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Streben nach Wahrhaftigkeit

Die beiden Oscar-nominierten Filme "Brooklyn" und "Anomalisa"eint ihre Ehrlichkeit. "Brooklyn" erzählt die Geschichte einer irischen Einwandererin im New York der 1950er-Jahre, "Anomalisa" ist ein Plädoyer für Individualität - gespielt mit Puppen. Weniger wahrhaftig, dafür skurril geht es hingegen in der deutschen Groteske "Der Bunker" zu.

Von Jörg Albrecht | 20.01.2016
    Szene aus dem Film "Brooklyn" mit Emory Cohen und Saoirse Ronan
    Szene aus dem Film "Brooklyn" mit Emory Cohen und Saoirse Ronan (imago/stock&people/ZUMA press)
    - "Wir brauchen irische Mädchen in Brooklyn."
    – "Ich wünschte nur, dass ich nicht mehr ein irisches Mädchen in Irland sein will."
    – "Ich kann dir nur sagen, dass es vorbeigehen wird."
    Gemeint ist natürlich das Heimweh. Von dem wird Eilis unmittelbar nach ihrer Ankunft in New York gepackt. Die junge Irin kommt Mitte der 1950er-Jahre in die USA: als Wirtschaftsflüchtling, wie man sie heute bezeichnen würde. Um der Armut und Arbeitslosigkeit in Irland zu entfliehen, nimmt Eilis schweren Herzens auch die Trennung von ihrer Mutter und ihrer Schwester in Kauf. Nachdem sie die Hürden der Registrierung auf Ellis Island genommen hat, taucht Regisseur John Crowley Eilis´ ersten Schritt in die Neue Welt in gleißendes Licht. Ein etwas zu plakatives Bild, das von den Verheißungen eines besseren Lebens im "gelobten Land" USA künden soll. Denn der Film gibt ansonsten der subtilen Erzählung grundsätzlich den Vorrang vor der großen Geste. Gerade das macht "Brooklyn" zu etwas ganz Besonderem, das man so nicht unbedingt erwarten durfte bei einem Stoff, der um Heimweh und Einsamkeit kreist, aber auch um Liebe und Sehnsucht.
    - "Ich möchte dich gern etwas fragen. Und du wirst sagen: Oh, das ist viel zu früh. Ich kenne ihn noch nicht gut genug. Wir waren erst ein paar Mal zusammen aus..."
    - "Bitte frag endlich! Du fängst an mir Angst zu machen."
    – "Würdest du irgendwann mit mir und meiner Familie zusammen essen?"
    – "Das ist es? Liebend gern."
    Dass Eilis´ Heimweh mehr und mehr nachlässt, ist vor allem ein Verdienst des netten jungen Mannes, den sie kennen und lieben lernt. Aber auch beruflich fasst Eilis Fuß. Es ist die Nachricht vom Tod der Schwester, die sie erneut mit ihren Heimatgefühlen konfrontieren wird. Sie fährt zurück nach Irland. Dort gibt es zwar immer noch keine Jobs, dafür aber einen weiteren Verehrer.
    - "Können wir uns unterhalten?"
    – "Worüber denn?"
    - "Ich kann dich nicht zurück nach Amerika fahren lassen, ohne was zu sagen. Das würde ich mein Leben lang bereuen. Also: Ich will nicht, dass du fährst. Bleib hier in Irland bei mir!"
    Selbstverständlich beinhaltet die Geschichte einer jungen Frau, die sich zwischen zwei Männern und zwei Welten entscheiden muss, sämtliche Fallstricke einer Schmonzette. Aber Drehbuchautor Nick Hornby und Regisseur John Crowley haben es verstanden, Kitsch und Rührseligkeiten zu vermeiden. Ja, ihnen ist ein ehrlicher Film über innere Zerrissenheit gelungen. Ein Film mit traurigen und glücklichen Momenten, der ohne die großartige Hauptdarstellerin Saoirse Ronan nicht derselbe wäre. Zu Recht ist "Brooklyn" für drei Oscars nominiert worden: bester Film, beste Hauptdarstellerin, bestes Drehbuch.
    "Brooklyn": empfehlenswert
    Ins Oscar-Rennen geht auch Charlie Kaufmann mit seinem Puppentrickfilm "Anomalisa". Der Titel ist eine Verbindung des Wortes Anomalie mit dem Namen der weiblichen Hauptfigur. Lisa, die der Bestsellerautor Michael auf seiner Vortragsreise durch die Staaten in einem Hotel treffen wird, ist vollkommen anders als alle anderen Menschen.
    - "Oh mein Gott! Hallo! Sehe ich schlimm aus? Ich habe mich gerade abgeschminkt. Sehen Sie mich nicht an!
    – "Hallo! Nein, Sie sehen bezaubernd aus."
    – "Sie bei uns im Zimmer! Ich glaube es nicht. Bitte sehen Sie mich nicht an!"
    Genau das aber macht Michael mit ungläubigem Staunen. Denn Lisa sticht heraus aus der Menschenmasse, in der alle dasselbe Gesicht und dieselbe Stimme haben. Sie ist der unverhoffte Farbtupfer in Michaels eintönigem Leben, das ihn lustlos und frustriert hat werden lassen.
    Abgesehen vom surrealen Einfall der identischen Gesichter und Stimmen teilt "Anomalisa" mit "Brooklyn" das Streben nach Wahrhaftigkeit. Ein paar mehr skurrile Ideen, wie man sie von Kaufman kennt, hätten dem etwas zu beschaulichen Plädoyer für Individualität allerdings gut getan.
    "Anomalisa": akzeptabel

    Filmszene aus Nikias Chryssos' Film "der Bunker": Zu sehen ist der 30-jährige Schauspieler Daniel Fripan, der einen achtjährigen Jungen beim Unterricht verkörpert.
    Filmszene aus Nikias Chryssos' Film "Der Bunker" (Foto: Kataskop Filmproduktion & Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion KG (c)2015 )
    "Ah, hereinspaziert, hereinspaziert! Nur zu! Haben Sie keine Angst!"
    Ein wenig angsteinflößend ist das bunkerähnliche Gebäude mitten in einem verschneiten Wald schon. Und mehr als seltsam ist auch die Familie, die dort lebt und bei der von nun an ein Student als Untermieter wohnen wird.
    - "Prächtig, nicht wahr?"
    – "Etwas spartanisch. Kein Fenster. Aber es kommt kein Licht hinein."
    – "Dafür auch keins hinaus."
    Es gibt Filme, über die sollte man besser nicht allzu viel vorher wissen. "Der Bunker" von Nikias Chryssos ist solch ein Film. Nur vielleicht dies: Der angeblich achtjährige Sohn, der in dem Bunker zusammen mit seinen Eltern lebt, ist längst im Erwachsenenalter. Wer das Bizarre bei Charlie Kaufman vermissen sollte, wird in diesem wunderlich-schaurigen und absurd-komischen Kammerspiel mit vier Personen garantiert fündig. "Der Bunker" streift viele Genres, ist Psychodrama, Gruselthriller und Groteske. Und er ist vor allem eines: ein sehr, sehr langsam erzählter Film, bei dem hin und wieder Langeweile aufkommt. Wenn Helge Schneider einen Horrorfilm drehen würde, käme womöglich genau dieser Film dabei heraus. Kopfschütteln ist jedenfalls garantiert.
    "Der Bunker": akzeptabel