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Neu im Kino
Drogen, Gangster, organisiertes Verbrechen

Mit "Sicario" kommt der mexikanische Drogenkrieg in die Kinos: Regisseur Denis Villeneuve zeigt darin, wie ein Staat implodiert und die Gesellschaft in einen mittelalterlichen Gewaltzustand zurückfällt. Weiter Neustarts in dieser Woche: "Regression" und "Cartel Land".

Von Hartwig Tegeler | 30.09.2015
    Ausschnitt aus dem Film "Sicario"
    Ausschnitt aus dem Film "Sicario" (dpa/picture alliance/epa/Cannes Film Festival)
    Wenn die Welt aus den Fugen gerät, [...]
    [...] vollkommen, im Großen, wie im Kleinen, beispielsweise der Kleinstadt in Minnesota:
    "Dass du uns alles erzählst. Okay, wir glauben, dass Deine Großmutter, komm schon, da waren noch mehr Leute mit bemalten Gesichtern. Warum sagst du nicht, dass es so war?"
    Dass es so war mit den satanischen Ritualen, mit all dem, was die Stadt in Angst versetzt hat, seitdem Angela offenbarte, was ihre Familie mit ihr getrieben hat. Dann tauchen noch alte FBI-Akten auf:
    "Ein satanistischer Zirkel, die haben schon seit sieben Jahren den Verdacht."
    Detective Bruce Kenner - Ethan Hawke - begibt sich in Alejandro Amenábars Film "Regression" zusammen mit dem Psychologen Professor Raines auf die Suche nach den Beweisen für Angelas Behauptungen und begegnet verstörenden Abgründen hinter der Fassade dieser Kleinstadt.
    "Sie sehen nicht gut aus. Kriegen sie genug Schlaf?"
    "Wissen Sie, bei diesem Fall habe ich das Gefühl ..."
    "Was?"
    "Keine Ahnung. Dieser Ausdruck in ihrem Gesicht macht mir Angst."
    Oder ist doch alles ganz anders? Dass wir unserem Blick auf Realität kaum trauen können, für diese Erkenntnis hat sich Alejandro Amenábar bereits mit seinen wunderschönen Filmen "Open Your Eyes" und "The Others" empfohlen. Auch in "Regression" stellt sich die Frage, ob das, was Angela - irgendwo zwischen Unschuldsengel und Femme Fatale: Emma Watson -, ob das, was Angela enthüllt, tatsächlich der Wahrheit entspricht. Es ist ein Strudel von Verunsicherung und Angst, in den die Figuren fallen. Und Amenábar dreht die Spannungsschraube immer stärker an, was ihm mit seinen großartigen Schauspielern auch gut gelingt. Um dann allerdings, der Wermutstropfen bei diesem Film, ein wenig zu banal zum Ende zu kommen. Dieses ewige "Nach einer wahren Geschichte" ist für viele Filmemacher - auch wie hier in "Regression" für einen Amenábar - ein Gefängnis.
    "Regression" von Alejandro Amenábar - widersprüchlich, trotzdem empfehlenswert.
    Noch eine Geschichte aus einer Welt, die aus der Ordnung gefallen und aus den Fugen geraten ist.
    "Sag uns einfach die Wahrheit."
    Das wäre was, wenn's noch darum ginge und um solide Polizeiarbeit bei der Suche nach dem Drogenboss:
    "Ihn zu finden wäre so, als würden wir einen Impfstoff entdecken."
    Das wäre was, wenn Gerechtigkeit in dieser Welt noch eine Rolle spielte. "Sicario" spielt im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko, da, wo die Drogen vom Süden in den Norden gelangen und die Drogenkartelle das Leben beherrschen. Kates Kollege, der Latino-Agent, der alles weiß über die Kartelle, ist zwielichtig:
    "Für wen arbeiten Sie jetzt?"
    "Ich gehe, wohin man mich schickt."
    Das wird eine der Lügen sein, auf die Emily Blunt als FBI-Agentin in Denis Villeneuves Drogen-Thriller "Sicario" hereinfallen wird im Mexiko der Kartelle. Sie wird sich verheddern im Gestrüpp aus Lügen, Verrat, politischen und den Interessen der Macht. Das Ganze blutig garniert mit archaischer Rachsucht. Was ihr der unheimliche Kollege - Benicio del Toro - prognostiziert hat:
    "Nichts ergibt einen Sinn für Ihre amerikanischen Ohren."
    "Sicario" ist verstörend, weil Villeneuve im Genre des Drogen-Thrillers so wie die Netflix-Serie "Narcos" durchdekliniert, was es bedeutet, wenn der Staat implodiert und die Gesellschaft in einen mittelalterlichen Gewaltzustand zurückfällt, in dem Drogenlords, die Polizei und Politik gekauft haben, das Land übernehmen. Literarisch hat Don Winslow das in seinem Doku-Roman "Das Kartell" als Albtraum beschrieben. Die gleiche Stimmung hat auch "Sicario".
    "Sicario" von Denis Villeneuve - empfehlenswert.
    Doch der Gangsterfilm oder Drogen-Thriller, sie gewinnen ihre Faszination immer auch durch die klammheimliche Identifikation mit dem Bösen. Denn wer kann sich, mit Verlaub, dem Morbiden eines Benicio del Toro als zwielichtigem Agenten wie in "Sicario" entziehen.
    Dieses wohlige Spielfilm-Schaudern gönnt uns "Cartel Land" nicht. Matthew Heinemans Dokumentation, die ab Anfang nächster Woche als Video-o-Demand zu sehen ist, porträtiert private paramilitärische Bürgerwehren auf der US-Seite der Grenze und die sogenannten "Autodefensas". Das sind bewaffnete mexikanische Bürgerwehren, die gegen die Kartelle kämpfen, weil es keinen Staat mehr gibt, der ihre Gemeinden schützt. "Cartel Land" beobachtet präzise, aber auch gnadenlos, wie auch diese "Autodefensas" jegliche Moral abwerfen. Am Anfang sind ihr Motive ehrenwert; dann verflüchtigen die sich in diesem Land ohne staatliche Ordnung. Wenn Cartel Land das Haus zeigt, in dem Bürgerwehren Kartellmitglieder prügeln und foltern - man hört nur die Schreie -, das ist ein Blick in die Hölle. Am Ende dieser Dokumentation lauert die brutale Logik, dass die Drogenkartelle die "Autodefensas" von Anfang an unterwandert hatten. Und ein Drogenkoch bringt in ein paar Sätzen die politische Ökonomie des Drogenkrieges auf den Punkt.
    "Das meiste von dem Stoff wird in den Staaten verkauft. Überall dort. Was soll ich sagen? Klar wissen wir, welchen Schaden wir dort damit anrichten. Aber, was sollen wir tun? Wir sind arme Schlucker."
    "Cartel Land" von Matthew Heineman - verstörend, herausragend.