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Neue EU-Mitgliedsländer
"Die EU muss zuerst ihre Hausaufgaben machen"

Die Europäische Union sei eindeutig noch nicht reif für weitere Mitglieder aus Osteuropa, sagt Richard Sulik, slowakischer Abgeordneter im Europaparlament im Dlf. Er habe nichts grundsätzlich gegen neue EU-Mitglieder, aber die EU habe zu viele eigene Baustellen.

Richard Sulik im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.02.2018
    Richard Sulik, Vorsitzender der liberalen slowakischen Partei SaS, Freiheit und Solidarität, und Mitglied des Europäischen Parlaments
    Richard Sulik, Vorsitzender der liberalen slowakischen Partei SaS, Freiheit und Solidarität, und Mitglied des Europäischen Parlaments (imago stock&people)
    Tobias Armbrüster: Die Europäische Union kämpft zurzeit mit vielen Problemen. Da ist der Brexit, der Austritt Großbritanniens. Da sind Finanz- und Wirtschaftskrise in vielen Mitgliedsländern immer noch nicht unter Kontrolle. Und dann ist da natürlich die Flüchtlingspolitik. Über die gibt es in Europa immer noch eine Menge Streit. Und mitten in dieser Situation haben wir nun gestern gehört: Die EU will langfristig sechs weitere Staaten aufnehmen, alle vom Balkan. Serbien und Montenegro können sich schon für 2025 Hoffnung machen. Bis dahin könnte es mit einer Mitgliedschaft für diese beiden Länder bereits klappen.
    Eine weitere Erweiterung in Richtung Osten - wir wollen das besprechen mit Richard Sulik. Er ist slowakischer Abgeordneter im Europaparlament und er ist in der Slowakei Vorsitzender der Partei Freiheit und Solidarität, und er ist in den letzten Jahren auch bei uns in Deutschland bekannt geworden durch seine deutliche Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik. Schönen guten Morgen nach Straßburg.
    Richard Sulik: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Sulik, ist die Europäische Union reif für weitere Mitglieder aus Osteuropa?
    Sulik: Nein, eindeutig nicht. Die EU ist doch nicht in der Lage, die Grenzen, die eigenen Grenzen zu sichern. Wenn nicht einmal das die EU zustande bringt, dann sollte niemand über eine Erweiterung nachdenken.
    "Es wird zu viel an Problemen"
    Armbrüster: Was genau haben Sie gegen diese sechs weiteren Staaten?
    Sulik: Nichts Konkretes und langfristig, langfristig denke ich auch, dass es gut sein wird, wenn die Mitglieder der Europäischen Union sein werden, aber nicht in den nächsten Jahren. Die EU muss zuerst ihre Hausaufgaben machen. Sonst wird es zu viel an Problemen.
    Armbrüster: Was sind das für Probleme?
    Sulik: Sie haben sie ja jetzt gerade genannt: Erst einmal die Flüchtlingspolitik, dann die Grenzsicherung, Spanien und andere Länder machen immer noch viel zu viele Schulden, dann gibt es zum Beispiel keine Einigung über eine gemeinsame Asylpolitik und so weiter. Die EU hat so viele Baustellen, dass es mit Sicherheit jetzt der falsche Moment ist, Serbien und andere fünf Balkan-Länder einzuladen.
    Armbrüster: Andererseits muss man ja sagen, die EU hat auch in diesen Krisenzeiten einiges geschafft. Es geht vielen Ländern gut, in vielen Ländern entwickelt sich die Wirtschaft positiv. Das ist ja eigentlich ein Anzeichen dafür, dass die EU ziemlich viel auf die Reihe kriegt.
    Sulik: Na ja. Die Frage ist, um welchen Preis. Und zweitens: Was hat die EU dafür wirklich getan? Wir haben ja eine Weltkonjunktur. Da ist es nicht überraschend, dass es den Ländern besser geht. Zweitens: Zum Beispiel Deutschland geht es gut, weil für Deutschland der Euro viel zu schwach ist. Und drittens: Die Politik der Europäischen Zentralbank, die ist langfristig vernichtend. Zuerst sind es diese Zinsen, die sind schon seit einigen Jahren bei null, und zweitens dieses massive Aufkaufen von öffentlichen Schulden. Das ist zurzeit bei, ich weiß nicht, 2.000 Milliarden Euro. So geht es nicht weiter!
    Armbrüster: Aber die EU, Herr Sulik, ist ja weit entfernt von einem Zusammenbruch. Ist das nicht einfach ein bisschen viel Schwarzmalerei?
    Sulik: Nein! Ich sage ja nicht, dass die EU zusammenbrechen wird. Ich sage nur, sie hat viel zu viele Baustellen offen. Das ist das eine. Und das zweite: Auf Ihre Frage, dass es den Ländern jetzt besser geht, antworte ich ja, es geht besser, aber der Preis dafür ist eine langfristig vernichtende Politik der Europäischen Zentralbank. Es reicht, wenn Sie sich zum Beispiel die Salden an den Target-II-Forderungen anschauen.
    "Schreckgespenst Russland? Das finde ich nicht richtig"
    Armbrüster: Jetzt spricht allerdings niemand davon, dass diese sechs westlichen Balkan-Länder auch sofort Mitglied im Euro, in der gemeinsamen Währung werden sollen. Bis dahin wird es ja noch etwas dauern. Was hat die EZB damit zu tun?
    Sulik: Na ja. 2025 ist jetzt nicht keine 30 Jahre weg. Der Brexit ist ein weiteres Beispiel dafür.
    Armbrüster: Aber 2025 keine Mitgliedschaft im Euro. Das wird ja noch etwas dauern.
    Blick über die Altstadt der slowakischen Hauptstadt Bratislava
    Blick über die Altstadt der slowakischen Hauptstadt Bratislava (imago / Volker Preußer)
    Sulik: Das weiß man nicht, weil wenn ich so den Herrn Juncker ab und zu höre, wie der davon träumt, dass alle Länder so schnell wie möglich in den Euro einsteigen sollen, da wäre ich mir gar nicht so sicher, dass davon in einigen Jahren keiner reden wird.
    Armbrüster: Herr Sulik, jetzt wird natürlich auch über Wirtschaftspolitik gesprochen, auch über Finanzpolitik im Rahmen dieser Balkan-Strategie. Aber den Befürwortern dieser Strategie - das haben wir gehört -, denen geht es ja noch um etwas anderes. Denen geht es vor allem um die strategische Ausrichtung. Langfristig nämlich darum, um die große Frage, an welchen Block, an welche Staaten sich diese westlichen Balkan-Staaten binden werden. Da sind ja zwei weitere Kandidaten, die auftauchen am Horizont. Da ist zum einen Russland und da ist China, beides Länder, die ihren Einfluss auch in Osteuropa gerne massiv ausbauen wollen, und dem will die EU-Kommission jetzt zuvorkommen mit einer solchen frühen Bindung. Das macht doch Sinn.
    Sulik: Es hört sich auf jeden Fall vernünftig an. Aber wenn wir uns zum Beispiel Griechenland anschauen: Wenn es den Griechen recht war, ist der griechische Premierminister nach Moskau gereist, hat sich da mit jemand getroffen und hat indirekt auch damit gedroht, dass sie jetzt mehr mit Russland in Kontakt sein werden. Und schauen wir uns doch mal Deutschland an: Trotz dieses Embargos macht Deutschland weiter mit der Northstream-II-Gaspipeline. Jetzt unbedingt aus Russland ein Schreckgespenst zu machen, nur damit wir so früh wie möglich andere Länder jetzt noch aufnehmen, das finde ich nicht richtig.
    Armbrüster: Aber kann sich Europa das tatsächlich leisten, dass in dieser wichtigen, in dieser ja teilweise auch sehr, sagen wir mal, umkämpften Region, dass dort ein Vakuum entsteht, ein Vakuum in einer Region, in der es sowieso immer wieder kracht?
    Sulik: Ja, es kracht immer wieder. Deswegen sollte hier auch die EU vorsichtig sein mit Aufnehmen von weiteren Mitgliedern gerade aus dieser Region. Wenn es dann zwischen den EU-Mitgliedern krachen wird, dann wird es auch nicht besser.
    "Die Türkei wird kein EU-Mitglied werden, das sollte man eindeutig sagen"
    Armbrüster: Das heißt, Sie gönnen diesen Staaten jetzt auch nicht das, was anderen Staaten in Osteuropa im Laufe der EU-Osterweiterung zugutegekommen ist?
    Sulik: Ich gönne das schon, aber ich sage, man sollte das nicht übereilen, und ich sage ja nicht, man sollte den Staaten sagen, wir nehmen euch nicht auf. Das denke ich bei der Türkei. Da sollte man eindeutig sagen, die Türkei wird kein EU-Mitglied werden. Bei diesen Staaten ist das durchaus vorstellbar. Man soll daran arbeiten. Aber ich denke, es ist viel zu früh. Auch, dass die Staaten sich zuerst mehr entwickeln. Serbien ist noch recht reich, aber Montenegro ist ein armes Land und sollte sich erst einmal entwickeln. Zweitens soll die EU ihre Hausaufgaben machen. Die EU hat noch genug zu tun.
    Armbrüster: Für welches Jahr würden Sie diesen Kandidaten, diesen Ländern des westlichen Balkans Hoffnung machen, wenn nicht 2025?
    Sulik: Nein. Es ist wirklich sehr schwer, ein Jahr zu nennen. Ich würde eher sagen, wenn diese und diese Bedingungen erfüllt sind, zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt einem gewissen Prozentsatz des BIP von der Europäischen Union erreicht und so weiter. Ich würde eher Bedingungen stellen, klare eindeutige Bedingungen. Ob es fünf oder 20 Jahre dauert, wäre dann in dem Moment nicht so wichtig. Das macht die EU aber nicht.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Richard Sulik. Er ist EU-Abgeordneter aus der Slowakei und in seiner Heimat Vorsitzender der Partei Freiheit und Solidarität. Vielen Dank, Herr Sulik, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Sulik: Schönen Morgen noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.