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Neu und Sicher

Das Internet ist ob seiner Gefahren und Widrigkeiten nicht mehr, was es einmal war – nämlich ein starkes Kommunikationsinstrument für die weltweite Forschergemeinschaft. Deshalb wollen Wissenschaftler reinen Tisch machen und denken über ein neues Netz ohne Schwächen nach: "Clean Slate".

Von Pia Grund-Ludwig | 10.11.2007
    Das Internet hat längst Einzug in den Alltag gehalten, mit allen seinen Stärken und Schwächen. Die Stärken sind offensichtlich: Einfache Benutzbarkeit von unterschiedlichen Angeboten wie elektronischer Post, dem World Wide Web oder Internet-Telefonie mit einem einzigen Netz und mit einer relativ simplen Oberfläche. Doch auch die Schwächen machen Benutzern und Betreibern zu schaffen: Dubiose Geschäftemacher, die unerwünschte Mail und Viren verschicken, Attacken auf vermeintlich sichere Infrastrukturen wie Online-Banking oder Buchungssysteme. Einer der Gründe, warum diese Attacken mit den bisherigen Strukturen kaum zu stoppen sind, liegt in den Ursprüngen des Netzes: Entstanden ist es für eine begrenzte Zahl von Benutzern an Universitäten. Die hatten technisches Know-how und wussten meist, wie sie ihre Rechner sicher machen. Und sie kannten und vertrauten sich, und jeder von ihnen profitierte von einem für alle gut benutzbaren Netz. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren geändert. Das Internet ist mittlerweile ein Medium für jedermann. Für viele Unternehmen ist es zur Lebensader geworden und es durchzieht nahezu alle Bereiche der Gesellschaft. Dabei ist selbst deren Erfindern nicht mehr wohl. Einige von ihnen arbeiten mittlerweile an Projekten unter dem Titel "Clean Slate" mit. Das steht für "reinen Tisch" machen und soll einen technologischen Neuanfang ermöglichen. Aus Sicht von Vinton Cerf, der mit Robert Kahn zusammen die Internet-Basistechnologie TCP entwickelt, ist der Ansatz "durchaus sinnvoll", weil die jetzige Technik "längst nicht alle Ansprüche befriedige".

    "Der Grund, warum es notwendig ist, ist dass die Anforderungen an das Internet über das hinausgewachsen sind, als was es ursprünglich gedacht war..."

    ...meint die Professorin Anja Feldmann, die sich an der Technischen Universität Berlin mit dem Thema Internet der Zukunft beschäftigt. Vor allem in den USA laufen die Forschungen zu Clean Slate. Die wichtigste Ideenschmiede ist derzeit die Universität Stanford. Amerikanische Forscher erproben im Rahmen des Geni-Netzes bereits erste Ideen. Auch die Europäische Union hat mit dem "Experimental Next Generation Internet in Europe" und Géant, dem europäischen Gegenstück zu Geni, zwei Forschungsverbünde aufzuweisen. Dabei wissen die Forscher bislang vor allem, welche Technologien nicht mehr in Frage kommen. So spricht sich Feldmann für den Abschied vom derzeitigen Internet-Protokoll aus. Auch DNS-Server, die die Domain-Namen in Nummern auflösen, spielen möglicherweise im Netz der Zukunft keine Rolle mehr. Das meint Professor Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz:

    "DNS-Server sind ein Grund des Übels, die werden ja attackiert, dort werden Verfälschungen vorgenommen, die Idee ist, dass jede Nachricht, die verschickt wird, immer komplett reproduzierbar den Sender hat und dass wir auch durchaus ein Protokoll einführen können, so dass ich nur von mir glaubwürdigen Sendern Informationen bekomme."

    Das Internet soll damit vertrauenswürdiger werden. Eine Idee: Es soll auf jedem einzelnen Rechner unterschiedliche Segmente mit unterschiedlichen Sicherheitsstufen geben, so die Berliner Professorin:

    "Web und Internet-Banking macht man im gleichen Kontext. Jetzt gibt es durchaus die Möglichkeit mit den neuen Systemen, dass man unterschiedliche Einheiten des Rechners mit unterschiedlichen Sicherheitsstufen haben kann. Das könnte man nutzen, um auf der einen Sicherheitsstufe Banking zu machen und auf der anderen etwas anderes."

    Das bedeutet auch, dass es für manche Anwendungen Authentifizierung geben muss, so Feldmann:

    "Das Problem des Spams existiert in dem Maße, weil niemand der sein muss, der sich als Absender angibt. Wenn eine Komponente des neuen Internet darin besteht, dass jeder sich autorisieren muss, bevor er irgendwas tun kann, werden die Dinge besser rückverfolgbar. Dann gibt es eine Kette von Beziehungen, auf die man sich verlassen kann."

    Dabei, so die Forscherin, müsse es aber natürlich auch Bereiche geben, in denen anonyme und nicht rückverfolgbare Kommunikation möglich ist. Das Ganze kostet allerdings eine ganze Stange Geld. Allein in die amerikanischen Projekte fließen derzeit knapp 700 Millionen Dollar. Und die bereits riesige Akzeptanz des Internet wird auch für eine große Trägheit sorgen, schließlich haben die Internet-Anbieter kein großes Interesse daran, ihre Infrastruktur auszutauschen. Clean Slate klinge am grünen Tisch sicher schön, sei aber völlig unrealistisch, so Andreas Maurer vom Internet-Anbieter 1&1. An einem solchen "Neuanfang" müssten viel zu viele Parteien, Technologien und Interessen beteiligt sein.

    "Clean Slate" im Internet