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Neudeck: Afghanistan-Konferenz "ist eine halbe Konferenz"

Pakistan verzichtet auf eine Teilnahme an der Afghanistan-Konferenz in Bonn. Es sei deshalb "nur die halbe Miete", die dabei herauskommen könne, meint Rupert Neudeck, Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme".

Rupert Neudeck im Gespräch mit Gerd Breker | 30.11.2011
    Anne Raith: Am vergangenen Samstag greifen NATO-Kampfhubschrauber zwei pakistanische Militärposten an der Grenze zu Afghanistan an. Dabei sterben mindestens 24 Soldaten. Die Reaktion Pakistans erfolgt im Dreischritt. Zuerst sperrt das Land die Grenze für den NATO-Nachschub nach Afghanistan, dann fordert das Land die USA auf, eine Flugbasis im Südwesten binnen 15 Tagen zu räumen. Schließlich sagt Pakistan seine Teilnahme an der Afghanistan-Konferenz Anfang kommender Woche in Bonn ab.

    Dabei werden Afghanistan und Pakistan in Fragen der regionalen Sicherheit und vor allem der Stabilität stets zusammen gedacht, als AFG-PAK. Wie sinnvoll ist also diese Konferenz noch? – Diese Frage hat mein Kollege Gerd Breker Rupert Neudeck gestellt, dem Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme".

    Rupert Neudeck: Ja, das kann man sich aus verschiedenen, aus vielen anderen Gründen auch schon fragen. Außer dass Konferenzen bemänteln sollen, dass man hier ein Politikscheitern vor sich hat, ist es natürlich jetzt noch ein dramatischer Akt, der begründet wurde durch die amerikanische Drohnen-Intervention, durch die Bombardierung.

    Ich denke, dass die Konferenz stattfinden wird, denn diesen Gesichtsverlust wird man sich in der westlichen Staatengemeinschaft nicht antun. Aber es ist eine halbe Konferenz, denn schon die Diplomaten, die zuständig sind für diese Region, werden AFG-PAK genannt, das heißt Afghanistan-Pakistan. Also AFG-PAK kann nicht stattfinden, es findet nur AFG statt, Afghanistan, und deshalb ist es nur die halbe Miete, die dabei herauskommen kann.

    Gerd Breker: Der Westen ist ja nach Afghanistan gezogen, Herr Neudeck, um am Hindukusch unsere Freiheit zu verteidigen. Wenn wir einmal die Ziele des Nato-Geführten Militäreinsatzes in Afghanistan nehmen, wie lautet da Ihre Bilanz?

    Neudeck: Ich muss zunächst mal immer wieder sagen, weil wir es ja miterlebt haben: Vom 7. November 2001 – da waren, glaube ich, die ersten Bombenangriffe, die runtergingen auf Afghanistan -, von dieser Zeit an waren es mindestens drei ganze Jahre, wenn nicht sogar dreieinhalb bis vier Jahre, in denen Afghanistan einen Enthusiasmus an Wiederaufbauerfolg gehabt hat, dass man sich das heute gar nicht vorstellen kann. Es gab auch eine totale Sicherheit im Lande.

    Die deutschen Bundeswehrsoldaten, die damals 2002 nach Kabul kamen, die kamen dort hin, auch sehr begrüßt und sehr willkommen, weil sie dort den Verkehr geregelt haben, weil es keinen gab, der den Verkehr regeln konnte. Das alles ist übergeschwappt in eine Militärstrategie, die zur Folge gehabt hat, dass die nationalistischen Afghanen und eben auch zusätzlich pakistanische Taliban aus den Grenzgebieten eben wieder den Reflex haben, den Afghanen oft haben, wenn zu lange ausländische Waffenträger im Lande sind, dass sie jetzt einen Gegner haben, und sie werden – das ist ja das Entscheidende an den letzten Jahren: Es geschieht ja nicht mehr Sicherheit durch die Anwesenheit von ISAF und europäischen Soldaten, sondern genau weniger. Es wird ja immer weniger, und deshalb ist es wichtig, einen klaren Strich zu ziehen, einen analytischen Strich unter das, was bisher geschehen ist.

    Breker: Ende 2014 werden die meisten ausländischen Soldaten aus Afghanistan abgezogen sein, das ist beschlossen. Inwieweit ist dann so eine Konferenz wie die geplante in Bonn auch eine Rechtfertigungsveranstaltung für das, was man ohnehin schon entschieden hat?

    Neudeck: Ja man hat eine ganz gehörige Portion an Arbeit auf dem Petersberg um Rechtfertigung. Das ist fast eine theologisch-politische Vokabel geworden für Afghanistan. Man muss der Weltgemeinschaft begründen, dass der Präsident auch wirklich der legitime Präsident ist. Wir wissen alle, dass vor zwei Jahren die UNO eine Untersuchung angestrengt hat, wonach der jetzige Präsident eigentlich der Wahlfälscher ist, also illegitim ist nach unseren demokratischen Standards. Man muss jetzt auch noch belegen können, dass der Präsident die demokratischen Errungenschaften des Landes, auf die der Westen und auch die deutsche Bundesrepublik so stolz war, eigentlich außer Kraft setzt. Ich habe das jetzt vor drei Wochen noch mitbekommen im Lande.

    Das Parlament, das gewählte Parlament, das unter unserem Druck gewählte Parlament in Afghanistan, beschwert sich heftig beim Präsidenten, weil der hebelt das Parlament aus und setzt eine alte traditionelle Stammesversammlung nach seinem Gutdünken in Kraft, damit sie dort nach seinem Gutdünken abstimmen können. Also wir haben eine ganze Reihe von Rechtfertigungsmaßnahmen und von Rechtfertigungsritualen, die auf dem Petersberg ablaufen werden. Ich hoffe, dass wenigstens etwas herauskommt für die Bevölkerung, denn die braucht weiter unsere Unterstützung beim Aufbau der Wirtschaftsinfrastruktur, der Verkehrsinfrastruktur und der Energieinfrastruktur.

    Breker: Herr Neudeck, Sie haben Präsident Karsai angesprochen. Die Good Governance war ja auch eines der Ziele, die der Westen in Afghanistan einführen wollte. Inwieweit kann das mit Präsident Karsai gelingen?

    Neudeck: Ich hatte anfangs eine ganz andere Einschätzung, war eigentlich optimistisch, weil sich in den ersten Monaten nach dem Petersberg 1 Karsai zu den Stämmen begeben hat, das Grab des berühmten Tadschikenführers, der ermordet wurde zwei Tage vor dem 11. September, Schah Ahmed Massoud besucht hat, ich hatte gedacht, er versucht, die Stämme Afghanistans unter seiner Führung in eine freie, große, demokratische, wohlhabende Zukunft zu bringen. Das ist alles nicht mehr wahr, sondern wir haben jetzt eine Situation, in der die Bevölkerung diese Führung ablehnt. Sie weiß, dass die Familie von Karsai einige der reichsten Menschen in Afghanistan beherbergt, unter anderem auch einen, der am Opiumhandel beteiligt ist. Das ist alles bekannt in der Bevölkerung, das wird auch in den Zeitungen geschrieben. Es gibt Gott sei Dank ein bisschen mehr Pressefreiheit als früher. Aber das alles hat nicht dazu geführt, dass wir eine auch nur annähernd gute demokratische und verantwortliche, für das Land sich verantwortlich fühlende und handelnde Regierung haben.

    Breker: Frieden für Afghanistan ohne Pakistan, ist das für Sie denkbar?

    Neudeck: Nein. Das sind zwei auf ewig aneinander gekettete Länder. Diese Kette wird man kaum ändern können. Die Kette ist die berühmte Durant-Grenzlinie, die gesetzt wurde von einem britischen Kolonialbeamten. Diese beiden Länder gehören entweder zusammen, oder sie führen Krieg. Sie müssen aber zusammenführen, und deshalb muss diese Konferenz eigentlich Pakistan als einen Teilnehmer haben, vielleicht sogar als den wichtigeren Teilnehmer, denn Pakistan ist jetzt nach dem Tod von Osama Bin Laden aus der Luft durch die amerikanische Luftwaffe und nach den Drohnen-Angriffen, nach dem unerklärten Krieg, der in seinem Territorium tobt, natürlich höchst beleidigt, im tiefsten beleidigt, in seiner Würde verletzt, und das muss man aufheben. Das wird jetzt nicht geschehen – leider.

    Raith: Rupert Neudeck, Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme", im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker über die Absage Pakistans für die Afghanistan-Konferenz kommende Woche in Bonn.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.