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Die AfD und das Establishment

Bloß nicht zum System gehören - für AfD-Politiker wie Sven Tritschler ist das wichtiger Vorsatz. Dabei ist er als Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen nun Berufspolitiker. Einen kritischen Blick auf das politische "Establishment" will er sich trotzdem bewahren.

Von Moritz Küpper | 01.02.2018
    Die Fraktion der AfD im Landtag von Nordrhein-Westfalen, dahinter die Aussteiger um Marcus Pretzell, der inzwischen fraktionslos ist
    Die Fraktion der AfD im Landtag von Nordrhein-Westfalen, in der Mitte links sitzt Sven Tritschler. Dahinter die Aussteiger um den Ex-AfD-Politiker Marcus Pretzell. (Imago)
    Eine Festhalle in der Kölner Innenstadt im November vergangenen Jahres. Der Schriftsteller Navid Kermani wird geehrt, mit dem NRW-Staatspreis aus den Händen von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet:
    "Als Sohn iranischer Einwanderer in Siegen geboren, in Köln lebend, ist er Bürger unseres Landes. Wir ehren einen Mann", der ein Intellektueller mit Alltagsrelevanz sei, "weil er durch kluge Gedanken, kritische Betrachtung und differenzierte Argumentation zum guten Zusammenleben, zum Zusammenhalt in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland und Europa beiträgt."
    Anschließend drängeln sich die rund 400 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Medien bei einem Empfang mit Kölsch, Wein und Häppchen. Etwas abseits in einer kleinen Gruppe steht auch Sven Tritschler: 36 Jahre alt, AfD-Landtagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Wie war die Veranstaltung?
    "Ja, interessant. War ja mein erstes Mal als Landtagsabgeordneter. Bin nicht mit jedem Punkt einverstanden, der heute Abend erwähnt ist, wie Sie sich wahrscheinlich denken können. Der Preisträger hat sich jetzt doch sehr für eine verstaatlichte Europäische Union ausgesprochen. Das geht natürlich nicht d’accord mit uns."
    "Wir fühlen uns nicht als Teil des Establishments"
    Dennoch: Die Veranstaltung findet er neu und aufregend – fügt aber schnell hinzu: "Also, wir fühlen uns nicht als Teil des Establishments, sonst würden wir wahrscheinlich auch von mehr Leuten mit Handschlag begrüßt, als das der Fall ist. Aber man muss ja sehen, was hier passiert, man wird eingeladen als Landtagsabgeordneter."
    Der ist er seit 2017. Und er ist einer der kommenden Köpfe der AfD: Stellvertretender Fraktionsvorsitzender in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, dazu Bundesvorsitzender der Nachwuchsorganisation Junge Alternative und Mitglied im Kölner Stadtrat. Ein Berufspolitiker der AfD – Tritschler zuckt etwas:
    "Ja, das ist ein hauptberufliches Amt hier im Landtag, ein Mandat. Klar, dann ist man Berufspolitiker, muss man, auch wenn es etwas unpopulär ist, der Begriff, aber das ist dann so."
    Ohnehin erscheint die Karriere des Sven Tritschler widersprüchlich: Als Ex-FDP'ler, der aus eher sozialdemokratischem Elternhaus stammt, ist er nun bei der AfD. Als Homosexueller ist er der Funktionär einer Partei, deren Mitglieder mit homophoben Äußerungen auffallen. Als Skeptiker des Establishments ist er nun selbst Doppelmandatsträger.
    Oder steht Tritschler damit vielleicht für eine AfD, deren Mitglieder die Privilegien des politischen Lebens längst kennen- und schätzen gelernt haben – und dafür eine gewisse Flexibilität an den Tag legen?
    Tritschler sieht das nicht so eng, er begreift sich eher als integrer Einzelkämpfer, der es weit gebracht hat:
    "Also, ich glaube – das gilt übrigens in allen Parteien und allen Lebenslagen –, man sollte sich nicht abhängig machen. Überleben ist halt so eine Sache. Ich bin immer noch derselbe – im Wesentlichen."
    Mitglied im 1. FC Köln, der sich gegen die AfD positioniert
    Tritschler stößt mit seiner politischen Biographie jedoch auch an seine Grenzen. Beispiel: Seine Mitgliedschaft beim Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln. Denn: Der Verein positioniert sich offen gegen die AfD. Noch größer ist der Kontrast aber im Fall des Karnevals. Jahrelang war Tritschler Mitglied der Prinzengarde, eines der wichtigsten Karnevalskorps.
    "Der Verein, das kann sich, glaube ich, ein Nicht-Kölner nicht so vorstellen, spielt natürlich in der Gesellschaft eine große Rolle, gerade jetzt zur Karnevalszeit, da ist natürlich jemand der politisch umstritten ist - das bin ich als AfD-Politiker - ein Thema."
    Austreten will er nicht. Es gebe Karnevalisten, die noch weiter rechts stünden. Aber Tritschler lässt seine Mitgliedschaft ruhen, auch beim Rosenmontagszug will er wieder nicht mitgehen. Beim letzten AfD-Bundesparteitag in Köln organisierten die Karnevalisten vor der Halle sogar bunten Protest.
    "Ich ben Grieche, Türke, Jude, Moslem un Buddhist, mir all, mir sin nur Minsche, vür‘m Herjott simmer glich": "Unser Stammbaum" heißt das Lied, das das kölsche Lebensgefühl von der bunten Stadt wohl am besten ausdrückt.
    "Joa, das sind ja auch schöne Lieder und ich glaube auch, Migration war ja auch in den 60ern, 70ern. Da ist das ja auch noch ein bisschen romantisch, da kommt der eine aus Griechenland, der andere da, aber 80 Prozent, die da wohnen, sind immer noch Deutsche."
    Rede in Erfurt: Islam als "Steinzeitreligion"
    Heute sei das eben anders – und ein Thema, zu dem Tritschler im Januar 2016 bei einer AfD-Veranstaltung in Erfurt klar Stellung bezogen hat:
    "Nein, wir haben nichts gegen Ausländer, aber wir haben etwas gegen Neandertaler und Leute, die sich aufführen wie die schlimmsten Besatzungssoldaten."
    Tritschler, schwarzer Mantel, steht auf ein Podium, heizt der Menge ein: "Und wir haben etwas gegen eine Steinzeitreligion, die millionenfach Elend und tot über die Welt bringt."
    Nur ein Ausrutscher?
    "Das war wenige Wochen nach der berühmten Silvesternacht in Köln, auch auf dem Höhepunkt dieser Flüchtlingskrise. Da war die etwas emotionaler die Rede, gebe auch zu, das ist, sag ich mal, das Maximum dessen, was ich persönlich vertreten kann an Äußerungen. Ich glaub auch, wenn man sie sich mal durchliest, nüchtern, wird man feststellen, sie ist vielleicht ein bisschen polemisch, aber es ist nichts drin, was ich jetzt nicht vertreten könnte."
    "Die Parteibasis passt sehr gut auf"
    Es ist schwer, aus Tritschler schlau zu werden: Stundenlang lässt sich mit ihm reflektiert über die Gesellschaft und deren Veränderungen diskutieren. Wie es Politiker eben tun. Aber als Teil des Systems sieht er sich nicht. Das scheint eine Frage der Wahrnehmung zu sein:
    "Also, wir gehören sicher nicht zum Establishment. Man muss natürlich aufpassen: Man kommt hier an, es gibt ja auch so allerlei Annehmlichkeiten, man ist nicht schlecht bezahlt, das geht allen so. Da muss man halt aufpassen, dass man eben noch seinen kritischen Blick auf die Dinge behält. Aber wie gesagt: Unsere Parteibasis passt da sehr gut auf uns auf und deswegen mache ich mir auch keine Sorgen, dass ich da zu sehr im System ankomme."