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Alter, Sexismus, Korruption

Von einem Filmregisseurs, der ein normales Leben führen will, aber von den Dämonen der Vergangenheit getrieben wird, erzählt Abel Ferrara in "Tommaso und der Tanz der Geister". Um Sexismus in der TV-Branche geht es in "Bombshell". Und von einem korrupten Polizisten handelt "La Gomera".

Von Hartwig Tegeler | 12.02.2020
Charlize Theron, Nicole Kidman und Margot Robbie in einer Filmszene aus dem Film "Bombshell" von Jay Roach.
Charlize Theron, Nicole Kidman und Margot Robbie in "Bombshell" von Jay Roach. (imago images / Cinema Publishers Collection/ Hilary B. Gayle)
Er hat im Prinzip alles hinter sich: Tommaso war ein bekannter US-Filmregisseur, er war drogensüchtig, er hatte keinen Halt und keine Familie. Jetzt lebt er mit seiner sehr viel jüngeren Frau und der kleinen Tochter in Rom. Tommaso meditiert, gibt Schauspielunterricht, lernt Italienisch und ist quasi in die Normalität abgetaucht, während er versucht, an einem neuen Film zu arbeiten.
Alte Dämonen
Aber – wie der Titel von Abel Ferraras Film "Tommaso und der Tanz der Geister" es treffend ausdrückt – die alten Dämonen treiben ihn immer noch um. Immer wieder verwischen sich in Abel Ferraras dunklem, stark autobiographisch geprägten Film – auch er lebt in Rom, auch er hatte harte Drogenjahre -, verwischen sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion: Tommaso sieht auf einmal seine Frau in einer Bar mit einem anderen; er selber wird in seinem Café von einer jungen, nackten Frau bedient. Lust- oder Altherrenphantasie? Albtraum? "Tommaso und der Tanz der Geister" reflektiert das Alter, die Kunst und die Normalität, die es für einen Künstler nie geben wird. Sagt uns Ferrara. Das alles würde allerdings kaum so unter die Haut gehen, wenn nicht Willem Dafoe Tommaso spielen würde. Er lotet die Spanne von Boshaftigkeit und Liebenswürdigkeit, von Gelassenheit und glühender Wut aus, dass einem beim Zuschauen Angst und Bange werden kann.
"Tommaso und der Tanz der Geister" von Abel Ferrara – empfehlenswert.
"Bombshell". Auch: Slang für Sexbombe. In Jay Roachs Film "Bombshell" sind die blonden Anchorwomen gemeint, die sexy Aushängeschilder beim rechten Fernsehsender Fox News. 2016 machten sie die sexuellen Belästigungen durch ihren Chef Roger Ailes öffentlich. Jenseits dieser historischen Enthüllungen ist "Bombshell" eine universelle Studie über Macht und Sexismus, inklusive dieses dunklen Credos.
"Niemand wird Dir glauben, sie werden Dich eine Lügnerin nennen."
Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, gespielt von Charlize Theron, Nicole Kidman und Margot Robbie. Karriere-Frauen. Aber weil seine Figuren keine wirklichen Sympathieträgerinnen sind, erzeugt Regisseur Jay Roach nicht automatisch sofort rechtschaffene Empörung. So können wir umso genauer schauen und die Gewalttätigkeit des Systems begreifen. Gretchen Carlson, die Frau, die historische Figur, die Nicole Kidman spielt, wird geschasst. Wie andere ist sie vom Chef des Senders sexuell belästigt bzw. vor Jahren vergewaltigt worden. Nun zieht sie vor Gericht. Ihre Anwälte weisen sie auf ein Problem hin:
"Kollegen, die Sie bewundern, werden öffentlich sagen, Sie wären eine hochmütige, ehrgeizige Frau, die nur klagt, weil ihre Karriere am Ende ist. - Sollen sie."
Gretchen ist sich sicher:
"Werden sich noch andere Frauen melden? - Ja, mit Sicherheit."
Gefühl des Ausgeliefertseins
Gretchen wird recht behalten, und der Chef wird stürzen. Das System allerdings nicht. Einmal sehen wir eine junge Reporterin aus der Provinz, die in einer Hotelbar von ihrem zukünftigen Chef das Angebot bekommt, nach Washington zu Fox News zu kommen; das würde aber nur funktionieren, wenn sie vorher mit ihm auf ihr Hotelzimmer gehe. Zu diesem Dialog schneidet Regisseur Jay Roach die innere Stimme dieser Frau, die genau weiß, dass sie sich hier in einer ausweglosen Falle befindet. Sie weigert sich und ist am Ende der Szene gefeuert. "Bombshell" ist ein grandioser Film, weil das Gefühl des Ausgeliefertseins, diese Empfindung, in einem Gefängnis zu stecken, Objekt zu werden, spürbar wird. Kino kann so etwas vermitteln, weil es eine Maschine für Emotionen ist und auch eine für Empathie sein kann. Im realen Fall von Fox News bewirkten die missbrauchten Frauen den Rücktritt von Roger Ailes. Sie erhielten 50 Millionen Dollar Entschädigung. Ailes allerdings eine Abfindung von 40 Millionen.
"Bombshell" von Jay Roach – herausragend.
"[Pfeifen.] Alles, was spricht, kann man pfeifen. Und wenn die Polizei die Sprache hört, werden sie denken, dass die Vögel singen."
Und um diese Pfeif-Sprache der Inselbewohner zu lernen, reist Chris, korrupter Polizist aus Bukarest, der sich mit der Mafia eingelassen hat, nach Gomera. Regisseur Corneliu Porumboiu lässt in "La Gomera" eine Vielzahl an Figuren auftreten, die uns wohlbekannt sind aus den Filmen der Schwarzen Serie. Wozu unbedingt auch eine Femme Fatale gehört, die in Verbeugung vor Rita Hayworth im gleichnamigen Film von 1946 natürlich "Gilda" heißen muss.
Neo-Noir-Story
Ansonsten geht es in "La Gomera" drunter unter drüber, auch was die Zeitebenen betrifft. Die Überwachung durch die Polizei, ist sie Vergangenheit? Oder passiert sie jetzt? Es geht um 30 Millionen aus einem Coup, und die befinden sich – wahrscheinlich – in einer Matratze. Alle spielen hier ein doppeltes Spiel. Und wenn der Abspann dieser Neo-Noir-Story läuft, haben wir wohl kaum jeden Erzählstrang verstanden. Aber dass Gilda und Chris sich trotz seines miesepetrigen Gesichts kriegen, könnte uns doch versöhnen.
"La Gomera" von Corneliu Porumboiu – empfehlenswert.