemeinsam ausgerechnet, die Räume sind soundso groß, die Wände haben soundso viele Quadratmeter, die Tapetenrolle hat soundso viel Meter, also wie viel Rollen brauche ich, wie viel Farbe wird gebraucht. Und da wurde einfach richtig konkret kalkuliert, und die Schüler, die dabei waren, haben zum einen die Rechenschritte verstanden, zum anderen haben sie – und das ist vielleicht sogar noch wichtiger oder mindestens so wichtig – auch begriffen, wozu man dergleichen braucht.

    Biesler: Jürgen König über den Übergang von der Schule ins Berufsleben und positive Beispiele, wie sich da Probleme mildern lassen.