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Neuauflage von "Tartuffe" nach Molière
Zeug zum Kultstück

Auch heute noch gilt Molières Komödie "Tartuffe" über den intelligenten Heuchler als lustige Nummer. Das Stück bietet sich für eine Aktualisierung geradezu an. Denn: Heuchler gibt es auch in der Postmoderne zuhauf. Regisseurin Claudia Bauer beweist das am Theater Basel anhand der Bearbeitung von PeterLicht.

Von Christian Gampert | 15.09.2018
    Das Foto zeigt mehrere Damen im Mieder und einen Kameramann
    Urauffühurng in Basel: Tartuffe oder das Schwein der Weisen (Theater Basel / Priska Ketterer)
    1664, unmittelbar nach der Uraufführung, kam auch schon das Verbot. Die angeblich fromme, in Wahrheit aber von sexuellen und ökonomischen Motiven getriebene Hauptfigur gefiel der katholischen Kirche nicht besonders.
    Das Theater Basel, kürzlich zum "Theater des Jahres" gewählt, hat mit dem Musiker und Stückeschreiber PeterLicht jemanden zur Hand, der Aktualisierungen von Theaterklassikern leichthändig erledigt. Wie schon 2016 Molières "Menschenfeind" hat PeterLicht den "Tartuffe" in einen artifiziellen Jargon heutiger, kapitalismusgebeutelter Jungspunde gebracht. Regie führt, wie schon 2016, Claudia Bauer. Ein starkes Duo, deren Gesellschaftskritik sitzt.
    Das gesunde Misstrauen, das der Kölner Künstler PeterLicht gegen den Kapitalismus hegt, manifestiert sich nun auch in seiner Basler Tartuffe-Neuerfindung – einerseits in ironischen Songs über Chips und Lutschbonbons, andererseits in einer grotesken lingualen Aufmöbelung des Molièreschen Personals.
    Betrug mit Sprache
    Sind diese hochentfremdeten Personen alle auf Speed? Tartuffe, der Betrüger und Heuchler, sein Gönner Orgon und dessen Gattin Elmire, die der Tartuffe so gern flachlegen will, heißen bei PeterLicht Tüffi, Orgi und Elmi. Die Angehörigen des Hauses Orgon tragen modernisierte Rokoko-Kostüme und –Perücken, und sie benehmen sich so manieriert und trashig, als seien sie aus einer "Amadeus Amadeus"- oder "Rocky-Horror"-Produktion herausgesprungen. Sie sprechen Jugendjargon, Szene-Jargon, Wissenschafts- und Seminarjargon, es ist immer "alles okay" und "kein Problem", man stellt Pseudo-Reflexionen über die Hälfte und das Ganze und das Wahre und das Falsche an - und es ist klar, dass der größte Betrug, die größte Heuchelei dieser Personen in der Sprache liegt. Sie mogeln sich mit Satzschablonen durch die Welt:
    "Die Kontinentalplatten von Lüge und Wahrheit schaben aufeinander, Spannung baut sich auf, die sich vielleicht einmal entladen wird – doch der Entladungszeitpunkt bleibt offen…"
    PeterLicht, der jetzt schon zum dritten Mal ein Molière-Stück überschreibt, macht aus der komödiantischen Vorlage eine dreistündige, neo-dadaistische Performance.
    Seminargefasel und Campus-Gewäsch
    Natürlich hat das ab und zu Hänger, aber langweilig ist es nie. Im Gegenteil: Licht kondensiert aus all dem Seminargefasel und Campus-Gewäsch wunderschöne Neologismen und Sprach-Loops, die manchmal nerven, meistens aber lustig sind - und oft auch der pure Nonsens. Philosophie-Parodie.
    Vor allem decouvriert diese Kunstsprache die Lügerei der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die für alles und jedes eine verharmlosende, banalisierende oder pseudo-wissenschaftliche Umschreibung parat hat. Wenn da einer Elmi, also Elmire, "kontextualisieren" will, dann will er sie beschlafen.
    Das alles geht in Basel, inszeniert von Claudia Bauer, mit unglaublichem Tempo und kabarettistischer Frische über die Bühne. Die Bewohner des Hauses Orgon besprechen ausgiebig, was geil und was ungeil ist und wer mit wem.
    Mit Lust am Chaos
    Tartuffe, Tüffi, ist zunächst reine Projektionsfläche. Man redet über den, weil der einsame, exzentrische Orgi, Orgon, ihn so toll findet. Als Tartuffe endlich erscheint, entpuppt er sich als Riesenvieh mit Schweinekopf und Monster-Penis, als Inkarnation der Hässlichkeit, aber auch als Vertreter des kapitalistischen Systems. Er sei, so gibt er sehr gerne zu, ein hundsgemeiner Sex-Schamane, und der Kapitalismus sei nun mal männlich:
    "Also wenn ich spreche, liebe Frau Elmire, dann gibt es für mich die Vorstellung, dass alle Worte, die ich sage, aus Penissen zusammengesetzt sind. Also meine Worte sind penis-haft, das wollte ich Ihnen gleich zu Beginn sagen. – Okay!"
    Orgons Gattin Elmire ist ganz willig, als es zum Tête-à-tête mit dem Bösen geht. Und dann nimmt der Tartuffe seine Schweinekopf-Maske ab und steht da als gelockter Schönling, als Prinz, der wunderbar singen kann. Der Schauspieler Nicola Mastroberardino grunzt sich zunächst als entstelltes Monster durch die Liebesszenen, spielt aber danach, als alle ihm nachlaufen, mit guruhafter Impertinenz den schmierigen Verführer, den Rattenfänger, den Abzocker, der nun Workshops zur besseren Lebensführung veranstaltet und sich die Kurse gern auch mehrfach bezahlen lässt – alles kein Problem!
    Claudia Bauer inszeniert das mit Lust am Chaos und viel Wackelkamera, die alles hinter den Kulissen Stattfindende trashig auf die Leinwand bannt – Castorf und Pollesch sind nicht fern. Die Songs von PeterLicht und manch Klassik-Zitate werden von einem Dienstmädchen mit Synthesizer und Posaune heftig aufgeraut und aufgehübscht. Sie sind der lakonischen Soundtrack eines Abends, der uns gnadenlos vorführt, dass wir alle im Geschwätz versinken. Anders gesagt: dieser Tüffi, der Tartuffe, ist trotz diverser Leerstellen so super, dass er das Zeug zum Kultstück hat. Die Basler Jugend wird das schon merken.