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Neu im Kino
Von einsamen Wölfen, Mädchen und Männern

In dieser Woche kommt ein visuell spannendes Abenteuer aus der Inneren Mongolei ins Kino, wo die Bösen nicht die Wölfe sind. Außerdem ein filmischer Macbeth sowie die Geschichte einer jungen deutschen Türkin, die aus der Reihe tanzt und in selbige zurückgaloppiert.

Von Hartwig Tegeler | 28.10.2015
    "Hördur" von Ekrem Ergün
    Manche Sätze im Kino, nun ja ... Eine sagt:
    "Ich kann das nicht!"
    Die junge deutsche Türkin Aylin in "Hördur", von ihren Mitschülerinnen gemobbt.
    "[Mitschülerin:] Ja, voll das Opfer!"
    Sie sagt diesen Satz, dass sie es nicht kann, und dann gibt die andere ihr diesen Rat:
    "Du musst Dinge ausprobieren, wenn du nichts probierst, dann hast du verloren. Dann wirst du immer verlieren."
    Nun wäre so ein Satz im realen Leben, gesagt zu einer jungen Frau, die aufgeben will, nicht schlecht. Aber mit "Hördur - Zwischen den Welten" sind wir nun mal im Kino. Und in der Emphase, mit der Felicitas Woll das zu Almila Bagriaçik in "Hördur" sagt, klingt es wie aus dem Poesie-Album der Entwicklungspsychologie.
    Dabei ist der Einstieg in Aylins Geschichte durchaus eindrucksvoll wie berührend. Nach dem Tod ihrer Mutter führt die junge Deutschtürkin mit Bruder und verzweifeltem Vater ein tristes Leben voller unausgesprochener Trauer. Nach einer Schlägerei in der Schule landet Aylin auf dem Reiterhof. Sozialstunden. So weit, so gut.
    Die Erzählung kriegt aber eine heftige Schieflage, wenn Filmemacher Ekrem Ergün eine magische Beziehung zwischen dem Island-Hengst Hördur und der jungen Frau Aylin aus dem Hut zaubert. Vollkommen unglaubwürdig im Gegensatz zu den anderen Aspekten dieser Figur. Bitte erzähle mir niemand, dass jugendliche Kinogänger oder -gängerinnen nicht über Widerhaken eines Märchens stolpern. Das Pferd jedenfalls ist in diesem Film irgendwie - so scheint's - am grünen Drehbuch-Entwicklungstisch dazwischen geraten. Ach, Mensch, Pferde als Co-Therapeuten, habe ich doch irgendwo mal gelesen.

    "Hördur" von Ekrem Ergün - annehmbar.

    "Der letzte Wolf" von Jean-Jacques Annaud
    Kulturrevolution. 1967. China. Zwei junge Kommunisten kommen in die Innere Mongolei, in dem die Nomaden seit ewigen Zeiten im natürlichen Gleichgewicht mit ihren gefährlichen Nachbarn, den Wölfen, leben.
    "Siehst du das? Die Gazellen sind vom Grasen ganz träge geworden. Darauf haben die Wölfe gewartet."
    Gib dem Wolf, was er braucht an Nahrung, dann wird er die Schafe in Ruhe lassen. Aber da interessiert die neuen chinesischen Siedler hier, in ihrer neuen Heimat, nicht.
    "Jemand hat den Wölfen das Fleisch gestohlen. Sie sind jetzt schon hungrig. - Und wo liegt das Problem? - Wenn wir ihre Jungen töten, werden sie sich an uns rächen. - Das ist ein Befehl von oben."
    Chen Zen, der junge Student, der aus der Stadt kommt, der den Nomaden Lesen und Schreiben beibringen soll, ist von diesen Wölfen wie von den Nomaden vollkommen fasziniert. Doch in ihrer Tiefe kann auch er die Gesetze dieses Lebens nicht verstehen. Als es den Befehl aus Peking gibt, die Wölfe zu töten, retten er einen Welpen, zieht ihn bei sich auf. Mit fatalen Folgen.
    "Meinst du, das ist wirklich richtig? Einen Wolf in einer Schafsherde groß zu ziehen? - Das hätten wir uns wohl früher überlegen müssen."
    "Der letzt Wolf" von Jean-Jacques Annaud lebt von seinem Antihelden, der alles richtig machen möchte und alles falsch macht in diesem Film mit den betörenden Bildern der Grassteppe. Das apokalyptische Bild der Pferde, die die Wölfe im Winter in den See trieben und die am Morgen aus dem Eis ragen, wird man kaum vergessen können. Jean-Jacques Annaud vermeidet dabei jeden Tier-Kitsch. Das letzte Bild von "Der letzte Wolf" ist von einer unfassbaren Trauer über den Verlust und die Vergänglichkeit. Manchmal kann man sich im Kino nicht retten kann vor der unfassbaren Wucht der Emotionen, die die Bilder tragen.
    "Der letzte Wolf" von Jean-Jacques Annaud - herausragend.

    "Macbeth" von Justin Kurzel
    Der 1977 in Heidelberg geborene Michael Fassbender ist, man muss nicht originell sein, um das zu konstatieren, einer der größten Schauspieler seiner Generation. Einer, der spielend zwischen Arthaus und Blockbuster wechselt. Im November wird er als Apple-Guru Steve Jobs in Danny Boyles Film zu sehen sein, jetzt gibt er in "Macbeth" den Shakespearschen Königsmörder, dem die Hexen auf dem Schlachtfeld eine königliche Zukunft versprechen.
    "Heil dir, Macbeth, dir künftigem König!"
    Die aber vor allem sehr blutig, mörderisch, tragisch wird. Realismus trifft auf den Shakespearschen Blankvers.
    "Wer sind diese? Lebt Ihr? Seid Ihr ein Ding, das man darf fragen? Sprecht, wenn ihr könnt, was seid ihr?"
    Michael Fassbender brilliert, Marion Cotillard als machtbesessene Lady Macbeth ebenso.
    "Du weißt, dass Banquo und sein F. leben. - Du musst das lassen."
    Doch Regisseur Justin Kurzel kann sich der Macht einer Referenz nicht entziehen. Und das die Roman-Polanski-Verfilmung von 1971. Diese Messlatte des "blutigen Meisterwerks", von dem Filmkritik-Guru Roger Ebert damals sprach, sie erreicht Justin Kurzel trotz seiner großen Schauspieler nicht. Shakespeare erscheint hier nicht neu, nicht anders. Was würde man sonst von einer filmischen Shakespeare-Adaption erwarten.
    "Macbeth" von Justin Kurzel - annehmbar.