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Helden gegen das System

Menschen in den Fängen einer unerbittlichen Maschinerie: Das zeigen in dieser Woche zwei Filme auf sehr unterschiedliche Weise. Der Titelheld von Ken Loachs Cannes-Gewinner "Ich, Daniel Blake" verfängt sich in den Fängen der Bürokratier, während "Deepwater Horizon" die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko mahnend nachzeichnet.

Von Hartwig Tegeler | 23.11.2016
    Filmplakat von "Deepwater Horizon" mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle
    Filmplakat von "Deepwater Horizon" mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle (imago / ZUMA)
    "Deepwater Horizon" von Peter Berg
    2010 gerät die Plattform Deepwater Horizon in Brand. Peter Berg erzählt davon in seinem Spielfilm aus der Sicht des Technikers Mike. Bei der Katastrophe rettet Mike viele Kollegen von der brennenden Plattform. Er selbst überlebt. Aber dieser Techniker, den Mark Wahlberg spielt, ist nicht als übermenschlicher Held inszeniert. Der muskulöse Mann bricht weinend zusammen, als er hört, dass elf seiner Kollegen gestorben sind. Das ist eine ungewöhnlich subtile, wie realistische Charakterzeichnung bei einem Film, der mit Actionsequenzen durchaus nicht geizt. Peter Berg heroisiert den Überlebenskampf dieser Männer und einer Kollegin nicht, sondern zeigt Menschen, die Angst haben, aber in der Gefahr einen erstaunlichen Mut beweisen. Eindrucksvoll. Dass der Unfall der Deepwater Horizon eine gigantische Ölkatastrophe im Golf von Mexiko auslöste, das ist die bitterböse Realität, benannt am Ende - vor dem Nachspann - auf einer Schrifttafel, die eher ein Mahnmal ist.
    "Deepwater Horizon" - empfehlenswert.
    "Ich, Daniel Blake" von Ken Loach
    "Hören Sie, ich hatte einen schweren Herzinfarkt. Bin beinahe vom Baugerüst gefallen. Und will wieder arbeiten."
    Doch Daniel Blake, der kurz vor der Rente steht, muss nun das erste Mal Geld des Staates annehmen, sogenannte Transferleistungen. Und so gerät Daniel in das Gestrüpp einer absurden Bürokratie, die der Begriff "kafkaesk" auf den Punkt bringt.
    "Das ist eine Riesenfarce, nicht wahr. Sie sitzen da mit ihrem hübschen Namensschild auf der Bluse, Anne, Ihnen gegenüber ein kranker Mann auf der Suche nach nichtexistenten Jobs, die er gar nicht annehmen kann. Jedenfalls erniedrigt es mich, es zermürbt mich. Oder geht es darum, dass mein Name aus dem Computer verschwindet?"
    Mit seinem Film "Ich, Daniel Blake" hat Ken Loach in diesem Jahr die Goldene Palme in Cannes gewonnen. 80 Jahre alt ist der Meister des britischen Sozialdramas. Vor 50 Jahren, im Fernsehspiel "Cathy Come Home", erzählte er bereits vom Abstieg eines Paares in die Obdachlosigkeit. Das war lange vor den sozialen Erosionen, die Premierministeirn Maggie Thatcher in Großbritannien auslöste. Das war vor dem, das der frühere Ökonom der Weltbank Branko Milanović, einen sich ausbreitenden "sozialen Separatismus" nennt. Von diesem gesellschaftlichen Prozess erzählt Ken Loach in dieser Geschichte über einen Mann, der gegen Abstieg und soziale Erniedrigung kämpft und für seine Situation keine Sündenböcke sucht, sondern anderen gar hilft, wie der jungen Frau. Sie ist in der gleichen Situation wie er.
    "Wo ist der Sicherungskasten? - Die haben den Strom abgestellt. Die Kinder haben ihren ersten Schultag. Ich wollte ihnen was zum Anziehen kaufen. Ich dachte, ich bekomme morgen mein Geld."
    "Ich, Daniel Blake" hat übrigens kein Happy End. Oder doch?
    "Danke, Anne, aber wenn man seine Selbstachtung verliert, ist man erledigt. Ich spiele da nicht mehr mit, mir reicht es."
    "Ich, Daniel Blake" - herausragend.
    "Florence Foster Jenskins" von Stephen Frears
    Meryl Streep zählt zweifellos zu den größten Schauspielerinnen unserer Zeit. Für ihre Darstellung von Maggie Thatcher gewann sie 2012 ihren dritten Oscar. Der Film "Die Eiserne Lady" kümmerte sich keinen Deut um die eben erwähnte zerstörerische Sozialpolitik Thatchers. Doch dem politischen Blick steht manchmal im Kino die Faszination über die schauspielerische Wucht entgegen. Dass Meryl Streep keine Scheu vor Alter, Hässlichkeit, vor Falten hat, und eben damit eine große Wucht erlangt, beweist sie in Stephen Frears wunderbarem Porträt über Florence Foster Jenkins, eine Frau, die sich selbst in den 1940er Jahren in New York als große Opernsängerin "träumt", während sie aufgrund ihres miesen Gesangs für die Außenwelt wie eine durchgeknallte, allein von ihrem Mann - Hugh Grant - unterstützte reiche Zicke wirkt:
    "Maestro, es ist wohl wahr, dass viele Sängerinnen sich im Alter eher ver-schlechtern, aber ich werde anscheinend besser und besser."
    Doch diesem wagemutigen Selbstbewusstsein angesichts der unfassbar falschen Töne, die Florence Foster Jenskins produziert steht der Traum gegenüber. "Das ist es, wofür wir leben." Völlig unabhängig von dem Urteil anderer leben zu wollen, und das aufgrund einer Erbschaft auch zu können. Nach dem Doku-Drama "Die Florence Foster Jenkins Story" - seit zwei Wochen in unseren Kinos - ist jetzt Stephen Frears wunderbarer Spielfilm über diese Exzentrikerin zu sehen, die der Gesellschaft den verlogenen Spiegel vorhält. Gemäß dem Motto ihres Mannes: "Aber, um es mit Beethoven zu sagen: Eine falsche Note zu singen, ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft unverzeihlich."
    "Florence Foster Jenskins" - herausragend.