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Gesellschaftliche und private Albträume

Das Massaker durch einen norwegischen Rechtsextremisten, ein Staat, der die Atomtechnologie gegen seine Bürger durchsetzen will und ein Vater, der seine verschwundene Tochter sucht: „Utøya 22. Juli“, „Wackersdorf“ und „Searching“ erzählen von gesellschaftlichen und privaten Albträumen.

Von Hartwig Tegeler | 19.09.2018
    29.06.2018, Bayern, München: Die Schauspieler Johannes Zeiler (l) und Anna Maria Sturm sind bei der Weltpremiere des Politdramas "Wackersdorf" vor dem Filmtheater Sendlinger Tor vor dem Filmplakat zu sehen.
    Weltpremiere des Films "Wackersdorf" beim Filmfest München (dpa (Felix Hörhager))
    Wenn sich am kommenden Sonntag um 20:15 Uhr im Ersten der Vorhang öffnet für die erste Episode von "Babylon Berlin", dann könnten Kinogänger die 12 Stunden der beiden Staffeln vorher schon am Stück, besser gesagt: in zwei Stücken "geschafft" haben. Denn Tom Tykwers, Achim von Borries´ und Hendrik Handloegtens Serie über das Berlin der Weimarer Republik ist am Samstag und Sonntag dieser Woche in ausgewählten Kinos zu sehen.
    Ebenfalls auf der großen Leinwand – ab morgen:Erik Poppes künstlerisch mutige Auseinandersetzung mit dem rechtsextremistischen Massaker auf der norwegischen Insel Utøya vor sieben Jahren, als 69 Menschen, die meisten Kinder und Jugendliche, ermordet wurden. Außerdem im Kino: Der deutsche Film "Wackersdorf", der von den Auseinandersetzungen um die geplante Wiederaufbereitungsanlage in der Oberpfalz Anfang der 1980er Jahre erzählt. Und "Searching" folgt der verzweifelten Suche eines Vaters nach seiner verschwundenen Tochter.
    Am Anfang spricht Kaja in die Kamera
    "Du wirst das nie verstehen. Hör mir gut zu, okay?"
    Wie kann das Kino Opfern eines Massakers gerecht werden?
    "Wir sind hier auf einer Insel."
    Utøya. 22. Juli 2011. Zusammen mit Hunderten anderer Jugendlicher ist die 18jährige Kaja – gespielt von der wunderbaren Andrea Berntzen - auf dem Sommercamp der norwegischen sozialdemokratischen Jugendorganisation.
    "Es ist der sicherste Ort der Welt. Entspann dich. Keinen Grund, dir Sorgen zu machen."
    Eine Fehleinschätzung. Nach seinem Autobomben-Attentat auf das Osloer Regierungsviertel setzt der Rechtsextremist Breivik auf die Insel Utøya über und tötet dort in 72 Minuten 69 Menschen. Die Figuren in "Utøya 22. Juli" sind dabei fiktiv, entwickelt aus Zeugenberichten und Gesprächen mit Überlebenden.
    "… Schnupftaback. Also, wenn du nicht willst. - Sind das irgendwelche Böller. - Was ist los. - [Schreie im Hintergrund.] - Los, schnell, weg!"
    Ein Horrorfilm
    Indem die Kamera ohne erkennbaren Schnitt die ganze Zeit bei Kaja bleibt, soll sich der Eindruck von Orientierungslosigkeit, Panik, Verzweiflung und von der Aussichtslosigkeit der Opfer vermitteln. Doch unmerklich verwandelt sich "Utøya 22. Juli" in einen Horrorfilm, in dem Kaja zu einer "normalen" Kinofigur wie aus Legionen von Horrorfilmen wird, die ums Überleben kämpft. Das Genre überlagert quasi die monströse Realität des Ereignisses. So hinterlässt Poppes Film einen zwiespältigen Eindruck. Aber, dieser Widerspruch muss stehenbleiben, er ist als Versuch einer Erzählung über das Massakers am 22. Juli ein notwendiger Film.
    "Utøya 22. Juli" von Erik Poppe – empfehlenswert.
    Die Idylle in der Oberpfalz – wir schreiben das Jahr 1981 – wird bald dahin sein, wenn das Volk sich gegen den Staat und seine Pläne zu einer Wiederaufbereitungsanlage auflehnt, und die Regierung gegen die aufmüpfigen Bürger zurückschlägt. Ist also der Film "Wackersdorf" eine dröge Geschichtsstunde? Nein, sondern spannendes Kino über eine Thema, das sich nicht erledigt hat.
    Es liegt an der Figur des Landrats Hans Schuierer, eine reale Person und großartig gespielt von Johannes Zeller. CSU-Besuch aus München in der oberpfälzischen Provinz:
    "Also, wir die bayerische Staatsregierung bemühen uns derzeit um ein zukunftsweisendes industrielles Großprojekt. Blitzsaubere Sache. Alles in weißen Kitteln."
    Zivilcourage und Engagement für die Demokratie
    Der Landrat ist zunächst begeistert von der Investitionsspritze für die strukturschwache Region, aber als er berechtigte Zweifel an der Sauberkeit der Technologie bekommt und sieht, wie die Landesregierung Recht bricht, empört sich Hans Schuierer immer mehr.
    "Weißt du, was mein Problem ist: Die haben uns nie die ganze Wahrheit erzählt. Sie haben uns einen fetten Köder hingeschmissen, und wir sind prompt drauf reingefallen."
    Eindrucksvoll beschreibt Oliver Haffner in "Wackersdorf" den steinigen und widersprüchlichen Weg eines Mannes, der das Vertrauen in die feste Ordnung seiner Welt verliert und sich auf die "andere Seite" schlägt, die der Bürgerinitiativen mit ihrem am Ende übrigens erfolgreichen Kampf gegen die WAA Wackersdorf. Es geht im Film um Zivilcourage, Mut und Engagement für die Demokratie. Übrigens scheint es nur von außen so, dass dieser Hans Schuierer die Seiten gewechselt hat. Im Kern nämlich hat er immer nur auf einem beharrt, egal, wie groß und mächtig der Gegner ist, der das ignoriert:
    "Wir leben in einem Rechtsstaat, Herr …"
    Wenn das Beharren darauf heute nicht aktueller ist denn je, wann denn dann.
    "Wackersdorf" von Oliver Haffner – herausragend.
    Blupp, flupp, klacker, das Geräusch einer Tastatur. "Searching" ist ein Desktop-Film. Sich öffnende Mails, Messages und und uns: Mit den Infos auf den Bildschirmen von Smartphones, Tablets oder Computern erzählt Aneesh Chaganty von der Suche nach einer verschwundenen Tochter.
    "Ich möchte nur wissen, wo du an dem Abend warst, als meine Tochter verschwunden ist. - Ich hatte eine Verabredung. - Was verheimlichst du?"
    Nichts ist wie es scheint
    Ein Vater sucht seine Tochter, doch mit dem Internet ist nichts mehr so, wie es davor war in Sachen Wahrnehmung unserer Realität. Wenn der klassische Detektiv sich einst an realen Spuren abarbeitete, so hat das Verbrechen heute auch in der digitalen Welt eine Vielzahl von Spuren hinterlassen. So auch Davids Tochter Pamela.
    "[AB:] Sprich drauf, oder schicke mir eine Nachricht. - [Vater:] Hey, mein Schatz, ich wollte mich nur melden, denn offensichtlich bist du ja schon zur Schule."
    "Searching" erzählt spannend eine alte Geschichte im neuen visuellem Gewand. Doch schon bei Hitchcock konnten wir lernen, dass oft etwas nicht so ist, wie es scheint. "[Vater:] Ich will Ihnen doch nur helfen, meine Tochter zu finden. - [Polizistin:] Sie sind ein Sicherheitsrisiko."
    Sagt die Polizistin, die aber … nun ja, das lassen wir jetzt mal so stehen. Und sicher gibt es eine WhatsApp-Nachricht, die einen neuen Verdacht erhärtet oder zerstreut. Aufpassen muss man bei diesem Desktop-Detektiv-Film.
    "Searching" von Aneesh Chaganty – empfehlenswert.