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Neuanfang mit Wahlen

Liberia steht vor einem geradezu gigantischen Berg von Problemen, die bewältigt werden müssen. Am 11. Oktober stellen sich die Präsidentschaftskandidaten in einem Land zur Wahl, das nahezu vollständig zerstört ist: administrativ, wirtschaftlich, sozial, moralisch. Eine Generation lang herrschten die Waffen. Wer eine hatte, war der Herr und tötete, wer keine hatte, musste dienen, leiden und fliehen. Liberia ist durch die Hölle gegangen.

Von Frank Räther | 07.10.2005
    Janneh, ein kleines Dorf etwa zwei Autostunden von der liberianischen Hauptstadt Monrovia entfernt. Politik ist kein Thema hier und heute. Es geht nicht um den künftigen Präsidenten oder Abgeordnete, die Wahlkampf machen, sondern um Wichtigeres, wie die Bauern meinen: um Saatgut für die kommende Anbausaison. Denn wer nichts zu essen hat, braucht auch keine Politiker.

    "Wir haben verschiedene Anbieter, die jetzt mitgekommen sind, die ihr Saatgut anbieten. Die Farmer kommen hin und können den Preis verhandeln. Anstatt dass wir jetzt entscheiden und ihnen sagen, das kriegt ihr, können sie das sozusagen alles selber machen."

    Derek Frank von der Deutschen Welthungerhilfe will mit dieser Aktion neue Wege beschreiten - weg von der bloßen Verteilung ausländischer Hilfeleistungen an die liberianischen Bauern, hin zu mehr Selbstverantwortung und vor allem zur Wiederbelebung der Marktwirtschaft in dem bürgerkriegszerrütteten Land, das nach langen Jahren des Mordens und Zerstörens an einem neuen Anfang steht.

    Jeder Bauer bekommt von der Welthungerhilfe Voucher im Wert von zwei Euro für Saatgut. Das Geld reicht, um auf etwa 1.000 Quadratmetern Bohnen, Kohl, Karotten, Gurken, Paprika, Tomaten, Melonen und andere Pflanzen anzubauen – genügend Gemüse nicht nur zur Selbstversorgung der Familie, sondern auch für eine kleine, gewinnbringende Marktproduktion.

    So erhalten die Menschen in Janneh, von denen die meisten in den vergangenen Monaten aus Flüchtlingslagern zurückkehrten, eine neue Existenzgrundlage. Und die Saatguthändler aus der Hauptstadt, die durch die Aktion der Welthungerhilfe erstmals dazu gebracht wurden, Monrovia zu verlassen, lernen nicht nur ihre künftigen Abnehmer kennen, sondern auch deren Bedürfnisse.

    So wie sich die Bauern um die Aussaat und damit die spätere Ernte kümmern, wird von den Politikern erwartet, dass auch sie gut säen, und damit die Voraussetzungen für eine gute Ernte schaffen. Die jetzigen Wahlen in Liberia sind in gewisser Weise durchaus vergleichbar mit einer Saatgutmesse. Die besten sollen ausgewählt werden, damit das Land nach dem langen Bürgerkrieg endlich zu neuen Ufern aufbrechen kann. Wenn die Kandidaten in die Dörfer kommen, stets das gleiche Bild: eine Schar singender Kinder, die die Politiker begrüßt.

    Präsidentschaftskandidaten treten am 11. Oktober an in Liberia, einem Land, das kleiner ist als Bayern und Baden-Württemberg zusammengenommen und mit drei Millionen Menschen etwa soviel Einwohner wie Berlin zählt. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber sind die 66-jährige ehemalige Finanzministerin Liberias und Weltbank-Mitarbeiterin Ellen Johnson-Sirleaf und der 38-jährige Weltfußballspieler des Jahres 1995, George Weah. Während die Harvard-Absolventin Johnson-Sirleaf im Wahlkampf betont, dass sie die Kompetenz besitze, den wirtschaftlichen Wiederaufbau voranzutreiben, setzt der erst in diesem Jahr aus Europa zurückgekehrte Fußballer Weah auf die Politikverdrossenheit seiner Landsleute.

    Gebildete Politiker, so behauptet George Weah auf seinen Kundgebungen, hätten das Land seit 150 Jahren regiert – und Liberia sei immer noch arm. Daher müssten endlich andere Leute ans Ruder, die nicht nur politische Ränkespiele und die eigene Bereicherung im Sinn hätten. Als einziger Bewerber könne er nachweisen, dass er sein Geld durch ehrliche Arbeit verdient habe, nämlich durch Fußballspiel in Frankreich, Monaco, Italien und Großbritannien. Und da er aus den Slums von Monrovia zu Weltruhm gelangt sei, könne er allen jungen Leuten Liberias Selbstwertgefühl und Motivation vermitteln, und damit auch das Nationalbewusstsein stärken.

    Tornorlah Varpilah von WANEP ist besorgt über die anhaltende Zerrissenheit der kleinen westafrikanischen Republik. WANEP ist ein Netzwerk von 26 liberianischen Nichtregierungsorganisationen, die sich um den Wiederaufbau kümmern. Varpilah meint, die Wurzeln der Zerrissenheit reichten weit zurück in die Vergangenheit und tangierten die gesamte liberianische Gesellschaft:

    "Mehr als 150 Jahre wurde unser Land von einer Bevölkerungsminderheit beherrscht. 1980 dann stürzten die Eingeborenen, die sich beiseite gedrängt fühlten, diese Regierung. Doch dann brachen unter ihnen sehr heftige ethnische Konflikte aus."

    Vor über eineinhalb Jahrhunderten, als die USA die Sklaverei verboten, wurden Tausende freigelassener Sklaven nach Westafrika verschifft, wo sie 1847 Liberia gründeten – das "Freiheitsland", die erste Republik in Afrika. Doch die einstigen Sklaven schwangen sich gegenüber der einheimischen Bevölkerung zu Herren auf und schufen ein Kastensystem, das sie, obwohl sie nur drei Prozent der Bevölkerung ausmachten, bis 1980 privilegierte und die Mehrheit rechtlos, unwissend und arm hielt.

    Kein Wunder, dass die Volksmassen jubelten als Präsident William Tolbert 1980 vom Armee-Feldwebel Samuel Doe gestürzt wurde, einem der Ihren, Ureinwohner von Liberia. Doch auch Doe wollte sich nur bereichern. Zehn Jahre später wurde auch er gestürzt und ermordet. An der Spitze der Rebellen stand Charles Taylor, dessen Machtergreifung dann jedoch durch nigerianische Friedenstruppen verhindert wurde.

    Jahrelang zogen Taylors Truppen marodierend durch Liberia, ermordeten Zehntausende, rannten immer wieder gegen Monrovia an. 1997 hatte Taylor dann Erfolg: Er gewann die Wahlen, weil die Mehrheit der Bevölkerung endlich Ruhe und ein Ende des Abschlachtens wollte. Doch Taylor und seine Leute griffen noch schamloser als ihre Vorgänger in die Staatskasse und versorgten auch die Rebellen im benachbarten Sierra Leone mit Waffen, die dort – so wie zuvor in Liberia geschehen – die Bevölkerung, die sich ihnen nicht anschloss, massakrierten. Es dauerte nicht lange, bis sich - unter den Namen LURD und MODEL - erneut ethnisch zusammengesetzte Guerilla-Truppen in Liberia formierten. Sie kämpften jetzt gegen Taylor, der sich vor allem auf drei ethnische Gruppen stützte, und drangen in Richtung Monrovia vor. Die schreckliche Bilanz nach fast eineinhalb Jahrzehnten Bürgerkrieg in Liberia: 200.000 Tote und 850.000 Flüchtlinge bei drei Millionen Einwohnern.

    Erst die Entsendung von 15.000 UNO-Blauhelmen nach Monrovia machte im Sommer 2003 dem Terror ein Ende. Die Vereinten Nationen erreichten einen Kompromiss: Taylor wird freier Abzug und Exil in Nigeria gewährt. Seine Terroreinheiten, die inzwischen als Regierungsstreitkräfte fungierten, wurden genauso aufgelöst und entwaffnet wie die Rebellen von LURD und MODEL. Die UNO übernahm die Lenkung des Landes, das eine Übergangsregierung aus bisher unbelasteten Kräften erhielt.

    "Wir sehen Anzeichen eines dauerhaften Friedens dank der Anwesenheit der Vereinten Nationen. Aber Frieden ist ein Prozess und nicht ein einmaliges Ereignis. Daher ist es jetzt wichtig, eine Regierung und einen Präsidenten zu wählen – auch mit der Hilfe von internationalen Organisationen, die unser Volk unterstützen."

    Abrahim, ein junger Mann in Tubmanburg, wo sich während des Bürgerkrieges das Hauptquartier der Taylor bekämpfenden LURD-Rebellen befand, ist hoffnungsvoll. Zwei Jahre lang haben die Vereinten Nationen sowie internationale Hilfsorganisationen Liberia stabilisiert. Die Entwaffnung verlief friedlich. Die Flüchtlinge begannen, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Mit den jetzigen Wahlen eines Präsidenten, eines Parlaments und Senats soll die Macht vom 1. Januar an wieder vollständig in liberianische Hände übergehen.

    Liberia steht vor einem geradezu gigantischen Berg von Problemen, die bewältigt werden müssen. Das Land ist nahezu vollständig zerstört – administrativ, wirtschaftlich, sozial, moralisch. Eine Generation lang herrschten die Waffen. Wer eine hatte, war der Herr und tötete, wer keine hatte, musste dienen, leiden und fliehen. Liberia ist durch die Hölle gegangen.

    Tornorlah Varpilah hat mit vielen der Opfer gesprochen. Es hätten sich menschliche Abgründe aufgetan, äußert er – und gibt dann wieder, was ihm ein junges Mädchen berichtete:

    "Sie sagte: Ich wurde von vier Männern vergewaltigt. Dann zwangen sie meinen Vater, vor unseren Augen mit unserer Mutter zu schlafen. Mein Bruder sollte dann Sex mit meiner Schwester haben. Als er sich weigerte, schnitten sie ihm den Penis ab. Was soll ich mit denen tun, die meine Familie zerstörten? Soll ich zur Waffe greifen, mich rächen und sie töten? Um des Friedens willen bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu versöhnen."

    Die Versöhnung von Opfern und Tätern wird lange brauchen, denn die Wunden sind tief und heilen schwer. Aber die Menschen wissen, dass sie keine andere Chance haben, um künftig in Liberia zu leben. Ein Anfang ist gemacht: Seit die Waffen in Liberia schweigen, also seit zwei Jahren, und 90.000 Rebellen ihre AK-47-Maschinenpistolen, die selbst gebastelten Gewehre, Buschmesser und sogar Granatwerfer gegen eine Entschädigung von 300 Dollar den UNO-Soldaten aushändigten, herrscht tatsächlich weitgehend Ruhe im Land.

    "Gewalt löst kein Problem. Gewalt zerstört nur Leben und Eigentum. Wir können unsere Probleme nicht durch Kämpfen lösen, sondern nur durch Dialog."

    Der 27-jährige Lasting Kofa, der sich der Rebellenbewegung LURD angeschlossen hatte, um – wie er es formuliert – sein Land von der Terrorherrschaft Taylors zu befreien und der nicht weiß – oder nicht sagt -, wie viele Menschen er getötet hat, will endlich wieder als Mensch leben:

    "Ich will Kraftfahrer werden, damit ich meine Familie ernähren kann, mich, meine Tochter, meine Frau, meine Mutter und meine Schwestern."

    Aber, um Kraftfahrer zu werden und einen Job zu haben, müssen erst die Schulen und Ausbildungsstätten wieder aufgebaut, erst eine Wirtschaft in Gang gebracht werden, die der Krieg zerstörte. Voraussetzung dafür ist der völlige Neuaufbau des gesamten Staatswesens, nicht nur von Ministerien, sondern auch von regionalen und lokalen Verwaltungen. Eng damit verbunden sei die Schaffung eines Rechtssystems, äußert Ezekiel Pajibo, der Leiter des Zentrums für Stärkung der Demokratie in Monrovia:

    "Wir haben keine Rechtssicherheit in diesem Land. Es herrscht eine weit verbreitete Gesetzlosigkeit. Und bevor wir über ein Rechtssystem sprechen können, brauchen wir Sicherheitskräfte. Es geht also darum, eine Staatsordnung aufzubauen, die das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet und im täglichen Leben der Menschen verankert. Denn eine solche Staatsordnung hatten wir noch nie – und sie existiert bis heute nicht."

    Neue Sicherheitskräfte befinden sich im Aufbau. In den vergangenen beiden Jahren hat die von den USA beauftragte und mit 35 Millionen Dollar ausgestattete private DynCorp International damit begonnen, eine neue Armee von 2000 Mann zu trainieren. Sie soll künftig aber nur noch an den Grenzen zum Schutz des Landes und nicht wie bisher zum Schutz der Machthaber eingesetzt werden. Zugleich bildet die 1000 Mann starke internationale Polizeitruppe die neue liberianische Polizei aus.

    Da wieder weitgehend Sicherheit gewährleistet ist, kehrte bisher über die Hälfte der 850.000 Flüchtlinge in ihre Heimatorte zurück. Die anderen werden sukzessive folgen, wenn die internationalen Hilfsorganisationen in den Flüchtlingslagern ihre Arbeit einstellen, also die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten und das Betreiben von Schulen und Kliniken.

    Die Flüchtlinge kommen in Gebiete, wo die Straßen oft durch zerstörte Brücken unpassierbar sind, in Ortschaften, wo die Häuser und Brunnen zerstört sind, es keine Kliniken und Schulen gibt. Da 70 Prozent der Liberianer auf dem Lande leben, ist das Bestellen der Felder die dringlichste Aufgabe.

    "Ich bin sicher, dass in der Landwirtschaft die Zukunft Liberias liegt. Man braucht hier nur irgendwo ein Saatkorn fallen lassen – und schon wächst etwas. Und wir haben sehr viel nicht oder nur unzureichend genutztes Land."

    Liberias bisheriger Wirtschaftsminister der Übergangsadministration, Christian Herbert, ist optimistisch, dass das Land schnell eine Selbstversorgung mit Lebensmitteln erreichen kann. Langwieriger hingegen wird sich der Wiederaufbau der Wirtschaft gestalten.

    "Die meisten der ausgebildeten Fachleute und Techniker Liberias haben während des Krieges das Land verlassen. Der Regierung und Verwaltung fehlen heute diese Kräfte. Ausbildung ist deshalb eine vorrangige Aufgabe."

    Dieser Meinung ist auch Josephine Hutton, Büro-Leiterin des internationalen Hilfswerks Oxfam in Monrovia:

    "In Liberia gibt es eine ganze Generation, die keine Bildung erhalten hat. Es ist wohl das einzige Land auf der Welt, wo die jüngere Generation weniger gebildet ist als die ältere. Es ist ein schwieriges Unterfangen, hier jemanden zu finden, der überhaupt lesen und rechnen kann."

    Nichts ist wichtiger als Bildung für Liberia. In den vergangenen 15 Jahren konnten aufgrund der Bürgerkriegswirren nur wenige zur Schule gehen. 800.000 Kinder sind im Schulalter, etwa 3000 Schulen und 20.000 Lehrer werden gebraucht.

    Viele Dörfer in Liberia haben in den vergangenen beiden Jahren bereits zur Selbsthilfe gegriffen, damit die junge Generation wieder eine Chance bekommt. Die heimkehrenden Dorfbewohner aus den Flüchtlingslagern und aus dem Busch, in dem sie sich jahrelang verborgen hielten, helfen beim Aufbau von großen Hütten aus Holz, Lehm und Palmblättern, die als Schulen dienen. In der Siedlung Jawajeh legt der 60-jährige Lehrer Mustapha Masako selbst Hand an und erzählt stolz von den Plänen:

    "Das sind die Fundamente für drei Klassenzimmer. Später werden wir noch zwei weitere bauen. Anschließend wird ein Brunnen gebaut mit einer Handpumpe und schließlich noch die Toiletten. Wir werden hier einmal 500 Schüler unterrichten."

    Im Nachbardorf Massatine, hat der Unterricht schon begonnen, obwohl die Schule noch im Bau ist.

    Die zehn Lehrer für die 400 Kinder werden von den Eltern mit Reis, Gemüse und ab und zu einem Hühnchen versorgt, damit sie bleiben. Von der Regierung in Monrovia erhielten sie bislang weder ein Gehalt noch Lehrmaterialien.

    Nun wird die Übergangsregierung der letzten zwei Jahre, die von der UNO beaufsichtigt wurde, durch die erste gewählte Regierung ersetzt. Keiner der bisherigen Amtsinhaber darf kandidieren. Das war die Bedingung, damit sich die Übergangsadministration auf ihre Arbeit und nicht die Mobilisierung von Gefolgschaft im Lande konzentriert.

    Doch das politische System Liberias habe sich in den vergangenen beiden Jahren nicht so entwickelt, wie es sich viele im Lande erhofften, klagt Tornorlah Varpilah von WANEP:

    "Ich denke nicht, dass wir starke politische Parteien haben. Die Leute wechseln schnell von einer Partei zur anderen, um dann dort Präsidentschaftskandidat zu werden. Und die Freunde in der Partei folgen dann einfach. Es gibt keine Prinzipien."

    Jacques Klein, der als Sonderbeauftragter des UNO-Generalsekretärs für Liberia fast zwei Jahre lang eine Art Aufsicht führender Gouverneur des Landes war, hat ähnliche Erfahrungen mit Präsidentschaftsbewerbern gemacht:

    "Sie marschierten in mein Büro, schüttelten mir die Hand und sagten: Herr Klein, Sie geben gerade dem künftigen Präsidenten von Liberia die Hand. Ich sagte, wunderbar. Sie glauben, fragte ich, an eine starke zentrale Regierung, Raum für den Privatsektor, Schutz der Menschenrechte? Die Antwort, die ich immer bekam, lautete: Was meinen Sie damit? Ich will Macht haben und Präsident sein."

    Daher hat Jacques Klein, der kürzlich von dem Briten Alan Doss als Beauftragter des UNO-Generalsekretärs abgelöst wurde, Liberia nicht ohne Sorgen um die Zukunft des Landes verlassen – stehen doch auf der Kandidatenliste ehemalige Rebellenkommandeure, die sich bekämpften:

    "Ich habe die Angst, dass wir zwar eine freie und faire Wahl haben werden, aber die falsche Person gewählt wird. Wenn die großen Bevölkerungsgruppen in Liberia nicht fühlen, dass sie teilhaben und einbezogen sind, dann gibt es einen Fehlschlag. Dann beginnt der Krieg wieder von neuem. Das wäre sehr gefährlich."

    Bei den vielen Wahlkampfkundgebungen der vergangenen Wochen versprachen alle Politiker Frieden, Wiederaufbau, Arbeitsplätze und Bildung. Doch wie sie das erreichen und vor allem finanzieren wollen, sagte niemand. Sie verlassen sich auf anhaltende internationale Unterstützung. Denn seit dem Friedensschluss vor zwei Jahren kümmern sich Dutzende ausländischer Organisationen um das, wofür eigentlich die Liberianer zuständig sind: Sie bauen Schulen und Kliniken, Straßen und Brücken, bohren Brunnen, verteilen Lebensmittel, organisieren Saatgut. Josephine Hutton von Oxfam ist sich sicher, dass dies noch lange so bleiben wird:

    "Liberia benötigt eine langfristige und umfassende ausländische Unterstützung. Dafür ist eine entsprechende Finanzierung der Projekte erforderlich. Wenn das nicht gewährleistet ist, dann wird Liberia große Probleme bekommen. Vor allem, wenn es nicht gelingt, Arbeitsplätze und damit Einkommensmöglichkeiten für die ehemaligen Rebellen zu schaffen."

    Für Jacques Klein, der für die UNO auch in Bosnien und anderen Gebieten des früheren Jugoslawien tätig war, stellt sich nach der erfolgreichen Friedensmission der internationalen Gemeinschaft in Liberia die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, auch UNO-Strukturen für die Zeit danach, für den Wiederaufbau des zerstörten Landes zu schaffen.

    "Wo ist das Geld für die langfristige Entwicklung? Wir brauchen Millionen von Dollar allein für eine Pipeline, um Trinkwasser nach Monrovia zu transportieren. Wir brauchen Millionen von Dollar, um den Hafen wieder auf Vordermann zu bringen. Weitere Millionen benötigen wir für die Versorgung mit Elektroenergie, für Schulen und vieles andere. Wir müssen die gesamte Infrastruktur neu aufbauen. Und das Geld dafür habe ich noch nicht gesehen. Wir müssen auch über eine völlig neue Vorgehensweise nachdenken. Bisher konzentrieren wir uns immer nur darauf, dass die Friedensstreitmacht das Feuer löscht. Der Konfliktregulierung muss die Phase des Wiederaufbaus einer ganzen Nation folgen, damit nicht wieder alles zusammenbricht."

    Liberia ist nicht das einzige Land in Afrika, das nach langem Bürgerkrieg völlig neu gestaltet und aufgebaut werden muss. Die gleiche Aufgabe stellt sich auch im Kongo, im Sudan und in Somalia. So bleibt der Krisenkontinent Afrika für Jahre und vermutlich Jahrzehnte eine ständige Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft. Es gibt viel zu tun zwischen Sahara und Sambesi – nicht nur in Liberia.
    Der liberianische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Weltfußballer des Jahres George Weah von der Partei Congress for Democratic Change 'CDC'.
    Der liberianische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Weltfußballer des Jahres George Weah von der Partei Congress for Democratic Change 'CDC'. (AP)