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Geheime Verstrickungen

Eine Primaballerina wird in "Red Sparrow" zur Geheimagentin. 19 Abi-turienten geraten 1956 ins Fadenkreuz der DDR-Behörden wegen einer einminütigen Schweigeminute. Und eine Doku-Filmerin nimmt sich die Lobby-Verstrickungen der Weltgesundheitsorganisation vor.

Von Hartwig Tegeler | 28.02.2018
    Szene aus dem Film "Das schweigende Klassenzimmer": Kurt (Tom Gramenz) und seine Klassenkameraden halten eine Schweigeminute ab
    Szene aus dem Film "Das schweigende Klassenzimmer": Kurt (Tom Gramenz) und seine Klassenkameraden halten eine Schweigeminute ab (Studiocanal GmbH / Julia Terjung)
    "Red Sparrow" von Francis Lawrence
    Eine Unfall, die Karriere der Primaballerina ist beendet, und …
    "Vergiss die sentimentale Moral, mit der du erzogen wurdest."
    … und schon ist Dominika - wunderbar, die Präsenz, die Jennifer Lawrence in "Red Sparrow" zeigt, tolle Schauspielerin -, und schon ist die junge Russin im Ausbildungsprogramm eines russischen Geheimdienstes.
    "Hier werdet ihr zu Sparrows, …"
    Honigfallen eben.
    "… zu Waffen im globalen Wettstreit um Macht."
    Also Sex und sexuelle Verführung als zentrale Strategie im Kalten Krieg.
    "Du musst lernen, Opfer für ein höheres Ziel zu bringen."
    Am Ende, wenn der "rote Spatz" einen CIA-Agenten umgarnt, weiß natürlich keiner, wer auf welcher Seite steht. Wie sich's gehört im Agententhriller. Nur: Worum geht es hier eigentlich? Um die eiskalte Geheimdienst-Welt? Oder um die Erschaffung einer weiblichen James-Bond-Figur, die jetzt in Kino-Serie gehen kann? Immerhin hat Regisseur Francis Lawrence mit Jennifer Lawrence schon das "Tribute von Panem"-Franchise aus der Taufe gehoben.
    "Red Sparrow" von Francis Lawrence - annehmbar
    "Das schweigende Klassenzimmer" von Lars Kraume
    "Wer ist für eine Schweigeminute?"
    Eine Minute Schweigen - 1956 - als Solidarität für die Opfer des Volksaufstandes in Ungarn.
    "Die Ungarn, die da sterben, sind so alt wie wir."
    Aber die Minute reicht, damit die 19 Abiturienten in die Mühlen der Staatsmacht geraten.
    "Kurt, ich weiß, dass du es weißt. Warum sagst du nichts."
    1956 gibt es die innerdeutsche Mauer noch nicht. Zwei Schüler aus Stalinstadt - später Eisenhüttenstadt - fahren nach Berlin-West, sehen im Kino die Wochenschau: Volksaufstand in Ungarn. Dann die Schweigeminute in ihrer Klasse. Konterrevolution, brüllt der Volksbildungsminister.
    "Ich werde jetzt rausfinden, wer die Rädelsführer sind."
    Und die Mühlen des autoritären Staates fangen an zu mahlen. "Das schweigende Klassenzimmer" entwirft ein Panorama der DDR, so wie "Der Staat gegen Fritz Bauer", Lars Kraumes Film von 2015 den Blick auf die BRD-Verhältnisse nach 1945 warf. In beiden deutschen Staaten das Verdrängen der Traumatisierungen, die die Nazi-Zeit hinterlassen hat. Nehmen wir nur den Betonkopf, …
    "Das hier ist eine Konterrevolution."
    … den Volksbildungsminister. Einmal zeigt er eine lange Narbe an seinem Hals. Da hätten ihn die Nazis mit einem Stahlseil aufhängen wollen. Das Bild macht deutlich, warum die Erwachsenen diesen Staat mit aller Rücksichtslosigkeit verteidigen. Alles besser als das, was war. Aber Regisseur Lars Kraume legitimiert mit dem Sichtbarmachen der Motive der Alten nicht den Gesinnungsterror gegenüber den 19 Schülern. Er lässt den Widerspruch stehen. Das ist grandios.
    "Das schweigende Klassenzimmer" von Lars Kraume - herausragend
    "trustWHO" von Lilian Franck
    Diese Doku hat ein wichtiges Thema, denn "trustWHO" von Lilian Franck zeigt auf bedrückende Weise, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO, vor 70 Jahren mit dem Ziel gegründet, das bestmögliche Gesundheitsniveau bei allen Menschen zu erreichen, inzwischen dominiert wird von Lobbyisten aus der Atom-, der Tabak- oder Pharmaindustrie. Gnadenlos, stur, hartnäckig, ohne sich von Absagen oder Worthülsen ihrer Interviewpartner irritieren zu lassen, rückt Lilian Franck dem Thema auf den Leib. Das ist - wie gesagt - wichtig, aber der Ton macht auch in Dokumentarfilmen die Musik. Und der ist vorgegeben, wenn "trustWHO" mit Bildern von Lilian Francks spielender Tochter und einem solchen Credo beginnt:
    "Ich bin Mutter und Filmemacherin. Mir ist wichtig, dass meine Tochter gute Bedingungen in unserer Welt vorfindet. Deswegen fahre ich zum Hauptsitz der WHO nach Genf."
    Leider wirkt dieser Betroffenheitston auch im weiteren Verlauf des Films, wenn Lilian Franck Strukturen analysiert und ihren Gesprächspartnern penetrant wie erhellend zu Leibe rückt, als Störfaktor.
    "trustWHO" von Lilian Franck - enttäuschend